Was wurde nicht schon alles geschrieben über die Digitalisierung? Die einen preisen das bevorstehende digitale Zeitalter als verwirklichte Utopie des freien Menschen, der durch künstliche Intelligenz dem Joch der Lohnarbeit enthoben wird. Die anderen skizzieren wahlweise den Untergang von Abendland, Demokratie oder Sozialstaat (gerne auch alles in einem). Fest steht: das Thema ist auf der medialen Landkarte prominent platziert. Und es mag auch kein Zufall sein, dass gerade in den Medien die Digitalisierung so intensiv und kontrovers diskutiert wird. Schließlich macht gerade die Medienbranche einen fundamentalen Wandel durch, der durch die Digitalisierung ausgelöst scheint: den etablierten Zeitungen brechen die Leser weg. Erst kürzlich kündigte der Chefredakteur der Taz an, das Ende der gedruckten Wochentagsausgabe vorzubereiten. Gleichzeitig ist die Finanzierungsfrage im Online-Journalismus nach wie vor nicht vollends geklärt. Hinzu kommt das zunehmende Misstrauen, dass Teile der Gesellschaft den etablierten Medien entgegenbringen und das sich eben nicht nur in Schlachtrufen wie dem der „Lügenpresse“ äußert. Es ist eine paradoxe Situation: Das Internet versorgt uns immer schneller mit immer mehr Informationen. Gleichzeitig meinen wir immer weniger zu wissen.
Man sieht also: Es ist nicht nur ein brancheninternes Problemfeld. Die Fragen nach der Zukunft der Medien und des Journalismus haben auch mit der Zukunft unserer Gesellschaft zu tun. Auf dem Campfire Festival, das von der Rechercheverbund Correctiv in Zusammenarbeit mit der Rheinischen Post am Freitag startete, stellte man sich dementsprechend breit auf. Um „Journalismus und digitale Zukunft“ sollte es gehen. Kein trockenes Branchentreffen, sondern eine kostenlose, frei zugängliche Dialogform sollte entstehen, in der sich Medienschaffende, Journalisten und interessierte Bürger auf Augenhöhe begegnen und ins Gespräch kommen. 150 Veranstaltungen waren geplant. Diskussionsformate über Politik, Journalismus und Kultur standen im Programm neben Workshops, Lesungen, bis hin zu Slam-Auftritten. Vor dem Düsseldorfer Landtag bauten die Organisatoren zu diesem Zweck eine kleine Zeltstadt auf, die eine intime und persönliche Atmosphäre zwischen Besuchern und Ausstellern schaffte. Genau diese Art der Öffnung des Journalismus in die Gesellschaft hinein, steht auch für Correctiv Chefredakteur Oliver Schröm im Mittelpunkt seiner Arbeit, wie er bei der Diskussion mit Tim Göbel, Vorstand der Schöpflin Stiftung erklärte. Bei der Diskussion über den „3. Weg des Journalismus“ stellte er das Konzept von Correctiv vor: in Zeiten der Medienkrise und Kürzungen bei den Etats der Zeitungen komme gerade investigativer Journalismus zu kurz. Die Wächterfunktion der Medien ist zunehmend gefährdet. Correctiv versteht sich als Antwort auf diese Krise. Als gemeinnützige, stiftungsfinanzierte Plattform für investigativen Journalismus. Gerade unabhängige Plattformen böten eine große Chance, Missstände nicht nur aufzudecken, sondern auch zu beseitigen. Schröm: „Bei den Zeitungen hat sich teilweise schon ein gewisser Zynismus etabliert. Wenn ein Skandal aufgedeckt wird und dann ein Politiker zurücktritt, klopft man einmal auf den Tisch und macht weiter. Bei Correctiv wollen wir auch Lösungen anbieten. Das ist, glaube ich, die Zukunft des Journalismus. Niemand hat mehr Lust, die Zeitung aufzublättern und zu erfahren wie schlecht die Welt ist. Ich kann zwar auch nicht den Koreakonflikt lösen, aber ich kann mit Betroffenen in Kontakt treten und Informationen bereitstellen und Druck machen, damit sich die Zustände bessern“, wie das im Zuge eines von Correctiv aufgedeckten Medizinskandals der Fall war.
Um 18 Uhr diskutierte Journalistin Annika Wind in einem Workshop über die Zukunft des Kulturjournalismus. Nicht nur über die Qualitätsmerkmale guter Kulturkritik konnte das bunt gemischte Publikum dort viel erfahren, auch die Probleme und Chancen von Kulturjournalismus in Zeiten des Internets standen im Mittelpunkt. Gleichzeitig gewährte Wind Einblick in die Arbeit ihres Magazins und holte im direkten Kontakt mit ihren Lesern Feedback ein. Diese offene Form des Dialoges wurde vom Publikum begeistert aufgenommen, dass sich rege an den Workshops und Diskussionen beteiligte. „Man hört hier nicht nur zu, sondern wird immer auch ermutigt sich einzubringen. Gerade das finde ich sehr spannend an diesem Format“, brachte es eine Zuschauerin auf den Punkt.
Als sich das Programm am Freitagabend dem Ende zuneigte, zeigte sich noch einmal die bunte Bandbreite und der Charme dieses Festivals. Während an einem Ende Journalisten beim „Reporter Slam“ über die Neurosen und Eitelkeiten des Berufsfeldes und die schrägen Erlebnisse im Journalistendasein berichteten und so für Unterhaltung sorgten, wurde am anderen Ende des Campfire Dorfes noch hitzig über die letzte Amtszeit Angela Merkels diskutiert. Transparenz, Dialog, Vielfalt und Kreativität – beim Campfire Festival scheint man Antworten auf die Fragen der digitalen Zukunft gefunden zu haben.
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