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Gesichtsrekonstruktion einer jungen Frau aus der Blätterhöhle in Hagen, um 3600 v. Chr.
Foto: LVR-Landesmuseum Bonn, Jürgen Vogel

Einarmiger Bandit zum Überleben

27. Juli 2017

Die Revolution der Jungsteinzeit in Herne – Kunstwandel 08/17

Das wäre es. Einmal mit einem DeLorean DMC-12 in die Jungsteinzeit reisen. Rauf auf die A44 Richtung Sauerland, Fluxkompensator an und ab die Post. Aber man sollte die Zeit sorgfältig timen, denn erst seit rund 7.300 Jahren sind Menschen überhaupt in Westfalen sesshaft. Davor streifte man umher, jagte, sammelte und suchte nach der nächsten Höhle. Aber irgendwann setzte dann die Revolution Jungsteinzeit ein, der Mensch begann mit Technik zu spielen und sie für sein Wohlbefinden zu nutzen. Diese Anfänge und ihre Wandlungen zeigt momentan das LWL-Museum für Archäologie in Herne.

Nichts ging natürlich von heute auf morgen, und die Sesshaften haben noch lange Zeit mit den Nomadischen zusammengelebt, aber wer primitive Werkzeuge oder Bauwerke erwartet, der liegt in Herne ziemlich falsch. Die Ausstellung zeigt mit Witz und Fantasie, dass das Leben damals nicht gerade einfach war und das Überleben oft ein Vabanquespiel. Schon vor dem Eingang steht das Skelett eines Auerochsen, der war beliebtes Wildbret zu der Zeit, aber wenn der Besucher näherkommt – so klein ist der gar nicht, und die Vorstellung, mit einem Speer und geschliffenem Stein vorne dran sollte man dagegen antreten… Danke auch.

Viele Dinge, die damals erfunden oder schon „in der Mache waren“ sind von unseren Werkzeugen heute nicht so weit entfernt. Das hölzerne Rad neben einem Pirelli Pneu an derselben Achse hat natürlich was – im Prinzip – denn auf John Boyd Dunlop mussten wir ja noch etwas warten. Und seine Erfindung lag Jahrtausende nach dem Auszug aus dem Paradies, der wohl irgendwo im Vorderen Orient begonnen hat. Das alles zeigt die didaktisch klug inszenierte Ausstellung in Herne. Nach einem kurzen Blick nach Göbekli Tepe, einer der ersten Steinbau-Kultstätten der Menschheit in der Türkei – dafür hat man die Vitrinen wie die Steinstelen dort gestaltet – geht es auch hinein in den radikalen Wandel des täglichen Steinzeitmenschen. Und der hat auch in Westfalen seine Spuren hinterlassen.

Genau dokumentiert wird die sogenannte Blätterhöhle in Hagen. Sie ist bis ins Mesolithikum genutzt worden, 450 Knochen haben die Wissenschaftler dort geborgen, darunter den Schädel einer jungen Frau, deren Gesicht man rekonstruiert hat. Sie gehörte vor rund 6000 Jahren zu den letzten Jägern und Sammlern. Ob sie auch durchbohrte Tier-Zähne als Schmuck getragen hat, wie sie in einer Grabanlage in Erwitte-Schmerlecke gefunden wurden, ist nicht bekannt. Alt geworden ist sie jedenfalls nicht. Woran das lag, zeigt ein einarmiger Bandit in Herne: Krankheit, Missernte, Klimawandel drohen. Ich habe Glück im Spiel mit dem Zufall ums Überleben. Mein Steinzeitjahr wäre zwar hart geworden, aber alle sind irgendwie satt geworden. Vielleicht hatte ich ja eine dieser Hütten gebaut, deren Bau in der Ausstellung zu sehen ist, oder meine Werkzeuge sind scharf genug gewesen. Um wirklich alle Aspekte dieses dramatischen Wandels der Menschheitsgeschichte zu erfahren, sollte man sich unbedingt den grandiosen 452-Seiten Katalog zulegen, hier sind auch alle Fundstellen in NRW aufgeführt und beschrieben. 

„Revolution Jungsteinzeit“ | bis 22.10. | LWL-Museum für Archäologie, Herne | www.lwl-landesmuseum-herne.de

PETER ORTMANN

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