Ganze Dörfer müssen in Kolumbien dem Bergbau weichen. Menschen werden bedroht und ermordet. Der Tagebau verursacht enorme Umweltschäden. Deutsche Versorger, die kolumbianische Kohle importieren, kümmert das scheinbar wenig. Galt Kohle früher noch als „schwarzes Gold“, steht die fossile Energie heute im Mittelpunkt aktueller Energie- und Umweltdebatten. Zudem führte dies zu Kontroversen um die Sicherheit der Energieversorgung und die Abhängigkeit von ausländischen Ressourcen: Denn woher kommt ab 2018 die Steinkohle, die Deutschland, das Kohleland, nach über 150 Jahren dann komplett importieren muss? Wo früher täglich 12.000 Tonnen Steinkohle sortiert, gespeichert und verteilt wurden, zeigt das Ruhr Museum in der Kohlenwäsche auf dem Welterbe Zollverein, der ehemals größten Steinkohlenzeche der Welt, die Ausstellung „Kohle.Global – Eine Reise in die Reviere der anderen“. trailer sprach mit der Kuratorin Ulrike Stottrop.
trailer: Frau Stottrop, wie lange wird mit Kohle noch Kohle gemacht?
Ulrike Stottrop: Wenn es auf die Kohlereserven auf der Erde ankommt, dann noch Hunderte und Aberhunderte von Jahren.
Das heißt, für uns im Energiemix bleibt die Kohle aktuell?
Die Kohle wird im Energiemix sicherlich noch aktuell bleiben müssen, ein Stück weit jedenfalls, weil die Erneuerbaren Energien eben nicht immer den Energieanteil liefern können, der benötigt wird, um Deutschland mit Strom zu versorgen.
Ist die Schönheit der Kohle auch ein Problem der Präsentation?
Eigentlich nicht. Die Kohle ist an sich so schön, in ihrer Vielfalt, für mich als Geologin sowieso. Man kann von der Ästhetik her daran ein Vergnügen haben, aber auch am Informationsgehalt, denn sie erzählt einem auch ganz viele Geschichten.
Die Ausstellung beschäftigt sich mit den auswärtigen Kohlelagern?
Richtig. Es geht um Kohle global. Wenn bei uns 2018 der subventionierte Kohlesteinbau zu Ende gehen wird, bedeutet das nicht, dass keine Steinkohle mehr benötigt wird. Das wird bei uns dann reine Importkohle sein – neben der Braunkohle, die in Deutschland abgebaut wird. RWE Power gehört mit zu den Top Ten der Kohleproduzenten. Deswegen zielt die Ausstellung auch auf die Situation heute und ist eine Reise in alle Kohle produzierenden Länder der Welt.
Dafür stehen auch die Räume mit Devotionalien oder Nebenaspekten?
Ja, neben sehr beeindruckenden Filmausschnitten von internationalen Filmemachern und spitzenmäßigen Fotos zu den unterschiedlichen Themen gibt es einzelne Objekte mit Geschichten dran. Die sind zum Teil wirklich überraschend. Da zeigen wir zum Beispiel ein Kohlefahrrad aus Indien und das Drumherum dazu. In Westbengalen sind nämlich täglich allein 33.000 Räder unterwegs, die sogenannte Kohle-Wallas, die Kohle in Säcken transportieren mit mindestens 300 Kilogramm Durchschnittsgewicht. Dennoch sind die Leute glücklich, auch wenn sie in unseren Augen eher arme Menschen sind. Aber sie verdienen das Vierfache von dem, was sie dort normalerweise in der Landwirtschaft verdienen würden. Und es sind auch ganz persönliche Gegenstände von Menschen zu sehen, die im Kohlebergbau weltweit zu tun haben. Kleidung von Bergleuten, die verunglückt sind, liebevoll gestaltete Helme oder der Kohlebrocken im Handtuch aus China mit Mao-Plakette.
Und diese Pflanzenbilder?
Das ist ein wissenschaftliches Nebenprodukt. Ein Raum vom Geologisch-Paläontologischen Institut der Uni in Münster. Das sind Pflanzenaufnahmen, deren Zellstrukturen über 300 Millionen Jahre erhalten geblieben sind, die einen ungeheuren ästhetischen Reiz haben. Hier kann man miterleben, wie Forschung live an solch einem Material stattfindet.
Muss man den sozialen Aspekt der Kohleförderung in Dritte Welt-Ländern, denken wir an Kolumbien, ausklammern?
Den muss man gar nicht ausklammern. Der kommt in der Ausstellung vor. Kohlebergbau zu betreiben, heißt natürlich auch, dass es Auswirkungen nicht nur auf die Landschaft gibt, nicht nur auf die Flora und Fauna, sondern auch auf die Menschen, die dort leben. Menschen müssen, wenn Kohlebergbau betrieben wird, dem Kohlebergbau weichen. Andere wiederum finden ihre Arbeitsplätze dort. Nein, das wird überhaupt nicht ausgeklammert, sondern ist ebenfalls Thema der Ausstellung. Stichwort Kolumbien: Wir werden über ein solches Einzelobjekt mit der indigenen Bevölkerung dort in Kontakt treten und auch Filmmaterial zeigen, wo man sieht, wie die Arbeitsbedingungen im kolumbianischen Tiefbau sein können. Aber wir beziehen keine Position – pro oder gegen die Kohle, sondern wir schildern die Fakten. Wie sieht die Gegenwart der Kohle aus? Die Abbauverhältnisse, die Wichtigkeit der Kohle überhaupt, des weltweiten Kohlehandels, die Umweltauswirkungen bis hin zu Grubenunglücken und Protesten pro oder gegen die Kohle. Wir stellen die Frage, was nach dem Kohlebergbau bleibt. Wir stellen dazu auch deutsche Insider vor, die im internationalen Kohlemarkt unterwegs sind, sich für die Kohle engagieren oder von der Kohle leben.
Und wenn der Besucher die Ausstellung verlässt, dann weiß er, dass der Bergmann noch immer einer der härtesten Berufe der ganzen Welt ist?
Richtig.
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