2,5 Millionen Jahre lebte der Mensch als Jäger und Sammler. Dann war die schöne Zeit vorbei. Das LWL-Museum für Archäologie in Herne zeigt, wie es dann weiterging. Wir sprachen mit den Ausstellungsmachern.
trailer: Neben Kochsendungen haben die Sendungen über Archäologie im TV radikal zugenommen. Woran liegt das wohl?
Annika Thewes (AT): Klar, es ist spannend, es ist für viele sehr exotisch und das weckt so ein bisschen den Schatzsucherinstinkt. Es gibt ja mittlerweile auch in den Museen immer mehr Ehrenamtliche, die dort tätig werden. Ich glaube, dass das insgesamt einer breiteren Masse auch zugänglicher wird. Wo Museen natürlich größtenteils zu beitragen.
Susanne Jülich (SJ): Ich glaube auch, dass die Kinofilme zum Thema Archäologie auch eine Nachfrage nach Filmmaterial und nach filmischer Information generiert haben. Und dass viele sich auch bemüßigt fühlen, dann auch noch etwas Inhaltliches daneben zu stellen. Das ist ja eine tolle Sache.
Aber es muss spektakulär sein?
Josef Mühlenbrock (JM): Die wichtigen Themen sind in hellen Ellipsen und Räumen zusammengestellt. Überall können Besucher etwas anfassen und ausprobieren. Es geht um Ernährung, Landschaftsveränderung, Bergbau u. v. m.
AT: Dort wurden die Grundlagen für unser heutiges Leben gelegt. Schon vor über 12000 Jahren, wenn man ganz genau sein will. Zwar nicht in Nordrhein-Westfalen, da hat es noch ein bisschen gedauert, aber was damals schon passierte, Haustiere halten, Häuser bauen, dass man Ackerbau betrieben hat – das sind Grundlagen auch für unser heutiges Leben.
Auch die Waffentechnik?
SJ: Die Waffentechnik, die hat sich ja doch deutlich weiterentwickelt. Was nicht heißt, dass sie in der Steinzeit nicht genauso effektiv gewesen wäre.
Aber Raubtiere gibt es heute wenigstens weniger?
JM: Na ja, der Mensch ist des Menschen Wolf.
SJ: Zumindest heute. Es ist ja so, dass der Mensch in der Jungsteinzeit angefangen hat, seine Umwelt drastisch zu verändern. Er hat die Wälder, die es gab, abgeholzt und damit auch den wilden Tieren die Lebensgrundlage entzogen. Sicher hat der Mensch auch immer seine Refugien geschützt, also seine Äcker, das Heim.
Was sind die wichtigsten archäologischen Funde in NRW aus den vergangenen fünf Jahren?
AT: Auf jeden Fall das bronzezeitliche Schwertgrab in Porta Westfalica, Bad Hausen, Das ist ein ganz sensationeller Fund, der auf einer kaiserzeitlichen Fundstelle zustande gekommen ist. Und bislang einzigartig ist für den westfälischen Raum. Mit einem Griffplattenschwert, fast 90 Zentimeter Länge, und verschiedenen goldenen Grabbeigaben, was sehr, sehr selten ist.
SJ: Kein neuer Fund aus den letzten fünf Jahren, aber neues Forschungsergebnis mit Hilfe modernster Methoden ist die Rekonstruktion eines römischen Totenbettes aus Resten, die man in Haltern auf dem Gräberfeld gefunden hat. Wo der zuständige Wissenschaftler in einer Engelsgeduld über Jahre die Stücke gesichtet und wieder zusammengepuzzelt hat. Das Ganze ist dann als 3D-Modell ausgedruckt worden und kann jetzt in seiner vollen Pracht wieder betrachtet werden.
AT: Als Fundstück gibt es noch Raubsaurier-Zähne. Für die Paläontologie ist das besonders spannend, weil es sehr gut erhalten ist und man sehr viele Details erkennen kann.
Ausstellungsansicht, Foto: Maxi Braun
SJ: Was wir in jedem Fall auch transportieren, ist diese neue Art zu leben – als Ackerbauern und Viehzüchter, das hat sich nicht hier in NRW entwickelt, sondern im Vorderen Orient. Zu sehen ist das in Göbekli Tepe, an einem wichtigen Fundort im Südosten der Türkei, wo man die größten Spuren von diesem Sesshaftwerden gefunden hat. Wir erklären auch mit einer Animation, wie sich das nach und nach ausgebreitet hat, bis es dann bei uns angelangt ist.
AT: Das ist auch nicht von heute auf morgen passiert, sondern war ein langwieriger Prozess. Und durch den 5000 Jahre alten „Schädel aus der Blätterhöhle“, der in Hagen gefunden wurde, konnte man nachweisen, dass es die Jäger und Sammler, also diese alte Lebensweise, noch gute 2000 Jahre zeitgleich zum neuen Bauerntum gab.
SJ: Die Höfe der früheren Ackerbauern, das muss man sich ja vorstellen, das waren ja nur Inseln im großen Wald, die haben kleinere Bereiche gerodet und nicht sofort den ganzen Wald platt gemacht. Und im Wald hat man dann eben auch die Jäger und Sammler getroffen.
JM: Das ist trotzdem ähnlich wie Migration. Also auch ein ganz aktuelles Thema. Da sind Menschen, die aus dem Vorderen Orient, aus der Türkei, zu uns rüberkommen und eine neue Lebensform entwickeln.
Wie geht man didaktisch an so ein Thema ran?
SJ: Das Schöne an der Ausstellung ist, dass wir sehr viele Dinge haben, die die Besucher wirklich anfassen können. Egal, ob große oder kleine. Also Nachbauten von einer Dechsel, von einer Erntesichel, von einem Schöpfbeutel, die mit modernen Materialien nachgebaut sind, die einfach da liegen. Wir haben versucht, im Konzept verschiedene Bereiche zum Thema Neolithikum zu definieren, von denen wir denken, dass sie wichtig sind. Der Landschaftswandel, dieses Nebeneinander von verschiedenen Gesellschaften, das Thema Wasser oder das Thema Bergbau wird aufgegriffen, aber auch, ganz wichtig in der Jungsteinzeit, die Keramik, mit den Verzierungen, die für den Archäologen immer noch namensgebend sind.
JM: Dann haben wir noch die Mitmachstationen. Da ist ein Pflug-Simulator, bei dem man hinter einem Ochsen hinterhergehen kann und sieht, was man alles falsch machen kann beim Pflügen. Dann gibt ein Glücksrad für Geschichten von Menschen, die in einem großen Grab in Schmerlecke in Erwitte gefunden wurden. An deren Knochen kann man bis heute diverse Krankheiten ablesen.
„Revolution Jungsteinzeit“ | bis 22.10. | LWL-Museum für Archäologie, Herne | www.revolution-jungsteinzeit.de
Josef Mühlenbrock ist seit 2008 Leiter des LWL-Museums für Archäologie in Herne. Studium der Archäologie, Lateinischen Philologie, Alten Geschichte in Münster. Mit einem Stipendium ging er 1995 nach Rom und schrieb 1997 seine Doktorarbeit über römische Architektur.
Susanne Jülich ist stellvertretende Museumsleiterin des LWL-Museums für Archäologie. Sie studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Geologie in Bochum.
Annika Thewes studierte in Münster Klassische Archäologie und ist wissenschaftliche Volontärin im Museum.
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