trailer: Herr Gorschlüter, was ist bei der Besetzung eines Chefsessels im Museum Folkwang anders als bei der Deutschen Bank?
Peter Gorschlüter: Also ich komme hierhin, nicht nur weil ich Manager bin. In erster Linie bin ich Ausstellungsmacher und habe das in den letzten fast 20 Jahren gemacht. Ich komme nach Essen, weil mich die Inhalte interessieren und die Sammlung des Folkwang und weil ich denke, hier ist eines der deutschen Museen, das so breit aufgestellt ist, dass es meinen Ideen vom Zusammenspiel der Disziplinen entspricht. Gefühlt bin ich genau an dem Ort, wo ich hingehöre.
Diese riesige Sammlung mit Kunst aus drei Jahrhunderten – wie bringt man denn so einen Kunsttanker überhaupt in Bewegung?
Mir wird wichtig sein, dass wir die Disziplinen stark zusammen sehen. Ich bemühe da gerne das Bild eines Orchesters mit hervorragenden Musikern wie Streichern oder Blechbläsern, auch hier im Museum wird es darum gehen, dass alle gut zusammenspielen. Wir werden die Idee verfolgen, mehr als bisher, epochenübergreifende, medienübergreifende Ausstellungen zu machen. Eine andere Möglichkeit ist natürlich auch, Themenschwerpunkte zu setzen, wie in Fragen nach der Ästhetik der Großstadt oder wie sich die Ästhetik der Großstadt verändert hat, denn auch die ist ja ein Organismus, der ständig in Bewegung ist. Wir können zeigen, wie das die Künstler im 19. Jahrhundert, wie das die Fotografen Anfang des 20. Jahrhunderts und wie das heute die ganz jungen Künstler sehen, die auch in digitalen Medien arbeiten. So würden Ausstellungen entstehen, die thematisch miteinander verwoben sind, die sich gegenseitig bereichern und befruchten.
Das Museum Folkwang ist ja auch eingebunden in dieses touristische Konzept der Ruhr-Kunstmuseen. Es bleibt aber ein Solitär mit vielen hochkulturellen Alleinstellungsmerkmalen?
Natürlich ist es nicht nur für das Ruhrgebiet, sondern bundesweit und auch international ein sehr herausragendes Museum, das eine unheimlich große Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und es hat eine faszinierende Geschichte, die ja bereits auf das Osthaus-Museum in Hagen, dem ursprünglichen Folkwang Museum, zurückgeht. Ich mag den Begriff zwar nicht, aber es ist schon auch ein Leuchtturm, der trotzdem im Umfeld sehr verankert ist. Das wird mir auch zukünftig wichtig sein, immer wieder Kooperationen einzugehen, denn es gibt so viele spannende und gute Institutionen in der Region, die hier auf einem unglaublich hohen Niveau arbeiten, nicht nur in der Bildenden Kunst, sondern auch im performativen Bereich, wie die Ruhrtriennale, die Urbanen Künste Ruhr oder auch PACT Zollverein. Das geht weiter mit den wissenschaftlichen Institutionen – unser direkter Nachbar ist schließlich das Kulturwissenschaftliche Institut (KWI) –, auch die Universitäten, die hier im Ruhrgebiet ansässig sind. Also die Region hat ein wahnsinniges Potential.
Zusammenarbeit auch mit dem Ruhrmuseum auf Zollverein?
Insbesondere durch die große „Kunst und Kohle“-Kooperation in 2018, bei der die Zeche Zollverein und das Ruhrmuseum mit vielen anderen Institutionen im Ruhrgebiet wichtige Partner sind, haben wir ein gutes Beispiel, wie eine Region zusammenwirken kann, sich einen gemeinsamen Themenschwerpunkt setzt und jeder mit seinen spezifischen Möglichkeiten, seinen spezifischen Ideen dazu beiträgt.
Und für eine vernünftige Ortsbestimmung braucht man sowieso mehr als einen Leuchtturm?
Absolut. Ja.
Ist es nicht problematisch – um auf die Wechsel-Ausstellungen zurückzukommen – wenn Museen selbst zu Kunstproduzenten, zu Installationskünstlern werden?
Das finde ich nicht. Meine positivsten Erfahrungen waren die Momente, bei denen ich als Ausstellungsmacher bereit war, über den eigenen Schatten zu springen oder das Experiment zu wagen und zu sagen, ok, wir wissen noch nicht, was dabei rauskommt, aber lasst es uns machen. Die Künstler haben immer genau die gleiche Offenheit mitgebracht. Das bedeutet ein gewisses Risiko, das geht nicht immer gut. Aber wenn es gutgeht, ist es besonders stark. Ich sehe das Museum also schon auch als Ort der Produktion und nicht nur des Ausstellens. Da hat sich die Geschichte der Museen verändert, das betrifft nicht nur das Museum Folkwang, das betrifft viele große und auch kleinere Museen. Ursprünglich war das Museum nur eine Sammlung, die präsentiert wurde, dann kamen die Wechselausstellungen, die immer wichtiger wurden. Heute sind wir ein Ort, der ganz viele Elemente verbindet, an dem Vermittlung, Forschung und das Digitale eine Rolle spielen, und das koexistiert mit den Aspekten der Sammlung und des Ausstellens.
Jonathan Meese wird 2019 im Dortmunder Museum Ostwall die Sammlung neu konfigurieren. Sie haben Ähnliches im Sinn?
Ich glaube, es ist eine Entwicklung, die man in den letzten Jahren gut beobachten kann. Das passiert in vielen Museen, dass die Ausstellungsmacher oder die Leiter beginnen, das tradierte Verständnis von kunstgeschichtlicher Erzählung in Epochen zu hinterfragen und neue Perspektiven zu eröffnen. Meine Erfahrung ist, dass Künstler immer ganz besondere Blicke ermöglichen und damit auch etwas aufbrechen. Die Zeiten verändern sich, wir leben in einer globalisierten Welt, die andere Bedingungen, teilweise auch Widersprüche mit sich bringt. Permanent verändert sich unser Blick auf die Welt und es verändert sich auch der Blick auf die Kunst. Das muss ein Museum auch spiegeln und das habe ich in der Vergangenheit auch immer wieder gemacht. Ich habe zum Beispiel mit der holländischen Fotografin Rineke Dijkstra 2013 im MMK in Frankfurt eine Ausstellung eingerichtet, die das ganze Museum bespielt hat, und die ihr Werk in einen Dialog mit Werken anderer Künstler der Sammlung gesetzt hat. Für mich war es eine tolle und fruchtbare Zusammenarbeit und auch eine, die dem Publikum sehr gut gefallen hat.
Der Besucher, das unbekannte Wesen. Die Welt wird immer digitaler und es scheint auch immer dümmer. Ist die letzte Chance die Flucht in die Virtualität?
Nein. Die Welt verändert sich und es gibt sehr viele Dinge, die nicht mehr allein in unserer Macht stehen. Die technologischen Bedingungen, aber auch wirtschaftliche, teilweise gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche, rücken den Menschen immer mehr aus dem Zentrum. Ich denke, dass das Museum der Ort ist, in dem der Mensch noch im Zentrum steht. Kunst wird vom Menschen für den Menschen geschaffen. Also menschlicher geht es nicht. Wir müssen uns dieser Funktion und auch Stärke bewusst sein und da einen Gegenpol bilden, den Menschen suchen. Deswegen bin ich sehr optimistisch, dass die Museen auch in 100 Jahren und länger bestehen bleiben.
Und der Weg in die Sammlung des Museum Folkwang bleibt kostenlos?
Der Weg in die Sammlung bleibt kostenlos. Bis 2020 ist das auf jeden Fall gesichert und mein erklärter Wunsch ist, dass wir auch eine Lösung für die Folgejahre finden.
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