Wer einen flüchtigen Blick in die Ausstellung von Luigi Ghirri im Museum Folkwang wirft, könnte meinen, dass x-beliebige Urlaubsfotos eines Italieners gezeigt werden. Auch den Namen wird kaum einer, der zufällig dort ist, kennen, denn „Karte und Gebiet" ist die erste große Einzelausstellung des Fotografen außerhalb seines Heimatlandes. Dort entdeckte der Landvermesser Ghirri (1943-1992) in seiner Freizeit die Fotokamera und wurde in den frühen 1970ern zu einem anerkannten Pionier der europäischen Farbfotografie. Oft durchstreifte er allein oder mit Familie die unterschiedlichen Lebensräume seiner Heimatstadt Reggio Emilia, hielt in kleinformatigen Bildern die Veränderungen seiner Umgebung fest, insbesondere bei den neuen Formen der Freizeitgestaltung, oder er dokumentierte die sich explosionsartig ausbreitende Werbung. Ghirri nahm so Tausende von Fotografien überwiegend frontal und in einer spezifischen, verhaltenen Farbigkeit auf. Über 300 zeigt das Museum Folkwang in der umfangreichen Präsentation über die Periode der 1970er Jahre. Viele davon sind in Serien geordnet, ein Prinzip, das Ghirri wohl bereits beim Abdrücken berücksichtigte. Und er bearbeitete sie auf eine sehr eigene Weise. Nicht nur in der Farbigkeit, wo sie zum Teil wie Postkartenansichten wirken, sondern auch in der kompositorischen Bildgestaltung. Grandios zum Beispiel die winzigen Blickfänger (ein „Azzurro“-Schild) vor einem endlos blauen Himmel in der Serie „Vedute“ (1970-1979).
Solche „Landmarken“, die eigentlich nur zufällig Bezugspunkte für den Blick des Betrachters in der freien Landschaft werden, hat er zu dramaturgischen Höhenpunkten erklärt, die ganze Sinnzusammenhänge markieren. Ghirri, der zu früh an einem Herzinfarkt starb, war ein außergewöhnlicher Künstler. Das sieht natürlich auch der britische Ausstellungskurator James Lingwood so, der die durch Europa tourende 800 Quadratmeter-Wanderschau in Essen zusammenstellte. Viele kannten seine Arbeit. Er sei nie wirklich berühmt gewesen, aber auch nicht unbekannt.
Zeitgenössische Fotografen, die als Ikonen der Fotografie gelten, kannten ihn und seine Arbeit. Denn er betrieb die Fotomontage nicht im Labor, sondern spürte sie in seiner Umgebung auf. Und das war schon in „Papplandschaften“ (1970-1973) einer frühen Serie so, wo sich Fotos in einer eigenen Landschaft behaupteten oder in eine für sie untypische Umgebung gebracht und dann neu fotografisch aufgearbeitet wurden. Aber immer waren die Orte Teil einer Peripherie, die sich entweder posturban dem eigenen Überleben widmen musste oder als ferner Urlaubsflutgraben bestehen wollte. Als finale Kardinalserie sei dafür die Serie „Atlas“ (1973) genannt, in der er die Reisen zu Orten selbst löschte, weil alle Wege längst gegangen, die Orte längst beschrieben und nur noch einzelne Zeichen einen Subtext generieren. Wunderbar und letzter Beweis die drei kleinen schwarzen Palmen auf einer Landkarte, deren Koordinaten keine Rolle mehr spielen.
Alle gezeigten 14 Serien wird man bei einem Besuch kaum fassen können. Viel Zeit und viel Konzentration werden dem Beobachter von Ghirris bunter Foto-Welt abverlangt. Und das Kleinformatige und die Abwesenheit von schnöder Inszenierung ist auch noch eine Meditation über die Wahrnehmung von Bildern und ihrem Bezug zur Realität heute.
Luigi Ghirri – Karte und Gebiet | bis 22.7. | Museum Folkwang Essen | www.museum-folkwang.de
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