trailer: Mein erstes Comic-LP-Plattencover war 1970 von King Crimson, mein meist geliebtes ist „Ziggy Stardust“ von David Bowie, meine letzte CD wohl „Silver Surfer“ von Joe Satriani. Was ist denn in der Ausstellung zu sehen?
Eckart Sackmann: Tut mir leid, keines davon. Keines davon entspricht den Vorgaben für die Auswahl. Vielleicht sollte ich den Untertitel „Die Comic-Cover“ näher erklären. Auf unserem Plakat steht es ausführlicher: „Schallplattencover von bekannten Comiczeichnern“. Es sind also nur Vinyl-Plattencover zu sehen, keine CDs. Und die müssen dann von Comiczeichnern entworfen worden sein, die zu Hoch-Zeiten der LP Rang und Namen hatten, also in den 1970er und 80er Jahren.
Hört sich kompliziert an...
Ist es aber nicht. Ausgangspunkt ist nicht, dass das Cover Comic-Elemente aufgreift oder gar Comic-Figuren. Es geht um den künstlerischen Seitensprung, wenn man so will, von Comiczeichnern, die eine Nähe zur Musik entdeckt haben. Diese Beziehung war damals normal. Es war eine Zeit, in der beide Kulturformen, die der Rockmusik und die des Comics für „erwachsene“ Leser, sich enorm entwickelten. Damals träumten viele Comiczeichner davon, mal ein Plattencover entwerfen zu dürfen und die Gruppen, Sänger und Plattenfirmen kannten in den meisten Fällen die gängigen Comics und fühlten sich geschmeichelt.
Nur Zeichner? Keine Zeichnerinnen?
Fast nur Zeichner. Ich glaube, unter den 350 Beispielen im Katalog sind nur drei von Frauen gestaltet. Dafür gibt es mehrere Gründe: Bis zum Auftauchen von Mangas, von „Sailor Moon“, war der Comicbereich männlich geprägt. Männer zeichneten Abenteuercomics für große Jungs. Also lasen Mädchen kaum Comics, bis auf „Micky Maus“ vielleicht. Sie verpassten damit einen Teil der kulturellen Bildung – aus heutiger Sicht gesehen, denn natürlich sind Comics ein wichtiger Kulturbereich. Und es waren meist männliche Jugendliche, die sich für Rockmusik interessierten. Ihre Freundinnen liefen mit, wenn es zum Konzert ging; sie waren nur schmückendes Beiwerk. Im Bereich der Fantasy- und Science-Fiction-Illustration kam Frauen die Rolle der „ancleclinger“ zu: eine leichtbekleidete, vollbusige Schönheit, die zu Füßen des Helden saß und von ihm beschützt werden wollte. Voll chauvinistisch, nicht? In der Ausstellung ist so was nicht zu sehen: Die Top-Zeichner hatten künstlerische Ambitionen.
Wie viele Plattencover zeigt die Oberhausener Ausstellung?
Gut 150 und die hängen dicht an dicht, weil der Raum nicht mehr hergibt. Das verleiht dem Ganzen einen besonderen Charme. Hätte man alle Cover so gehängt, wie man Kunst normalerweise präsentiert, hätte ich das ganze Museum füllen können.
Alle gesammelt oder ausgeliehen?
Alle gesammelt. Die Mode, Plattencover von Comiczeichnern zu sammeln, kam in den 1980er Jahren in Frankreich auf. „Pochettes BD“ war eine extra Rubrik im französischen Comic-Preiskatalog. Ich bin seit 40 Jahren in der Comicszene beruflich unterwegs, und so bin ich um 1990 herum rein zufällig in einer der ersten Ausstellungen dieser Kunst gelandet, in Blois, in Mittelfrankreich. Da ich natürlich auch mit Beat und Rock großgeworden bin, fand ich die Kombination faszinierend. Und so habe ich bald selbst „gegrabbelt“, das heißt, die Regale der Plattenläden nach Comic-Covern durchblättert. Rechtzeitig, zum Glück. Heute wäre es kaum noch möglich, solch eine Sammlung zu komplettieren. In Frankreich werden einige dieser Cover inzwischen recht hoch gehandelt. Man muss in den Ländern suchen, in denen die Platten erschienen sind. In Deutschland habe ich Cover von deutschen Zeichnern gefunden, damals aber auch viele Amerikaner. Das Internet gab es noch nicht, das war alles Hand- und Fußarbeit.
Und heute ist es eBay?
Zur Vorbereitung der Ausstellung habe ich auch über eBay Platten dazugekauft, die mir wichtig schienen. Und da habe ich gemerkt, dass diese Art des Sammelns – eher des „Zusammensammelns“ – schnell ins Geld geht. Im Netz gibt es für Plattensammler heute den großartigen Katalog von Discogs. Der verzeichnet in vielen Fällen auch die Urheber der Cover-Illustrationen. Natürlich kann man da nicht alle zig Millionen Einträge durchblättern, aber wenn man den Namen eines Zeichners eingibt, von dem man gehört hat, dass er auch Platten bebildert hat, wird man recht oft fündig. Um was zu finden, muss man wissen, wonach man sucht. Anders ausgedrückt: Ein Sammler von „Comic-Covern“ muss sich mit Comics auskennen. Der Comic ist also der Ausgangspunkt der Ausstellung „Vinyl!“, nicht die Musik.
Um was für Musik geht es denn? Um Rockmusik, haben Sie schon gesagt. Und sonst? Gibt es Schwerpunkte?
Hard Rock, Metal und Punk sind Schwerpunkte, aber die Franzosen – und besonders die Holländer – waren sich auch nicht zu schade, ihre lokalen Schnulzensänger oder Folkbarden zu beglücken. Man merkt manchmal, dass sich Zeichner und Musiker in derselben Szene bewegten. Nicht selten war der Zeichner selbst ein Bandmitglied. Matt Groening, der Erfinder der „Simpsons“, spielt in einer Band mit Stephen King! Wie eng die Beziehung zwischen Rockmusik und Comic damals war, sieht man an den Sonderausgaben der französischen Comiczeitschriften „MétalHurlant“ und „A Suivre“. Interessant ist auch, welche Musikrichtungen nicht mit dabei sind: Disco oder Hiphop zum Beispiel. Was schließen wir daraus? Comiczeichner hörten keinenHipHop. Das Zeichnen von Comics ist eine ziemlich einsiedlerische Tätigkeit. Bei den meisten Zeichnern dudelt deswegen die Lieblingsmusik.
Was sind denn Ihre persönlichen Favoriten unter den ausgestellten Plattencovern?
Schwere Entscheidung. Interessant ist ja gerade die stilistische Vielfalt. Die verweigert sich auch jedem Versuch einer Ordnung; ich habe also nach Ursprungsländern gruppiert. „CheapThrills“ von Robert Crumb ist ein Klassiker, das Cover der dänischen Gruppe „Gasolin’“ mit einem Motiv aus „Tim und Struppi“ auch. Aber ich mag auch Simon Bisleys Klappcover für „Motörhead“, eine aufgerissene, blutige Visage, und natürlich den fabelhaften Jimi Hendrix von Philippe Druillet, den ich auch als Titel des Katalogs ausgewählt habe. Ein Unikum ist Frans Stummers Cover für „Die Ärzte“ – diese der Beatles-LP „Abbey Road“ nachempfundene Plattenhülle hat nie eine Platte gesehen! Der Comicverlag Ehapa hat sie damals als Werbegimmick für die Medien in Auftrag geben, zum Start des „Ärzte“-Comics „Im Angesicht des Schattenreichs“.
Der ausführliche und schön aufgemachte Katalog präsentiert doppelt so viele Cover wie die Ausstellung. Zeigt die Ausstellung auch etwas, das nicht im Katalog ist?
Ja, meinen alten Plattenspieler! Außerdem habe ich mich um eine besondere Atmosphäre bemüht. Dies ist keine „Museums“-Ausstellung. Ich zeige eine Lightshow mit psychedelisch herumirrenden und platzenden Blasen, wie man sie früher bei Veranstaltungen hatte, und ich habe ein mehrstündiges Musikprogramm zusammengestellt, das in der Schau gespielt wird. Möglichst laut, aber ohne zu nerven. Man kann sich also nach dem Rundgang auf die Bank vor der Lightshow setzen und sich in alte Zeiten hineinträumen. Oder in sich selbst.
VINYL! Die Comic-Cover | 16.1. bis 8.5.22 | Ludwiggalerie Schloss Oberhausen | 0208 412 49 28
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