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Marcus Bensmann stellt die Ergebnisse seiner Recherche im Essener Correctiv-Buchladen vor.
Foto: Jan Turek

„Diese Nähe darf nicht passieren“

02. März 2020

Interview mit Marcus Bensmann: Wusste Ratzinger von pädophilem Priester? – Spezial 03/20

trailer: Herr Bensmann, langfristige Recherche ist im Journalismus selten geworden. Ist das die Nische des Correctiv?

Marcus Bensmann: Correctiv ist nicht nur lange Recherche. Wir müssen auf die Medienkrise eine Antwort finden. Es gibt nicht mehr klassisch Sender und Empfänger Früher musste man sehr viel Geld haben, um eine Zeitung oder einen Fernsehsender zu bespielen. Heute ist jeder ist sozusagen seine eigene Druckerei. Journalisten sind nicht mehr Gatekeeper, sondern wir schwimmen mit dem Strom. Unser Ansatz ist es daher, gemeinsam mit den Leuten, Geschichten zu machen. Recherche ist natürlich schon wichtig, aber sie ist nur möglich, weil wir mit den Menschen zusammenarbeiten. Man geht aufeinander zu und hört einander zu. Gleichzeitig bieten wir aber auch die Möglichkeit, in diesem Informationsstrom mitzuarbeiten. Correctiv ist nicht nur die lange Recherche. Correctiv ist auch Ausbildung. Und Correctiv ist Community: das heißt nicht über die Gemeinschaft, sondern mit der Gemeinschaft zu recherchieren und zu arbeiten.

Heute kann jeder in den Sozialen Medien Nachrichten verbreiten und sich Journalist nennen. Wie lässt sich ein Qualitätsanspruch aufrecht erhalten?

Mit unserer Reporterfabrik schaffen wir Online-Tools, wo man lernen kann, wie man Interview führt, wie man an eine Quelle kommt, wie man verständlich schreibt. Journalismus ist keine gottgeküsste Kunst, sondern ist erlernbar. Was wir machen, ist auch Handwerk.

Wie kamen Sie auf das Thema des pädophilen Priesters?

Wir waren in Bottrop, um über den Fall einer Apotheke zu recherchieren, aus der viele Menschen gestreckte Krebsmedikamente bekommen haben. Dort stießen wir auf die Geschichte, dass nicht nur in der Apotheke ein Verbrechen passiert ist, sondern Ende der 70er auch in der Kirche direkt gegenüber. Das haben wir uns dann näher angeguckt: Wir erfuhren den Namen Peter H.. Als wir ihn gegoogelt, haben, fanden wir einen Artikel von 2010 über ihn und seine Nähe zu Ratzinger. Diese Geschichte fing in Essen an. Aber wir hatten Fälle aus Bottrop – unter anderem den von Markus Elstner. Von Bottrop ging H. nach Essen Rüttenscheid. Dort haben sich dann Eltern beschwert und wurde er nach München versetzt.

Wurde H. auch schon aus solchen Gründen nach Essen versetzt?

Das ist die große Frage. Ich habe das Bistum gefragt. Die haben gesagt, es läge dazu keine Aktennotiz vor. Aber es gibt Gerüchte, die das besagen.

Und an der Versetzung nach München war dann Ratzinger beteiligt?

Es muss ungefähr so gelaufen sein: Es gab die Bitte „Wir haben hier einen Priester, bei dem es ein Problem gibt. Aber es gibt kein Verfahren. Der muss zum Psychiater. Der muss zum Pfarrhof, zu einem verständigen Priester und kann auch eigentlich direkt wieder eingesetzt werden.“ In München hieß es dann wohl „Ah, wunderbar, wir haben hier Psychiater und Pfarreien.“ Das wurde im Januar 1980 in einer Ordinariatssitzung entschieden. Ratzinger war als Erzbischof dabei. Die New York Times sagt, Ratzinger hätte damals beide Entscheidungen mit getroffen: zum Psychiater und die Weiterversendung in die Pfarrei. Der Vatikan sagt, er habe nur beim Psychiater zugestimmt. Das andere seien seine Unterlinge gewesen. Diese hätten dafür auch die Verantwortung übernommen. Wenn man aber Kenntnis vom betreffenden Schriftverkehr hat, stellt man fest, dass es nie zur Debatte stand, dass H. nicht in die Gemeinde eingesetzt würde. Man ging davon aus, dass es passiert. Der Beschluss war der Psychiater. Das andere wurde als Normalität angesehen. Natürlich war Ratzinger davon auch ein Teil.

Der Psychiater hat H. dann getroffen und erkannt, dass er noch immer gefährlich ist. Was war dessen Empfehlung?

Er hat drei Regeln aufgestellt: 1. Kein Kontakt mit Kindern, 2. kein Alkohol und 3. unter Aufsicht. Trotzdem wurde er dann weiter eingesetzt, auch weiter in der Ministrantenarbeit. Das ist in meinen Augen das frappierende: Was will man denn mehr als eine Warnung?

Diese Warnung erhielt dann Weihbischof Heinrich von Soden-Fraunhofen?

Genau. Er war der Mann, der in der Bayrischen Kirche am besten über die Gefährlichkeit von H. Bescheid wusste.

Wie ging es dann für H. weiter?

Er kam nach Grafing bei München. Dort wurde er dann wieder auffällig. Anders als in Essen, sind die Eltern nicht nur zur Kirche gegangen, sondern haben Anzeige erstattet. 1986 wurde er zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt – für 12 Missbrauchsfälle in einem Jahr. Während und nach dem Prozess kam er kurz ins Archiv und in ein Altenheim und dann nach Garching an der Alz. Dort war er dann sehr lange, von 1986 bis 2008.

Dort traf er dann auf den mittlerweile emeritierten von Soden-Fraunhofen?

Genau. Der kam nach Engelsberg. Das ist ein Nachbardorf von Garching. Beide Orte bilden einen Gemeindeverband. H. und Soden-Fraunhofen haben zusammengearbeitet, gemeinsam Messen gelesen und auch gemeinsam Kindersegnungen mit Handauflegen durchgeführt. Beide galten als Leiter der Gemeinde. H. war zuständig für die Ausbildung von Ministranten. Bei einem Pfarrfest gab es einmal Schmierereien an einer Wand, die sinngemäß „H. liebt Jungs“ bedeuteten. Es gab Gerüchte, ob an den Vorwürfen was dran sein könnte. Währenddessen saß von Soden-Fraunhofen in Engelsburg, schwieg und sagte nicht „Ja, da gibt es ein Problem. Es gab eine Verurteilung“. Nichts. Auch dem Erzbistum hat er nur positiv über H. berichtet.

Im Jahr 2000 wurde der Weihbischof dann krank und wurde von Ratzinger besucht, mit dem er befreundet war. Es heißt, dort sei Ratzinger auch auf H. getroffen.

Gänswein, der Privatsekretär von Ratzinger, dementiert das aber für Ratzinger. Andererseits erzählen Menschen aus der Gemeinde, dass H. das direkt erzählt hat. Über Jahre kursierte auch ein Gesprächsprotokoll in der Kirche, in dem es von H. heißt, er habe Ratzinger getroffen. Jeder wusste, dass dieser Fall um Ratzinger eine Bombe ist: Diese Nähe darf nicht passieren.

Es wäre ja verständlich, dass Ratzinger sich 2000 nicht mehr an H. erinnert hat – einen 20 Jahre alten Fall. Naheliegend wäre auch, dass der Weihbischof auf dem Sterbebett besseres zu tun hat, als mit seinem alten Freund über H. zu sprechen. Wäre es nicht möglich gewesen, einzugestehen, dass er ihn möglicherweise getroffen hat, aber nicht wusste, wer der Mann war?

Das wäre schwierig gewesen. Er war ja Chef der Glaubenskongregation. In anderen Fällen war er ziemlich rigide. Dass nicht gewusst wurde, ist nicht nachvollziehbar. Und auch Gänswein sagt „Es war bekannt, dass …“.

2010 wurde schon einmal über den Fall berichtet. Was sind die neuen Erkenntnisse ihrer Recherche?

2010 ging es um die Versetzung. Damals schrieb die New York Times, Ratzinger hätte zu verantworten gehabt, dass H. trotz seiner Gefährlichkeit weiter in der Gemeindearbeit eingesetzt wurde. Der Vatikan entgegnete, dass Ratzinger nur damit zu tun hatte, dass er zum Psychiater kommt. Unsere Geschichte ist das Treffen, das 20 Jahre später stattfindet, bei seinem Studienkollegen, der angeblich den H. überwachen sollte. Ob ein persönliches Treffen stattgefunden hat, oder nicht: Sie waren an einem Ort. Es gibt eine neue Nähe, die das Dementi von damals abschwächt. Es hat ja fast etwas von einer griechischen Tragödie, dass dieser Mann dem Papst zum Verhängnis wird: Ratzinger will seinen Studienfreund besuchen und reist in denselben Ort, in dem der Mann Pfarrer ist, der dort nie hätte Pfarrer sein dürfen. Auch die Nähe von Ratzinger und von Soden-Fraunhofen zeigt die Verbindungen von Missbrauchstätern bis in die höchsten Kirchenämter.

Von wie vielen Opfern von H. wissen Sie heute insgesamt?

Alleine ich bin mit meinen Recherchen auf über zehn gekommen. Es ist insgesamt von 28 Opfern die Rede. Nach Kirchenrecht wurde er aber nur wegen sieben verurteilt. Und es gab den Fall, wegen dem er auch verurteilt wurde: wegen zwölf Opfern in einem Jahr. Er hat einfach zugegriffen, wie er wollte. Und ich glaube, die Dunkelziffer ist immer noch sehr groß.

Finden Sie, dass die Institution Kirche solche Fälle begünstigt?

Sie hat sie begünstigt und das muss sie begreifen. Ich würde mir wünschen, dass diese Recherche zur Folge hat, dass es nicht funktioniert, den Ratzinger aus der Sache raushalten, dass die Kirche ohne Ansehen von Person sagt „Das ist falsch gelaufen“.

Und glauben Sie, dass der Zölibat auch eine Ursache ist?

Er begünstigt es mit Sicherheit.

Sind Sie der Meinung, dass ein solcher Fall heute noch möglich wäre?

Ich weiß es nicht. Aber ich denke, inzwischen ist sehr viel geschult worden. Ich denke, diese Diskussion hat schon eine Sache gebracht: So wird es nicht wieder geschehen. Ich denke, dass alle derartigen Institutionen sensibilisiert sind, dass das schwer möglich ist. Andererseits ist erst im letzten Winter in Bochum der Fall eines Priesters hochgekocht, der wegen Missbrauchs verurteilt war, aber wieder in die Gemeinde eingesetzt worden ist.

Was sollte die Kirche jetzt tun?

Endlich Ross und Reiter nennen – ohne Ansehen von Person, Verantwortung übernehmen und die Opfer entschädigen. Und vielleicht noch wirklich alle Akten öffnen. Die Opfer der damaligen Zeit leben immer noch. Für die ist es nicht abgeschlossen.

Ist, Ihrer Meinung nach, Ratzinger in irgendeiner Weise in Missbrauchsfälle verstrickt?

Ich finde, er ist verstrickt, weil er dieser Kirche vorsteht. Er ist nicht nur ein alter Mann, denn er greift noch in Diskussionen ein, verteidigt den Zölibat. Ich glaube, er hat es bis heute nicht verstanden. Vielleicht hat er wirklich das Gefühl, die Kirche verteidigen zu müssen oder ein Verteidiger des Glaubens zu sein. Aber dazu gehört vielleicht auch das Geständnis, es nicht geschafft zu haben.

Gab es bei Ihren Recherchen Druck auf Sie und Mauern, vor denen Sie standen?

Ja, die gab es schon. Aber andererseits gab es auch immer wieder Leute, die was erzählt haben, sonst hätten wir diese Geschichte nicht machen können.

Glauben Sie, dass Sie aus diesem Fall noch weitere Informationen bekommen können?

Ja, glaube ich.

Und Sie erwähnten, dass Sie an einem weiteren Fall zu diesem Thema arbeiten.

Ein Fall ist fertig. Der wird veröffentlicht.

Jan Turek

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