In der Bochumer Kult-Zeche Eins entsteht eine Aufführung mit Schauspiel-Studierenden der Folkwang-Universität. Philipp Becker inszeniert die Uraufführung eines neuen Stückes der österreichischen Autorin Gerhild Steinbuch.
trailer: Herr Becker, haben Uraufführungen für einen Regisseur einen besonderen Reiz?
Philipp Becker: Ja, auf jeden Fall – vor allem, wenn es ein Auftragswerk ist und ich wie in diesem Fall mit der Autorin schon mehrfach zusammenarbeiten durfte. Dieser Reiz wird nochmal potenziert, wenn man einen besonderen Ort hat. Und wird hier sogar nochmal gepitcht durch die Tatsache, dass wir eine spezielle Konstellation mit jungen Leuten haben, die sich als Ensemble seit Jahren kennen und die sich auch miteinander ausgebildet haben.
Der Glanz sei das Licht der Welt, behauptet die Autorin Gerhild Steinbuch fast seriell. Ist das wirklich so oder ist das heute nicht doch eher das schnelle Gloria?
Das ist genau der springende Punkt. Etwas, das glänzt, zeichnet sich zumeist dadurch aus, dass es extrem glatt ist. Und dass die Tiefe dahinter oft überhaupt nicht erkenntlich wird. Insofern ist das eine große Faszination und eine große Gefahr, die diesen Glanz ausmachen. Ob es das Bling-Bling ist, was glänzt, oder das Geschimmer, das offenbar auch triebhaft fasziniert: Die Elster reagiert auf den Glanz, der Fisch reagiert auf den Blinker am Haken. Insofern geht es auch um die Frage, was ist die Oberfläche?
Kann der Zuschauer denn diesem Assoziationsbombardement überhaupt folgen?
Das ist die Aufgabe, die zu leisten ist. Ein dramatischer Text ist, wenn es ein guter ist, kein Lesetext, auch kein Hörspieltext, sondern dem Theater gestiftet. Ein guter dramatischer Text ist wie ein Brühwürfel. In dem steckt alles drin, was einen Liter gute Brühe ausmacht. Wenn man den Würfel so kaut, wird einem schlecht. Der braucht einen Liter Wasser und man muss das auch noch kochen. Der Text stellt also die anspruchsvolle, ambitionierte Aufgabe – aber keine unerwartete, eine sehr willkommene Aufgabe – aus diesem Assoziationsbogen spielerische Handlungen zu generieren.
Ich habe beim Lesen so eine Art Wellenbewegung im Text festgestellt – wird es auch eine Art Tanztheater in der historischen Zeche?
Also der Patina, der historischen Schicht dieses Raumes, sind wir uns sehr wohl bewusst. Es war aber auch eine bewusste Entscheidung, in diesem Fall nicht mit einem Choreografen zusammenzuarbeiten. Die Körperlichkeit wird extrem wichtig, sie wird aber nicht originär tänzerisch sein. Es wird eher etwas sehr Musikalisches. Diese Wellenbewegungen, ich würde da von einer fugischen Dramaturgie sprechen: Werden in der Musik die Motive von verschiedenen Instrumentengruppen variiert, werden diese in Gerhilds Stück von verschiedenen Figuren reflektiert und variiert.
Wie eine Art Bilder-Schnittfolge?
Es werden in diesen Assoziationsketten sehr viele Bilder verhandelt. Gerade sind wir dabei uns für den Unterschied zwischen „Bild“ und „Image“ zu sensibilisieren. Ich glaube, dass hier – auch dank der großartigen Bühnen- und Raumfantasie von Bettina Pommer – wirklich Bilder entstehen, die beredt sind. Es ist wahnsinnig herausfordernd zu zehnt gemeinsam zu denken. Wenn man dann noch überlegt, dass das Stück Themen wie kulturelle oder nationale Identität verhandelt.
Im Text steht ein Heiner-Müller-Zitat: „Wir stehen am Strand, im Rücken die Ruinen Europas“. Ist das heute nicht auch Brexit-Prosa?
Meiner Ansicht nach ja. Die Genese dieses Textvorschlags von Gerhild Steinbuch war besonders. Wir beide hatten zwar Themenfelder, aber der Raum musste zum Beispiel vor dem Stück stehen. Sowas ist natürlich super spannend. Die Autorin hat mit allen zehn Spielerinnen und Spielern gesprochen. Diese jungen Leute eint, dass sie sich selbst als Kinder der Populärkultur bezeichnen, das heißt, sie kennen oft das Rip-off vom Rip-off besser als das Original. Stichwort Heiner Müller: Ich stehe da an so einer Küste mit irgendwas im Rücken – der Kontext dieses Zitats ist schon sehr fremd. Aber – als großer Heiner-Müller-Fan darf ich das sagen – Theater ist immer aktuell, das ist eine Momentkunst, die nur im Hier und Jetzt stattfindet. Es geht also darum, sich zu verhalten. Und es gibt auch eine Tradition dieses Ortes, der Zeche Eins, der selbst mit Geschichte kontaminiert ist. Was macht es mit zehn jungen Schauspielerinnen und Schauspielern, die jetzt plötzlich hier in der Verantwortung stehen, gutes Theater zu machen? Was immer das sein soll. Wir sind gerade dabei, tagesaktuelle Stichworte, Headlines in die Assoziationsketten, die dieser Text triggert, mit einzubringen. Es geht um das Fremde, es geht um das Eigene. Es geht, wenn es um die Wölfe geht, wohl auch um die Neue Rechte. Es geht darum, ob das eine kulturelle Leistung ist, dass eine Gesellschaft sagt: „Das muss man auch mal sagen dürfen.“ Nur weil man es sagen kann, ist es vielleicht nicht immer notwendig, es auszusprechen. Und da sieht man dann die Qualität von Heiner-Müller-Sätzen, weil die zeitlos sind.
„Was glänzt“ | R: Philipp Becker | 1.(P), 2., 7.-9., 12., 14., 15.3. je 19.30 Uhr, 3., 10.3. je 17 Uhr | Zeche Eins Bochum | 0234 33 33 55 55
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