Mischa Kuballs öffentliche Intervention „Les Fleurs du Mal (Blumen des Bösen/Blumen für Marl)“ provoziert und zitiert Charles Baudelaire, bietet jedoch zugleich Identifikationsmöglichkeiten für die Menschen in Marl, die mitmachen und Blumen bringen sollen: Partizipation und Diskussion sind die immateriellen Bausteine. Der markante Schriftzug aus weißen Leuchtbuchstaben, hoch über dem Museum an der oberen Fassadenkante des Rathauses angebracht (dahinter liegen die Ratssäle), wird zum weithin sichtbaren Hinweis auf das städtische Skulpturenmuseum. Die links neben der Freitreppe stehende große Blumenvase ist als Angebot zu verstehen, die genannten Blumen für Marl mitzubringen und sie in die prominent platzierte Vase zu stellen. Der Konzeptkünstler hat für Marl unter dem Begriff „public preposition“ ein ortsspezifisches Konzept entwickelt – frei übersetzt mit: Vorschläge für die Öffentlichkeit und den öffentlichen Raum. Die temporär geplante Installation könnte auch auf Dauer angebracht sein; die tatsächliche Verweildauer will der Künstler durch die Diskussion in Marl bestimmt wissen. trailer sprach mit dem Künstler.
trailer: Wer ist denn in Marl so böse, dass er Blumen braucht?
Mischa Kuball: Ich glaube, die Stadt steht an einem Punkt an dem es kein Zurück mehr gibt. Hier muss sich die Frage stellen, was nach dem Ende der Kohleförderung auf Auguste Victoria passiert. Und ich wollte mit diesem Projekt anregen, dass diese notwendige Diskussion in Gang kommt. Es ist für mich eine öffentliche Diskussion. Das ist nicht nur eine Diskussion von der Deutschen Steinkohle, und das ist auch nicht nur eine, die inRatszimmern passiert. Die gehört für mich in den öffentlichen Raum. Und wenn sich der Rat der Stadt so einen Schriftzug von mir ans Rathaus machen lässt, dann sind die nach meinem Verständnis dazu bereit, diese öffentliche Diskussion zu führen.
Ich zitiere mal Baudelaire: Des Teufels Fäden sind‘s, die uns bewegen.
Ja. Das ist der Gegenspieler, der Thanatos, der Todestrieb, der mit dem Teuflischen, Diabolischen verbunden ist. Das ist eine Seite in uns. Aber wir wissen ja, dass wir nicht nur die eine Seite haben. Ich will also aus dem Bösen heraus, aus der Beschreibung heraus, mit der Geste antworten. „Blumen für Marl“ ist der Untertitel, und das heißt, ich will auch ein Gegengewicht zu Baudelaire schaffen. Ich glaube, dass die Marler genug kreatives Potential haben. Das haben sie an anderen Stellen schon bewiesen. Hier wird seit 50 Jahren der Grimme-Preis verliehen und hier stand die erste Volkshochschule. Das ist eben auch Marl. Und das darf man nicht untern Teppich kehren.
Welche Funktion haben die Blumen, die dann da sind oder auch nicht?
Auf der einen Seite die Blumen des Bösen, auf der anderen Seite die Rosen für direkte Demokratie – dazwischen pendelt es. Beuys hat die Rosen 1972 hingestellt und uns aufgefordert, an dem Begriff des Demokratischen, an dem in Selbstverantwortung zur Arbeit gehen zu arbeiten, indem wir ständig diese Rose erneuern müssen. Wir müssen also etwas tun, und es reicht nicht aus, an einer Stelle mal was gesagt oder getan zu haben. Das ist auch ein steter Prozess. Darauf verweist das Projekt. Kein Urban Gardening, das ist nicht meine Sprache, in dem Fall setze ich lieber auf den Verfall. Weil ich sage, nur dadurch, dass der Verfall entsteht, entsteht auch die Aufforderung, das was passieren muss.
Der Gebrauch von Präpositionen ist ziemlich abstrakt und es gibt kaum Regeln – warum also ein Konzept „public preposition“?
Weil sich bei diesem an und auf und neben auch etwas auf Zeit entwickelt. Im Projekt ja erst mal bis zum Ende des Jahres. Dann werden wir weitersehen, ob die Vase oder die Vase und der Schriftzug an dieser Stelle noch weiterhin Bedeutung entladen können. Kann sein, dass das Projekt nach sechs Monaten an einem Limit ist und dann vielleicht an anderen Stellen in der Stadt weitergedacht und -gearbeitet wird, dann gehört das Leuchtende wieder runter. Dann wird auch das Rathaus renoviert und die Vase und der Schriftzug kommen vielleicht woanders hin und sind dann nicht mehr sichtbar. Vielleicht ist aber auch so viel Prozesshaftes in Gang gekommen, dass das weiterbleiben kann. Dann hätte die Position aus dem Temporären eine dauerhafte Verbindung. Doch das muss sich beweisen.
Sind die Leuchtmittel als Leuchtmittel eine Strategie zur erhöhten Wahrnehmung?
Ich glaube, dass das Licht immer noch ein ziemlich gutes Mittel ist, auf Dinge aufmerksam zu machen. Wir sind ja durch die Aufklärung, durch den Übertritt vom Dunklen ins Helle, noch immer mit Wissens- und Erkenntnisgewinn verbunden. Schon vor Kant. Aber Kant hat es formuliert, dass alles, was sozusagen in uns Erkenntnis erzeugt, es wert ist, dass wir uns damit auseinandersetzen. Hier haben wir eine offene Situation. Ich mache ein Angebot. Das Museum ist Partner, die Stadt ist Partner. Wir werden sehen, was passiert. Ich glaube, dass das Licht ein guter Begleiter ist, denn es zeigt ja auch in der Nacht, dass an diesem Ort eine Frage immer wach bleibt.
Aber ist Partizipation nicht das Ende der Kunst?
Dazu wird es eine Tagung im Duisburger Lehmbruck Museum geben, wo ich ja mit der New Pott-Präsentation nochmal andocke. Wo auch die Diskussion darum nicht aufhört. Ich glaube, dass Partizipation immer da ein Mittel ist, wo es nicht um über die Sachen sprechen geht, sondern darum, mit den Menschen zu sprechen, mit denen ins Gespräch kommen. Das ist nicht immer richtig und ich habe einen großen Respekt vor einer reinen künstlerischen Setzung, die sozusagen darauf zielt, in der Ausformulierung, in einer Skulptur sozusagen einen Maßstab vorzugeben, und dann müssen die anderen damit klarkommen. Hier gibt es eine erste Formulierung, und an der Ausformulierung setzt das Partizipatorische an. Leute werden ja nicht eingeladen, den Schriftzug zu machen oder eingeladen, Baudelaire-Texte zu assoziieren.
Würde das Kunstwerk als Kunstwerk auch ohne Partizipation funktionieren?
Ja, aber dann würde man sehen, dass die Vase leer bleibt. Dann wäre das eine Skulptur, die immer davon spricht, dass sie eigentlich ein Gefäß ist, in das etwas hineingelegt werden könnte. Aber vielleicht wird auch etwas hineingelegt, was gar nichts mit Blumen zu tun hat. Das wäre wie die Diskussion darüber, ob das Ganze überhaupt sinnhaftig ist oder nicht. Das gehört für mich auch mit dazu.
Warum dann Sprache, Schrift?
Weil Sprache in unserer Gesellschaft dafür steht, dass wir uns mit etwas gerne, intensiv oder kontrovers auseinandersetzen. Dann benutzen wir diese Kodierung, um uns Ausdruck zu verleihen. So teilen wir uns mit. In Marl ist das Französische nicht zuhause, es gibt dazu keinen Bezug, anders als in Düsseldorf oder Köln, wo Napoleon mal durchgezogen ist. All diese Verbindungen gibt es hier nicht, und deswegen ist Marl so frei davon, und deshalb kann man genau diesen Sprachsatz mit der Assonanz von „mal“ mal eben benutzen. Aber wie ich schon sagte, „mal du pays“wäre in dem Fall das Heimweh, die Sehnsucht und auf der anderen Seite ist es der Ausdruck von dem Bösen. In dem französischen Begriff „mal“ steckt eben die Sehnsucht und das Böse.
Und es hätte keinen Sinn gemacht, jetzt bei „mal“ noch ein „r“ einzufügen?
Das denken die Leute hier sowieso mit.
Mischa Kuball – „Les Fleurs du Mal“ (Blumen für Marl) | Rathaus Marl, bis Ende 2014
Mischa Kuball – „NEW POTT – Neue Heimat im Revier” | Lehmbruck Museum Duisburg | bis 11.5.
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