Einst verließ Rona (Saoirse Ronan) ihre langweilige Heimat auf den Orkney-Inseln für das hippe London. Doch schon bald verliert sie in der Großstadt mit dem verlockenden Nachtleben die Kontrolle. Party reiht sich an Party, der Alkoholkonsum steigt bis zur Sucht. Nach einer von zu vielen durchzechten Nächten mit Filmriss trennt sich ihr Freund Daynin (Paapa Essiedu) endgültig von ihr. Rona meldet sich bei den Anonymen Alkoholikern an, versucht trocken zu werden. Doch die Stadt mit den vielen Pubs, Bars und Clubs ist dafür ein zu gefährliches Pflaster. In ihrem Heimatkaff will sie endgültig trocken bleiben. So kehrt sie nach mehr als einem Jahrzehnt auf die Inseln zurück. Das alles erfahren wir in vielen Rückblenden, während Rona die Pfade ihrer Kindheit erkundet. Sie kümmert sich um ihren Vater, der allein auf einer einsamen Farm lebt, wo er mit seinen eigenen Dämonen kämpft. Sie streitet sich mit ihrer Mutter (Saskia Reeves), die seit der Trennung Zuflucht in der Kirche gefunden hat. Was Rona braucht, ist die totale Isolation. So mietet sie sich für den Winter auf der einsamsten Insel der Orkneys ein, wo sie sich als Vogelbeobachterin, allein in der kargen Natur, ihrer Vergangenheit stellt. Lange Spaziergänge bei Wind und Wetter, einsame Abende in der kleinen Hütte und Tagebucheinträge verschärfen ihren Blick auf die Vergangenheit und führen dazu, dass sie den Frieden mit sich, ihrer Herkunft und ihrem Leben sucht. Saoirse Ronan glänzt in der Rolle als zerrissene junge Frau, die traumatischen Kindheitserinnerungen durch Alkohol zu entfliehen versucht und letztendlich merkt, dass man sich seinen Dämonen stellen muss. Nora Fingscheidts Verfilmung „The Outrun“ von Amy Liptrots gleichnamigem, mehrfach ausgezeichnetem autobiographischen Bestseller (Dt. Titel: Nachtlichter) ist das feinfühlige Porträt einer Sucht und dem Versuch, sie zu überwinden. Wie schon 2019 in „Systemsprenger“ zeigt Fingscheidt, wie kaputte Seelen entstehen. Gleichzeitig ist der Film eine Liebeserklärung an die Orkney-Inseln, dieses schroffe Stück Schottland, das selbst den meisten Briten ziemlich fremd ist.
Der israelische Videokünstler Omer Fast hat mit seinen beiden Spielfilmen „Remainder“ und „Continuity“ kluge und unterhaltsame Verwirrspiele um Identität realisiert. Sein dritter Kinofilm „Abendland“ ist nun in einer Aussteigergruppe im Wald angesiedelt, die von den Besetzer:innen im Hambacher Forst inspiriert scheinen. Eine junge Frau mit Merkel-Maske entkommt der Polizei. Nach einem Sturz findet sie sich umringt von anderen Waldbewohnern mit befremdlichen Masken und Kostümen wieder. Die diskutieren nun, ob sie verbannt, aufgenommen oder isoliert wird. „Merkel“ ist ängstlich und irritiert, zumal die Bewohner:innen ständig die Identität tauschen und es mit „Angie“ eine zweite Merkel gibt. Die erste Hälfte ist etwas zäh, im Dickicht des Walddorfs verdichten sich aber Plot und visuelle Attraktion.
Nach seinem mitreißenden „Rhythm Is It!“ (2004) über ein Ballett-Projekt der Berliner Philharmoniker mit 239 Schülern dokumentiert Lansch in „Pol Pot Dancing“ nun die zum Weltkulturerbe erhobene, rituelle Tanztradition Kambodschas und eine ihrer Bewahrerinnen, Chea Samy. Wie ein Schatten liegt die Schreckensherrschaft Pots, die sie in ihren Choreographien verarbeitet, über ihrem Wirken. So wechseln sich traumhaft fotografierte Cinemascope-Bilder (Kamera: Marcus Winterbauer) mit historischen schwarz-weiß Aufnahmen und Zeitzeugen-Interviews ab, verbinden sich zu einem schockierenden Porträt des Genozids, der mit der Umsiedlung aufs Land und Zwangsheiraten begann, und mit Hungersnöten, Folter und Mord endete. Ob die Reinheit und Schönheit des Tanzes da die erhoffte „Erlösung“ bringt, bleibt allerdings fraglich.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: die Ortsbegehung „Die Katzen vom Gokogu Schrein“ von Kazuhiro Soda, die feucht-fröhliche Sex-Satire „The Visitor“ von Bruce La Bruce, das Identitätsdrama „Reinas – Die Königinnen“ von Klaudia Reynicke, die Tragikomödie „Toni und Helene“ von Gerhard Ertl und Sabine Hiebler, das satirische Drama „A Different Man“ von Aaron Schimberg und der Horrorfilm „Bagman“ von Colm McCarthy.
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