Sollte Indiana Jones tatsächlich falsch gelegen haben, als er den verschollenen Kristallschädel zurückbrachte und die Außerirdischen befreite? Irgendwie hat sich nämlich einer davon wieder nach Herne verirrt und ist nun ein Highlight der aktuellen „Schädelkult“-Ausstellung im LWL-Museum für Archäologie. Die rund 300 Exponate – darunter Ahnenschädel, Trophäenköpfe und Reliquien – zeigen, wie sich die Menschheit über die Jahrhunderte mit der eigenen Sterblichkeit auseinandergesetzt hat. Auch Westfalen, die Region der Dickköpfe, ist logischerweise reich an Schädelgeschichten, wenn das auch anatomisch kaum belegt werden kann. In einer Wand der Klosterkirche Brenkhausen (Kreis Höxter) wurde gerade eine mit Stoffschichten umhüllte und auf einem Kissen ruhende Schädelreliquie gefunden. Mittels Computertomographie konnte das Alter ermittelt werden. Die untersten Stoffschichten stammen vermutlich aus dem 13. Jahrhundert. Dieses Alter deckt sich mit der Klostergründung des Zisterzienserinnenordens im Jahr 1245. Dass sie immer wieder neu umhüllt wurde, zeigt, wie wichtig den Nonnen diese Reliquie war.
Kopfschmerzen hat sie wohl nicht gehabt, ganz anders ging es da einem Mann aus der Jungsteinzeit. Seine OP durch Schaben, Schneiden oder Bohren mit Klingen aus Feuerstein ist der älteste Nachweis einer operativen Schädelöffnung in Westfalen. Sein Schädel mit trapezförmigem Loch stammt aus einem über 5.400 Jahre alten Steinkammergrab in Warburg. Diese sogenannte Trepanation wurde erst gar nicht bemerkt. „Der Schädel ist schon länger Teil unserer Dauerausstellung, ohne dass wir wussten, was für einen Schatz wir tatsächlich haben“, erklärt Museumsleiter Josef Mühlenbrock. Weiter geht es durch die Schädelschau mit liebevoll tätowierten Knochen, einer 170.000 Jahre alten Schädelschale eines Neandertalers, Schrumpfköpfen aus Papua-Neuguinea.
Bleibt noch das Geheimnis der Kristallschädel, dessen Aufklärung ziemlich ernüchternd ist. „Die Kristallschädel gehören zu den populärsten Objekten“, sagt Mühlenbrock. Doch sie werden fälschlicherweise dem Volk der Maya zugeschrieben. Archäologen gehen heute davon aus, dass diese Schädel womöglich im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein angefertigt wurden. Die Maya hätten mit ihren Werkzeugen aus Stein und Holz den harten Bergkristall kaum in diese anatomische Form bringen können. Der Archäologiewahn des 19. Jahrhunderts machte alles möglich. Der bekannte französische Antiquar Eugène Boban (1834-1908) präsentierte bei der Weltausstellung 1867 in Paris gleich zwei dieser Kristallschädel. Untersuchungen ergaben jetzt zweifelsfrei, dass die Objekte nicht von den Maya angefertigt wurden. Sie wurden mit mechanischen Geräten hergestellt, die den Maya unbekannt waren. Außerdem existieren im mittelamerikanischen Raum keine Kristallbrocken dieser Größenordnung. Auch spricht für Idar-Oberstein, wo es Ende des 19. Jahrhunderts die besten Edelsteinschleifer gab, dass die Region weit von den Metropolen Mailand und Paris entfernt liegt und so die Herstellung unentdeckt bleiben konnte.
„Schädelkult“ | bis 14.4. | LWL-Museum für Archäologie, Herne | 02323 946 28 20
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