Erst einmal Atem holen. Die Ausstellung von Frank van Hemert im Museum Hamm wirkt in ihrer Reihung, ihrem Über- und Nebeneinander ausgesprochen ruhig, verteilt sich in der Weite des Raumes – ist also ganz anders, als es die Themen und der Gestus seiner Malereien und Zeichnungen vermuten lassen. Aber auch in den Bildern selbst sind die Unruhe und das Drängende der Anliegen gemildert. Die Motive stehen für sich; als Malerei sind sie direkt mit dem Bildgrund verwoben, aber auch von diesem umfangen. Frank van Hemert formuliert Körperfragmente und Natur in fortgesetzter Abstraktion, verzichtet aber nicht gänzlich auf Gegenständlichkeit: Es ist eine Ahnung vom Menschen und vom Leben. Er trägt dies lebhaft und meist mit leuchtenden, glühenden Farben vor, die noch fließen und tropfen, wie für einen Augenblick gebannt sind und das Flüchtige in der Behauptung bewahren.
Es ist dieser Zustand von körperlicher Präsenz und angedeuteter Transzendenz, mit der Frank van Hemert 1982 quasi über Nacht bekannt wurde, als er als einer der jüngsten Teilnehmer zur documenta nach Kassel eingeladen wurde. Angesagt war in dieser Zeit eine heftige figürliche Malerei, der es mit expressivem, oft noch spontanem Duktus um eine Bannung der unmittelbaren Umgebung und der eigenen Lebenserfahrungen ging. Die Generation der „Jungen Wilden“ trat mit Gruppierungen und Mitläufern, aber auch mit Einzelgängern auf, die wie Frank van Hemert einen nachdenklicheren Ton anschlugen, dazu gehören etwa auch Martin Disler und Erwin Gross, der wie Hemert an den Ateliers '63 in Haarlem studiert hat.
Waren die Arbeiten von Frank van Hemert in dieser Zeit noch sparsam und knapp, mehr geschlossene, abstrakte Zeichen, so wird das Werk später direkt, ohne aber das Grüblerische aufzugeben. Der malerische Prozess handelt zunehmend mit Impulsivität sowie mit der Konfrontation komplementärer Farben, teils auch als Collage oder collagenhaft. Die Themen werden deutlich existenziell. Zu Recht weist die Kuratorin der Ausstellung in Hamm, Diana Lenz-Weber, in ihren Texten auf den Aspekt des Menschlichen hin: dass Frank von Hemert nach Sinnbildern für das Leben sucht und den Menschen in seinem Dasein und Handeln verstehen möchte.
Ein humaner Ansatz
Das Humane und Existenzielle seines Werkes teilt Frank van Hemert, der 1956 in Kerkrade geboren wurde und heute in der Nähe von Amsterdam lebt, schon in den Titeln seiner Werkreihen und im Untertitel der Ausstellung mit: „aus der Reihe: Birth Copulation Death“. Es geht ans Eingemachte, an die kollektiven Erfahrungen, mit denen jeder konfrontiert wird, zwischen Geburt und Tod, Vereinzelung und Sexualität. Radikaler als die Malereien, die immer noch durch die Farbigkeit gemildert sind, sind natürlich die Blöcke von großformatigen Handzeichnungen. Direkt an der Wand befestigt, geben sie sich erst auf den zweiten Blick in ihrer Motivik als Körper oder Paar zu erkennen. Hier nutzt Frank van Hemert das ganze Palette der Grauwerte und der Andeutung durch einfache Striche und Überlagerungen: Er entkernt sozusagen das Geschehen und legt Physis und Psyche frei.
Die Malereien entstehen ebenfalls in Werkreihen, auch als einzelne sind sie oft zwei- oder mehrteilig, verfügen dann über ein Sujet, ja, sie sind sogar analog aufgebaut. Frank van Hemert setzt dabei auf Symbole. Dazu gehören – zu sehen in der Ausstellung im Gustav-Lübcke-Museum – die Sonnenblumen (die natürlich an Vincent van Gogh denken lassen), oder die Engel, oder etwa die Beinpaare, die auf einem Bett stehen und aus der Darstellung ragen. Zu sehen ist dies in der Bildreihe der „Hölderlintürme“, welche auf den labilen Aufenthalt Friedrich Hölderlins in Tübingen anspielt, aber das nur als Ausgangspunkt verstanden wissen möchte. Es gibt auch populärere Motive, in der Folge der „Ikonen“, etwa mit Marilyn Monroe oder einem Schiff mit der amerikanischen Flagge. In Hamm entsteht aus all dem eine Ausstellung prächtiger Malerei, in genauer Ordnung und Rhythmisierung, dabei großzügig innerhalb von Feldern und Blöcken angeordnet – so dass man sich wundert, dass hier tatsächlich über 100 Bilder hängen –, bei der die kargen, Leiber andeutenden Ölkreidezeichnungen mit den großformatigen Malereien wechseln. So oder so, für Frank van Hemert bewährt sich das Bild als ereignisreiches Kontinuum zwischen Subjektivität und objektivem Bestand. Und aus der Frage nach dem Sinn des Lebens erwächst hier schließlich, ganz direkt und entschieden, nicht mehr und nicht weniger als Schönheit.
„Frank van Hemert: Unverschämte Schönheit“ I Bis 10.7.
Gustav-Lübcke-Museum Hamm I 02381 17 57 01
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