trailer: Herr Seelig, ein Werbespruch: Women of the world, raise your right hand. Das hat nichts mit dem verbotenen Hitlergruß zu tun?
Thomas Seelig: Das ist eine gute Frage. Aber nein, hat es nicht. Dennoch haben wir ihn genau deshalb als Haupttitel für die Ausstellung vermieden. Der Spruch steht im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung der Frauen und dass die sich ins Selbstbewusstsein eingespielt haben. Es ist das Zitat einer Kampagne des Diamanthändlers De Beers von 2003, die die selbstbewusste Frau in den Mittelpunkt gestellt hat. Die hatte die Bedeutung, dass bisher immer die Frau das begehrenswerte Objekt war, das beschenkt wurde, und jetzt sollte es die Frau werden, die sich selbst beschenkt.
Diamonds are forever – also alles nur ein Werbegag?
Wie es aussieht, scheint es ein Werbegag zu sein. Das war eine Kreation von den Machern. Die haben seit den 1940er Jahren in einer Art Lobbykampagne dahin gearbeitet, dass dieses Begehren gelenkt wurde. Dazu haben sie gleichzeitig den gesamten Diamantenmarkt auf der Welt gekauft, um ihn zu kontrollieren. So wurde dann das Begehren geweckt und damit Diamanten in der Wertigkeit weit nach oben geschoben.
Wäre für Marge Monko die Firma De Beers ein großer Bond-Bösewicht im Hintergrund? Oder doch nur einer von vielen?
Wenn ich mir ihr Werk anschaue, habe ich immer den Eindruck, dass es exemplarische Recherchen sind. Aus diesen gesellschaftlichen Phänomenen holt sie diesen kleinen Teilbereich heraus und untersucht ihn. Ob es jetzt De Beers mit den Luxusgütern ist oder auch eine Recherche über Öl mit BP oder anderen Firmen. Ich glaube, da ist die Künstlerin offen, welche Sachen sie anspringen.
Verhindert für die Künstlerin dieses gelenkte Verlangen vielleicht auch eine restlose Emanzipation?
Ich würde sagen ja. Sie sagt im Grunde genommen, wenn das alles so gelenkt ist, ist man auch manipulierbar. Ich habe sie persönlich als Künstlerin als jemanden kennengelernt, der sich auch begehrt fühlen will und das auch als Teil des Lebens wahrnimmt, aber sie kann sich eben gleichzeitig analytisch anschauen, wie die Mechanismen funktionieren.
Wie muss ich mir die Ausstellung vorstellen: Sehe ich viele Diamanten?
Nein. Wir sehen im Grunde genommen die Idee von Schaufenstern, von Displays, eine Videoinstallation. In den Installationen wird darüber reflektiert, wie Begehren gesteuert wird. Und, was für mich als jemanden, der hier im Museum Folkwang die fotografische Leitung übernommen hat, interessant ist: Marge Monko arbeitet mit Fotogrammen, sie arbeitet mit Reproduktionen von Werbefotografien der 1980er Jahre und sie arbeitet mit 3D-Animation – sie hat das gesamte Spektrum abgedeckt, wie Fotografie gelebt wird, in der Vergangenheit und heute, und da sind die Brücken in unsere eigene Sammlung sehr evident.
Sie sind der Kurator. Entsteht eine Dramaturgie, eine Geschichte oder sind es exemplarische Einzelarbeiten?
Marge Monko war letzte Woche hier und wir haben die Ausstellungsflächen nochmal durchgesprochen und im Grunde genommen habe ich den Eindruck, die gesamte Ausstellung mit allen Facetten ist ein Werk und ein Statement. Sie installiert verschiedene Werkgruppen, aber das eine spricht dabei mit dem anderen und bildet eine Referenz. Ich denke, dass ihre Gedankenwelt erst durch alle Werke zusammen voll erfasst wird.
Rollenspiele in der Fotografie. Ist das vielleicht auch der lange Schatten von Cindy Sherman?
Cindy Sherman war nicht die erste, sondern die Arbeiten der 1980er und der späten 1970er Jahre. Claude Cahun wäre für mich ein frühes Beispiel, aber es gibt auch im 19. Jahrhundert Beispiele von Rollenspiel in der Fotografie. Das Medium ist prädestiniert für dieses Genre. Marge Monko hat nur ein Beispiel in der Ausstellung, wo sie selbst auch noch fotografiert hat, ansonsten sind das alles Rollen, die schon einmal in der Welt waren und durch Werbefotografie formuliert worden sind.
De Beers Strategie, eine Ehe ohne Diamantring sei nicht vollständig, hat die Frauen damals erreicht. Funktioniert das heute auch noch so einfach?
Ich glaube, durch Kampagnen kann man wahnsinnig perfekt steuern, welche Begehrlichkeiten es auch heute gibt. Vor zwei Wochen ist mir die schiere Menge von Weihnachtsschmuck in einem Kaufhaus aufgefallen: Aus meiner Jugend kenne ich das nicht. Da lagen drei Geschenke unterm Baum oder meinetwegen auch zehn, aber dass das ganze Wohnzimmer vollgestopft wird mit Deko, ist eher eine amerikanische Idee. Auch das wird meiner Meinung nach ganz subtil gesteuert und irgendwann sind wir bei amerikanischen Verhältnissen und haben unsere Hütten genauso vollgestellt wie das beispielsweise in den Filmen zu sehen ist. Man kann schon viel lenken.
Die Ausstellung heißt „Diamonds Against Stones“. Wird es eine Renaissance der Steine geben?
Als Gegenpol zum Kommerz? Ja, das gibt es heute schon. Entschleunigung und dass man sich in den Wald zurückzieht oder die Erkenntnis, dass Zeit unser neues höchstes Gut ist. Wobei die Gegenbewegung immer das ist, womit wir uns gerade auseinandersetzen. Von daher haben auch Steine eine gewisse Schönheit.
Marge Monko – Diamonds Against Stones | 22.2. - 5.5. | Museum Folkwang Essen | www.museum-folkwang.de
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