„See androids fighting Brad and Janet“. Unweigerlich muss ich an die Rocky Horror Picture Show denken, als ich das riesige Tableau voller Münder im Entree der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen sehe. Es ist die Serie „Goldmund“ (2005) der Fotografin Herlinde Koelbl, die dort in einer umfassenden Werkschau auf allen Etagen gezeigt wird. Wer die Arbeiten der in erster Linie wichtigsten Dokumentarin deutscher Befindlichkeit noch nie gesehen hat, der wird in Oberhausen am Vater Rhein vorzüglich informiert, obwohl es in der letzten Zeit eigentlich viele Gelegenheiten in Nordrhein-Westfalen gegeben hat, ihren Werken im Original zu begegnen.
Angefangen hat alles mit der Serie „Das deutsche Wohnzimmer“ (1978-1980). Normale Menschen in ihrer gewohnten Umgebung. Keine inszenierte Fotografie, keine Studios waren dafür notwendig, Koelbl überließ ihren Protagonisten die Auswahl der Orte und der Requisiten. Und die eigene Selbstdarstellung, die gerade in den Wohnzimmern auch nach Jahrzehnten sichtbar macht, wie bei den Menschen die Reflexion des eigenen Ichs über Wohnkultur funktioniert. „Es geht mir bei meinen Langzeitprojekten darum, das Thema von allen Seiten zu beleuchten und in die Tiefe zu gehen“, sagte Koelbl, die die Schau in Oberhausen eigenhändig mit aufgebaut hat und nicht nur als Fotografin arbeitet. Für den „Goldmund“-Block hat sie Menschen zu ihrem Verhältnis zum Geld gefragt und was wäre, wenn man plötzlich reich wäre. Die Kamera friert nur die Mimik des Mundes ein, die Antwortenden bleiben auch in der Videoinstallation im obersten Stock anonym, wenn auch ihre Antworten zwischen Kauf des Kölner Doms und massenweise Kinderkriegen etwas verwirren. Und so geht es wieder weiter durch Haartürme (Serie: Haare 2001-07), nackte Menschen im Leiblichkeitsraum und über Jahre portraitierte Kinder (1990-94).
Auch die gnadenloseste Serie „Spuren der Macht“ war eine Langzeitstudie, bei der die Fotografin Personen des öffentlichen Lebens länger als ein Jahrzehnt beobachtete. Dabei ging sie der Frage nach, wie ein öffentliches Amt den Menschen physiognomisch verändert. Und da sind sie mal wieder komprimiert, die seriellen Fotos des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und seiner Amtsnachfolgerin Angela Merkel, sandgestrahlte Masken ohne Regung, nur die Augen verraten hier und da auch die Angst vor dem Versagen, selbst dem als Außenminister posenden Joschka Fischer ist die Anspannung ins Gesicht gegerbt. Das sind auch erschreckende Zeitdokumente, ähnlich den militanten „Targets“, die Koelbl gerade in Bonn ausgestellt hatte. Und dennoch. So unverwechselbar das Konzept ihrer Arbeit auch ist, so unterschiedlich sind ihre Serien in Bezug auf die jeweilige fotografische Arbeitsweise. Am tiefsten hat sie sich sicherbei der Arbeit „Jüdische Porträts“ (1986-89) hinter der Kamera verborgen. Hier gehörten auch die Antworten der abgebildeten letzten Zeitzeugen „untrennbar zum Werk hinzu“.
Herlinde Koelbl | bis 3.5. | Ludwiggalerie Schloss Oberhausen | 0208 412 49 28
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