Fast hätte man Trotz gewittert oder den Übermut zum Toresschluss – so wild, komisch, auch frivol zeigte sich die „Zeche 1“ beim Battle in der Abschlusswoche. Doch nein, es dominierten Lust und Spaß am Zeigen. Das Aus kam ja nicht überraschend: Drei Jahre lang stand die Adresse nach ihrer Wiedereröffnung unter Leitung von „Pottporus e.V.“ und damit im Zeichen des Tanzes. Es gab keine Garantie, dass der Nutzungsvertrag mit dem Schauspielhaus, das die Zeche 1 zur Verfügung stellte, verlängert werden würde. Die Enttäuschung ist verständlicherweise trotzdem groß.
Junge Tanzbegeisterte konnten in der Prinz-Regent-Straße seit 2015 Projekte entwickeln und aufführen – in vier Bereichen, von denen sich nun auch beim Abschluss viel widerspiegeln sollte. Neben einer „Danceschool“ und dem jährlichen Festival gehörte zu diesen Sparten das „Junge Pottporus“, das Tanzstücke mit Jugendlichen professionell umsetzt; jetzt stand es mit „Expedition Hiphop – My Identity?“ auf dem Programm. Vierte Säule – vielmehr eine tragende – war seit Beginn „Renegade“, die erfolgreiche Truppe unter dem Dach des Vereins und in der finalen Woche gleich mehrfach gesetzt. Darunter eine Performance zu Hip Hop und Islam, aber auch eine Solo-Variation des Tänzers Robozee zu Strawinskys „Sacre du printemps“.
Manches mischte sich nun bei „Du kannst nichts“, dem tänzerischen Schaukampf in Kooperation mit dem ähnlich flapsig benannten Kollektiv „Hä Wie?“. Nicht zuletzt weil „Renegade“ stark auf Street Art zugreift, und der Freitagabend war ein einziges Anknüpfen an Breakdance und derlei Subkulturen – mit allem, was dazu gehört: Moves, Posen, Überreizen. Ein Battle auf großer Bühne und entsprechend versiert. Immer dabei die Beschallung von oben: Hoch gegenüber thronte „Gü-Unit Gletscherspalte Rec.“ am DJ-Pult überm Geschehen als ständiger Mitspieler. Dabei waren Aktive der Szenen aus Russland, Japan, Deutschland und Frankreich.
Wer den Ort erst heute kennen lernte, mochte staunen: über das coole Ja zum Lässigen bis Abgewrackten – ein ständiges Provisorium. Unverputzt die Mauern, zum Sitzen breite Stufen, auf denen sich Publikum wie Künstler fläzten. Grenzen schienen fließend, auch unten auf der Fläche, heute quasi Arena: Vor dem eigentlichen Wettbewerb stand eine offene Runde – einzige Ansage von Moderator David Voigt: „Everybody can do one move.“ Schon da freilich gab es kleine Inszenierungen zu sehen: Eine Frau stieg einer liegenden Kollegin kurzerhand übers Gesicht, eine zeigte nur scheinbar unkontrollierte Bewegungen, auch viel Humor war dabei. Ein anderer dagegen stellte sich frontal zur „Tribüne“ und führte, so effektfrei wie wirksam, eine stille Minute Körperspannung vor.
Ob vorab oder in „Vorrunde“ bis Finale: Zum Battlen gehört doch immer das Posen, und gerade vor Mitstreitern – die heute freilich mehr Gleichgesinnte waren als ernste Gegner. Eher anerkennend mochte die eine verfolgen, was der andere sich einfallen ließ. Da konnten schon einmal die Schuhe spontan zum Teil des Spiels werden oder die Flasche für Sekunden vom Flaschendrehteil zum Phallussymbol mutieren. Wissen sollen hätte man auch schon vor dem Beitrag einer Tänzerin, dass ein Mikroständer, nun ja, ein Ständer ist. Einer riss vom auf den Boden geklebten "Ä" kurzerhand das eine Pünktchen ab, um es sich überdreht auf die Zunge zu pappen. Und das Publikum ging gut mit und beobachtete gespannt, was man etwa mit einem Ballon so alles anstellen kann. Wobei auch dieses sicher zum Gutteil aus Freunden des Hauses bestand, vom Fach quasi und mit der Neugier des Kundigen, der sich alldem vielleicht Minuten später selbst stellte und, wichtiger: bewegte. Gern frech und leicht drüber: Die Moderatoren standen da kaum nach, ließen mal „Gott entscheiden“ mit fliegenden Plüschwürfeln oder bauten den DJ auf seiner „Empore“ mit ein.
Dass freilich geübte Experten am Werk waren und keineswegs bloß Spaßvögel, das kam immer wieder schlagend ins Bewusstsein, wenn einer vom Spaß mit Objekten urplötzlich in den Kopfstand wechselte oder unvermittelt durch die halbe Halle flog. Mit Letzterem überraschte gern schon mal Finalist Fillip Milshteyn, vom Typ eh spektakulär von Moves bis Vollbart. Um sich im „Gießkannen-Finale“ letztlich aber „The Macspencer“ aus Frankreich geschlagen geben zu müssen. Dass man aber kaum etwas von Sieg oder Niederlage im Sinn behalten mochte, sprach da wohl selbst für die locker-launige Gesamtstimmung.
Profis und Move-wütige, sie gingen zwar ohne Bitterkeit, aber doch nicht ohne Hinweis: Bedauern war zu lesen über „die fehlenden Perspektiven und nachhaltigen Förderungen, die es braucht, um die Zukunft der freien urbanen Kulturszene in der Stadt zu garantieren“. Ein guter Eindruck von drei Jahren immerhin war für den Besucher zum Schluss mehr als zu erahnen: Konsequent ungeleckt die Location, und manchmal ist so etwas vielleicht künstlerisch das beste Bekenntnis: Wer etwas kann und hier auftritt, der will was – will spielen und zeigen. Spaß am Spiel also statt Torschlusspanik hieß es zum Ende dieser Zechen-Zeit. Schräg und überdreht sein durfte es aber schon, Motto: Mit Können noch mal krachen lassen – und hatte so denn doch viel von einer fröhlichen Auszugsparty.
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