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Stefan Leenen
Foto: Museum

„Welche Auswirkungen hatte die Pest auf die Gesellschaft?“

04. September 2019

Stefan Leenen über „Pest!“ im LWL-Museum für Archäologie – Sammlung 09/19

trailer: Herr Leenen, ist das Pest-Bakterium bereits in Herne angekommen?
Stefan Leenen: Ja. Das ist eins der ersten Exponate, das wir bekommen haben. Das liegt bereits unten in unserem Depot. Allerdings in der harmlosen Variante. Das heißt, es ist abgetötet, liegt als Präparat auf einem Objektträger. Das wird dann in der Ausstellung unter einem Mikroskop zu sehen sein. Das ist so gesehen recht unscheinbar, aber wenn man durchschaut und sich vergegenwärtigt, was das eigentlich beinhaltet, dann wird einem schon ein bisschen mulmig zumute. Letztens hat ein Kollege gesagt, da kriegt man ein Kratzen im Hals.

Warum hat die Pest so eine enorme psychische Auswirkung auf die Menschheit?
Für die Zeitgenossen, die die Pest erlebt haben, ist das natürlich verständlich: Eine Seuche, die fast die Hälfte eines Ortes auslöscht, ist eine absolute Katastrophe. Diese Erfahrung, die hier in der Region erst vor rund 250 Jahren geendet hat, hat sich tradiert und ist zum Mythos geworden. Selbst wenn es heute in den westlichen Ländern einzelne Pestfälle gibt, findet man sie in den Nachrichten, obwohl die Krankheit keine große Bedrohung mehr darstellt – es gibt Medikamente dagegen. Aber der Mythos der Pest ist noch so groß, der Schrecken davor auch, deswegen ist die psychologische Wirkung so stark.

Und Schneewittchen hatte auch die Pest?
So gesehen schon. Die Infektionstrage der Feuerwehr wird so genannt, weil sie zum Glück eben durchsichtig ist, damit der Patient nicht komplett durchdreht, als wenn es ein auch optisch geschlossenes Behältnis wäre. Da würde man sich wie im Sarg vorkommen, und deswegen ist diese Trage zwar geschützt durch einen Kunststoffüberzug, aber der ist durchsichtig, damit man sieht, was um einen herum geschieht.

Wie schlimm hat denn die Pest im 18. Jahrhundert in Westfalen gewütet?
Im 18. Jahrhundert war sie hier zum Glück schon weg, da war sie noch in Frankreich und Italien, auf dem Balkan, später noch in Russland unterwegs. Die letzte große Pestwelle hier ist eigentlich in den 1660er Jahren. Das ist die gleiche Welle, die dann die große Pestepidemie von London 1665/1666 auslöst. Die ging wirklich durch ganz Mittel- und Westeuropa. Das ist die letzte, große, schwere Pandemie. Die letzte im deutschsprachigen Raum, die wirklich verheerend war, ist dann die große in Folge des Nordischen Krieges, in den Küstenstädten bis nach Hamburg hin, die ist 1712 vorbei.

Und die modernen Varianten der Pest sind tatsächlich identisch mit dem Erreger, der das damals ausgelöst hat?
Genetisch gibt es da wirklich keinen großen Unterschied. Man kann davon ausgehen, dass der Erreger alles, was er heute auslöst, auch damals ausgelöst hat. Der hat sich erst durch die zweite Pandemie hier verbreitet und auch alle anderen verdrängt – das ist tatsächlich übereinstimmend.

Und das wurde erst 2011 festgestellt?
Ja, tatsächlich kann man erst seit einigen Jahren aus Altknochenmaterial diese Erreger-DNA isolieren. Man muss sich vorstellen, die haben jahrhundertelang im Boden gelegen, und man braucht erstmal ein Körperteil, wo sich die Bakterium-DNA so lange hält. Das ist zum Beispiel ein Teil des Innenohres oder ein Zahn, da findet sich genug genetisches Material. Und seitdem der Pesterreger der Moderne erstmal ausreichend untersucht ist und man weiß, wie er genetisch tickt, kann man den erst mit alten vergleichen. Das hat um die Jahrtausendwende angefangen, aber seit ein paar Jahren ist es erst so präzise, dass man bei Bestattungen aus dem 18. Jahrhundert oder dem 13. Jahrhundert die Pest als Ursache bestimmen kann.

Der Anker der „Grand Saint Antoine“, die die Pest nach Europa brachte, bei seiner Bergung. Foto: ARHA Marseille/M. Goury

Und die Ratten sind jetzt aus dem Schneider?
Nicht ganz. Also es gibt in der Forschung eine starke Diskussion, ob es nur der Rattenfloh gewesen ist, der die Pest verbreitet hat. Es gibt durchaus auch Hinweise darauf, wenn man sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit ansieht, dass der Menschenfloh, auch Läusearten eine Rolle gespielt haben. Das ist allerdings noch nicht geklärt. Beim Rattenfloh ist es ganz klar. Der Menschenfloh kann das übertragen, aber ob er tatsächlich für die Übertragung im 14. Jahrhundert zuständig war, kann man noch nicht nachweisen. Aber die Theorie hat durchaus Hand und Fuß.

Wie transportiert man denn solche Inhalte in ein Museum?
Das war auch unser Problem. Wenn man sagt, wir haben die Pest als Bakterium da, dann wär die Ausstellung ja schon zu Ende: Das ist die Pest, fertig. Uns geht es aber darum, die Geschichten zu erzählen, die damit im Zusammenhang stehen, welche Auswirkungen hatte das auf die Gesellschaft, auf die Kunst, auf die Politik. Da gibt es Maßnahmen, die bis heute bekannt sind, die Quarantäne wird beispielsweise während der Pest eingeführt, so dass man Erkrankte längere Zeit isoliert, um sicher zu gehen, dass sie danach nicht mehr infektiös sind. Es gibt Heiligenkulte, die auch heute noch bestehen, Rochus, Sebastian, die als Pestheilige bestärkt werden. Der frühneuzeitliche Staat nimmt sich Dinge heraus, die er sich vorher nicht rausgenommen hat – dass er nun über seine Untertanen so verfügen kann, dass er sie isoliert, einkerkert, quasi zuhause einmauert, um die Ansteckung nicht zu verbreiten. Das sind Folgen der Pest. Darüber kann man Sachen ausstellen. So haben wir einen Lockenwickler aus London, der zur Zeit der großen Pest in Benutzung gewesen sein könnte, es gibt Tagebucheinträge aus der Zeit, worin steht, dass die Leute Zweifel haben, ob sie Perücken noch aufsetzen sollen, die zu der Zeit in Mode waren, weil die aus Menschenhaar gefertigt sind. Kommt das vielleicht von Leuten, die die Pest haben? Man wusste es nicht.

Wird es für die 300 Exponate der Ausstellung eine Dramaturgie geben?
Wir haben grundsätzlich eine chronologische Ordnung, erstmal wird erklärt, was ist die Pest, damit man weiß, worum es geht. Dann geht es in der Steinzeit los, das ist der älteste Nachweis, etwa 5000 Jahre alt. Im Moment liegt der älteste Fall in Schweden, das kann sich aber jederzeit ändern, wenn neue Proben kommen. Dann geht es chronologisch durch die Zeit bis heute, wobei der Schwerpunkt schon auf dem Mittelalter oder der Frühen Neuzeit liegt.

Das klingt nach sehr vielen Informationen. Braucht es bei solchen informierenden Ausstellungen Key-Objekte wie den Anker der „Grand Saint Antoine"?
Ich glaube schon. Es sind diese spannenden Objekte, die nicht direkt die Pest darstellen, sondern um die Ecke gedacht, was mit der Pest zu tun haben. Der Anker ist sehr augenfällig, der ist groß. Man weiß, wofür er benutzt wurde, man muss nicht viel erklären. Das ist der Anker von dem Schiff, das die Pest gebracht hat.

„Pest!“ | ab 20.9. | LWL-Museum für Archäologie in Herne | 02323 94 62 80

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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