Manchmal teilen die kleinen, beiläufigen Werke auf Papier am meisten mit. Zwar ist Josef Albers (1888 in Bottrop - 1976 in New Haven) im Museum Quadrat Bottrop, das nach seinem Ehrenbürger benannt ist, allgegenwärtig; seine konstruktive Farbfeldmalerei, die den Geist des Bauhauses trägt, schwingt noch bei der Konzeption der zeitgenössischen Wechselausstellungen mit. Und was seine eigene Kunst betrifft, so ist er dort mit seinen berühmten Gemälden, der „Hommage to the Square“ sowie Beispielen präkolumbischer Kunst aus seinen vielen Reisen nach Mexiko und Lateinamerika, ständig präsent.
Aber die aktuelle Ausstellung der kleinformatigen Papierarbeiten ist doch – als Leihgabe der Josef and Anni Albers Foundation in Bethany/Connecticut – eine Erweiterung unseres Wissens. Sie umfasst wesentliche Stationen von Albers' Werk seit seiner Übersiedlung nach Amerika 1933. Zu sehen sind – schon in den Rahmungen nobilitiert – ebenso Studien, Farbproben wie auch fertige Malereien auf Papier und auf Karton. Aber wo endet die Skizze und wo beginnt das Bild? Albers braucht kein Lineal, um zwei Farben aneinander grenzen zu lassen und das Bildfeld zu ordnen. Die Partien verdeutlichen sich im Kontrast, wobei der Auftrag bei diesen Blättern oft faktisch und flockig ist: Farbe ist als Farbe empfunden. Hier nun, in der Ausstellung, ist jedes Blatt ein Ereignis und Erlebnis, auch weil die Ölfarbe die unterschiedlichen Papiersorten sozusagen streichelt und das Sinnliche und Intensive der Malerei sichtbar wird. Mitunter hat Albers auf das Blatt geschrieben oder in die Farbe gekratzt und damit die analytische Planung und den Bezug zu der Organisation der Gemälde weiter zum Ausdruck gebracht. Die Gemälde selbst sind konsequenterweise in die Bottroper Ausstellung integriert. Auch wenn Albers' Sache das Quadrat und deren feldartige Umgebung ist, er damit Farbklänge und den Bildraum auslotet und damit weltberühmt wurde: Er hat darüber hinaus weitere Systeme und Organisationsformen erkundet und durchexerziert. Das zu entdecken ist sehr anregend, kurz: Auch ein kleines Format kann ein Feuerwerk entfachen und eine ganze Welt enthalten.
Farbe als Ausdrucksmittel
Ein anderer Kolorist in dieser Zeit ist Emil Nolde (1867-1956), der – im Gegensatz zu Albers, der seine Arbeit am Bauhaus ab 1933 als Direktor am Black Mountain College in North Carolina fortgesetzt hat – immer in Deutschland geblieben ist. Auch bei ihm passieren die wichtigen Dinge, wenn eine Farbe sich über die Fläche ausbreitet und die Töne aufeinander stoßen und sich gegenseitig aktivieren. Aber während Albers in der Hauptsache ein durch und durch gegenstandsfreier Maler ist, widmet sich Nolde immer dem Gegenständlichen: dem, was er in der unmittelbaren Anschauung sieht. Dabei erweist sich die Landschaft als das große Thema dieses Vertreters der expressionistischen Malerei in Deutschland. Es macht also Sinn, seine Kunst anhand seiner Reisen zu untersuchen. Im wesentlichen aus dem Bestand der Nolde Stiftung in Seebüll ist dazu eine Ausstellung im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm zu sehen, die mit ihrem guten Publikumsbesuch noch unterstreicht, wie populär Nolde auch heute ist. Und die Besucher kommen auf ihre Kosten: Das gesamte Werk Noldes wird aufgefächert mit Arbeiten, überwiegend auf Papier, die zwischen 1907 und 1946 entstanden sind, ebenso mit Porträts – u.a. die Zigeunerbilder – und Landschaften, die auf seinen Reisen in Deutschland, Spanien und der Schweiz entstanden sind; schon die Umstände der Malerei unterwegs erklären den Umgang mit dem Aquarell auf Papier. Das Transparente, leichthin Fließende bringt zugleich eine Intensivierung mit sich. Eindrucksvoll ist natürlich, wie Nolde Atmosphäre erzeugt, vor allem bei den Gebirgs- und den Seestücken. Das Gegenständliche (das Schiff auf der Meeresfläche; die Bäume) ist dabei weitgehend abstrahiert, löst sich als Farbe auf und ist doch eindeutig vermittelt.
Sozusagen als Kür werden noch Werke von Christian Rohlffs gezeigt, dem aus Hagen stammenden Zeitgenossen von Nolde, der ebenfalls zu den wichtigen, fortschrittlichen Malern im Bereich der Gegenständlichkeit gehörte. 1905/06 hielt sich Emil Nolde in Soest auf, wo er mit Rohlffs Kontakt hielt. Mit diesem Konzept aber schließt die Ausstellung an diejenige mit Paul Klee und Lyonel Feininger an, die am gleichen Ort vor zwei Jahren stattfand.
Gegenüber den avantgardistischen Unternehmungen der Mitte des 20. Jahrhunderts waren Albers und erst recht Nolde freilich schon halbe Klassiker – allgegenwärtig und hochgeschätzt zwar, aber nunmehr doch auf Pfaden unterwegs, die sie selbst angelegt und ausgetreten hatten. Ab den 1950er Jahren trat parallel dazu in Deutschland das Informel auf den Plan, als Malerei und Zeichnung, die sozusagen aus Frankreich importiert worden war. Das Gegenständliche ist für diese Kunst passé und auch das streng Geometrische liegt dem Informel fern – vielmehr geht es den Künstlern nun um die unmittelbare spontane Geste: die Erfassung des Augenblicks, im expressiven Vortrag der Farben. Das belegt im Lübcke-Museum in Hamm parallel zur Nolde-Ausstellung eine Schau aus den Beständen der eigenen Sammlung. Dort deuten sich aber auch die Schattenseiten dieser Strömung an: Plötzlich malten Legionen von Künstlern so, das Informel wurde inflationär.
Hingegen beschränkt sich eine Ausstellung im Museum Folkwang in Essen auf die Koryphäen aus Deutschland, Frankreich und Belgien. Wie sehr das Informel mit seinem Vortrag des abstrakten Gestus einer genauen Konzeption folgt und wie entschieden dabei jeder der führenden Maler eine eigene Handschrift verfolgt, das teilt die Essener Schau mit. Eigentlich nur eine Passage, als Ausstellung der Grafischen Sammlung, sind dort verschiedene druckgraphische Serien etwa von Hans Hartung, Ernst Wilhelm Nay und Pierre Soulages zu sehen. Anschaulich wird, welche wichtige Rolle die Farbe (auch da, wo sie zurückgenommen ist!) spielt und wie sehr diese Künstler einzelne Formideen variieren und sich dabei stilistisch treu bleiben. Ausgestellt sind typische Werke, auch für die Malerei. Da sind von Hans Hartung ausfasernde Schwünge zu sehen, die sich in feinsten Linien im Bildfeld ausbreiten. Hann Trier zeichnet gestrickte dunkle Netze, die über einzelne Farbpartien geworfen scheinen. Ernst Wilhelm Nay ist mit seinen bekannten monochromen Fetzen und Kreisen vertreten, die sich im Bild hin und her schieben. Deutlich wird die Bedeutung dieser Druckgraphiken noch, indem einige Gemälde der gleichen Künstler integriert sind, aus der Sammlung des Museum Folkwang.
Erstaunlicherweise ist jedoch nicht Emil Schumacher dabei. Gemeinsam mit Hans Hartung, der in Südfrankreich tätig war, ist er der wohl international erfolgreichste deutsche Künstler im Radius von abstraktem Expressionismus und Informel. Immerhin gibt es ganz in der Nähe ein eigenes Museum für Schumacher: in seiner Heimatstadt Hagen, als Teil des dortigen Museumsquartiers mit dem Osthaus Museum. Und dort, im Schumacher Museum, sind derzeit seine Graphiken zum Buch Genesis ausgestellt. Sie schließen direkt an die Konzeption der Essener Schau an.
Emil Schumachers „Genesis“ beinhaltet 18 Graphiken, die auf Acetatdruckfolien mit plastischen Oberflächen geschaffen und in Jaffa, Tel Aviv gedruckt wurden – das ist programmatisch zu verstehen bei diesem Text, der die Schöpfung der Welt bis zum Turmbau von Babel schildert. Als Buch bilden die Graphiken ein Gesamtkunstwerk, noch zum Blättern und in Hebräisch mit deutscher Übersetzung. 1998, kaum ein Jahr vor seinem Tod realisiert, zeigt es, wie vital der 1912 geborene Schumacher bis zuletzt in seinem Hagener Atelier gearbeitet hat. Und er kehrt mit der biblischen Vorlage und in ihrer Transzendierung stärker zum Gegenständlichen zurück, das sich in seinem Werk immer in einer starken Spannung, und oft genug Ablösung, mit der expressiv vorgetragenen Farbe verhält. Ja, vielleicht ist Schumacher derjenige unter den großen Künstlern des Informel, der am stärksten noch mit der Idee des Gegenständlichen handelt. Das Reizvolle dieser Ausstellung ist die Umsetzung als Serie und der Umgang mit dem kleinen Format, auf Papier – auch auf diese Blätter trifft zu, was schon für die Papierarbeiten von Albers, Nolde und die informellen Druckgraphiken gilt: Sie verdichten die Ideen der größeren Tafelbilder, ja, legen sie noch frei. Kurzum, eine wichtige Ausstellung.
„Josef Albers in Amerika – Malerei auf Papier“ I Bis 19.6. I Josef Albers Museum Quadrat Bottrop I 02041 297 16 I www.quadrat-bottrop.de
„Emil Nolde – Reiselust“ I Bis 19.6. I Gustav-Lübcke-Museum Hamm
02381 17 57 01 I www.hamm.de/gustav-luebcke-museum
„Formexperimente – Druckgrafische Folgen des Informel“ I Bis 3.7.I Museum Folkwang I www.museum-folkwang.de
„Emil Schumacher – Das Buch Genesis“ I Bis 19.6. I Schumacher Museum in Hagen www.esmh.de
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