Überall wachsen Kräuter und Erdbeeren. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Nachbarn teilt ihr Essen miteinander, während sich renitente Senioren und Hausbesetzer friedlich 90 Minuten Film teilen: Die Initiative Recht auf Stadt – Ruhr stellt ihren Dokumentarfilm „Das Gegenteil von Grau“ im Bochumer Alsengarten vor. Um das neue Gesicht des Ruhrgebiets zu zeigen, hat das Filmteam um Matthias Coers anderthalb Jahre lang Initiativen besucht, die mehr Leben und Farbe in die Städte bringen wollen. „Mit dem Film wollen wir motivieren, selbst aktiv zu werden“, sagt Martin Krämer, der am Film mitgearbeitet hat.
Dass viele Menschen zwischen Dortmund und Duisburg bereits einen Anfang gemacht haben, zeigt der Film deutlich: In Hinterhöfen, auf Brachflächen und stillgelegten Lagerhallen entstehen Galerien, Kulturzentren und Gemeinschaftsgärten. Ein alternatives Wohnkonzept hat auf einer Brachfläche in Duisburg einen ungewöhnlichen Lebensraum gefunden, genauer: auf einem Bauwagenplatz. Strom gibt es dort über Solarpanels, Musik wird selbst gemacht in gemütlicher Runde mit Anwohnern und Freunden. Das Gelände, auf dem die farbenfroh bemalten Bauwagen einem guten Dutzend junger Menschen ein Zuhause bieten, gehört der Stadt – und soll jetzt geräumt werden. Dagegen wehren sich die Bewohner auf friedliche Weise, mit Demos, Flyern und Diskussionen.
In verschiedenen unverbundenen Sequenzen zeigt der Film Ausschnitte aus der neuen Realität des Ruhrgebiets. Und er zeigt auch, was die Menschen der Region denken und fühlen. So machen Senioren in Duisburg mobil gegen die Umsiedlung der Anwohner und das Zupflastern einer Grünfläche vor ihrer Siedlung. Sie wollen, dass das Ruhrgebiet die immer grüner werdende Lunge Deutschlands bleibt. Vor allem aber wünschen sie sich, dass ihre Gemeinschaft erhalten bleibt – nicht jeder in unterschiedlichen Stadtteilen einsam vor sich hin altern muss.
Und plötzlich erzählt der Film von dem Ort, an dem er gezeigt wird: von der Alsenstraße in Bochum. Hier sorgt Urban Gardening für noch mehr Natur an der Ruhr. Mitten in der Innenstadt, mitten im Herzen des oft für grau und trostlos gehaltenen Ruhrgebiets blüht und grünt es in Hochbeeten und Grünstreifen.
Neben dem Alsengarten befindet sich das Alsenwohnzimmer, ein ehemaliges Ladenlokal, das von Freunden und Anwohnern gemietet wird; ein gemeinsames Wohnzimmer für die Bewohner der vermeintlich anonymen Großstadt. „Manchmal brauche ich eine dreiviertel Stunde, wenn ich von meinem Haus die Straße runter gehe“, erzählt einer der Anwohner im Film. Ein Dorf auf einer Straße - samt Foodsharing und Givebox. Die selbstorganisierte Gemeinschaft verfolgt keine politischen Ziele, es geht einfach nur darum, sich zu begegnen.
Und auch der Film schafft eine solche Begegnung: Gut 40 Anwohner sind mit Picknickdecken in den Alsengarten gekommen, um gemeinsam mehr über das Ruhrgebiet zu erfahren. Sie essen Salat und Falafeln vom Mitbringbuffet. Und ein kleiner Junge wässert mit einem Gießkännchen die Pflanzen rings um das Open Air Kino, die eben noch auf der Leinwand zusehen waren.
„Der graue Stromkasten sieht einfach nicht so schön aus, wie wenn ich den pink anmale“, tönt die Stimme einer Graffiti-Künstlerin aus den provisorischen Kinolautsprechern. Sie sprüht leuchtendes Gelb aus der Dose auf eine Tunnelwand, während sie die Bedeutung von Graffiti in ihrer sonst doch eher grauen Stadt erzählt. Wie sie sorgen zahlreiche Initiativen für mehr Farbe im Ruhrgebiet, von der selbstorganisierten Fahrradwerkstatt bis zum alternativen Kulturzentrum.
„Die Nordstadt ist ein Arbeiterstadtteil ohne Arbeit“, sagt Bastian Pütter vom Straßenmagazin Bodo. Er erklärt, was im Dortmunder Norden vor sich geht. „Das wird hier nie ein bürgerlicher Vorort werden“, sagt Pütter. Ein Schmunzeln geht durch das Publikum, das damit eine Ahnung von den oft prekären Verhältnissen im Norden der meisten Ruhrgebietsstädte zum Ausdruck bringt. „Was wir hier sehen ist klassisch proletarischer Habitus“, fährt Pütter in anschaulichen Worten fort. In der Nordstadt sitzt niemand alleine auf der Designer-Ledergarnitur oder zwischen Eiche-Rustikal-Möbeln – die Menschen treffen sich draußen, auf den Straßen, vor den Häusern, auf den öffentlichen Flächen, in Parks. Zwar zögen diese Orte oft auch Kriminelle an, doch das liege nicht an den Orten selbst. Pütter möchte die positive Seite des Kulturraums zeigen, die Gemeinschaft. Das Miteinander. Und wie er will auch der Film zeigen, dass das Ruhrgebiet kreativ ist, gesellig, grün, kreativ – einfach das Gegenteil von Grau.
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