Jörg Kluge, der Theaterleiter des Kinos im Walzenlager, liebt Filme und macht ein Programm, für das er wenige Kompromisse eingeht. Mit einer Kinogruppe gestartet, ist er mittlerweile vom Zentrum Altenberg angestellt, um in Personal-Union den Laden zu schmeißen.
trailer: Herr Kluge, seit wann arbeiten Sie für das Kino im Walzenlager?
Jörg Kluge: 1999 wurde im Zentrum Altenberg gefragt, ob nicht irgendwelche Leute enthusiastisch genug wären, das Kino im Walzenlager wieder ehrenamtlich zu eröffnen. Dann gab es ein Jahr Diskussionen, wie das so ist in soziokulturellen Zentren. Im Jahr 2000 sind wir gestartet und seitdem bin ich dabei, erst ehrenamtlich, dann selbstständig und jetzt angestellt.
Was ist denn überhaupt das Walzenlager?
Es war wirklich das Walzenlager der ehemaligen Zinkfabrik. Wenn man sich aber das Foyer und Teile des Saales anschaut, dann sieht man sehr pittoreske Wandvertäfelungen, und wie Arbeiter mir erzählt haben, haben sie sich hier früher auch gewaschen. Es war also teilweise auch die Waschkaue.
Das Programm ist sehr hochkarätig. Allerdings hat es den Nachteil, dass es ein Nachspielkino ist.
Wir haben nur 45 Plätze, und deswegen ist das Kino nicht für Premieren geeignet. Die Filmverleihe wollen mehr Eintrittskarten am ersten Wochenende verkauft wissen. Jedes Mal, wenn ich frage, ob ich einen Film in der dritten Woche haben kann, sagen sie „Nein, wir warten ab“. Und daraus haben wir irgendwann mal die Regel gemacht: Es ist uns egal, wir wollen hier gutes Programm, egal wie alt. Kino hat kein Verfallsdatum. Man merkt aber natürlich, dass man mit den Premieren eine große Konkurrenz hat. Und wir kämpfen trotz des wirklich schönen Programms um das Publikum, und das jede Woche.
Das ist ja eigentlich kein Programm zum Geldverdienen. Das ist eher ein Kino zum Lieben. Was ist Ihre Motivation?
Als ich 2000 hierhin kam, um das Kino wiederzueröffnen, gab es kein anständiges Programmkino in Oberhausen. Jetzt gibt es hier jede Woche vier bis fünf Programmkinofilme zu sehen. Ich finde aber auch, wenn man nicht allein vom Publikum, sondern auch von Subventionen lebt, sollte man eine Art kulturellen Standard haben und diesen Standard auch hochhalten. Unterhaltung kann jeder, Kultur darbieten nicht. Ich glaube, solche kleinen Oasen braucht man.
Was sind das für Filme, für die sich das Oberhausener Publikum interessiert?
Ich denke am Anfang nicht an das Publikum, sonst müsste ich zurzeit diese ganzen 50-plus-Best-Ager-Filme spielen. Ich halte mich an Kritiken, mache mir eine Liste. Auf dieser Liste sind zum Glück ständig 70 bis 80 Filme drauf, und die arbeite ich dann ab. Manchmal verwerfe ich dann auch Filme. Bei manchen Dokumentarfilmen weiß ich einfach, da kommen auch nur drei Leute. In Oberhausen haben wir keine Hochschule. Es ist schwer an ein interessiertes Publikum heranzukommen. Oberhausen ist nun mal Malocher-Stadt, aber ich kriege auch Publikum aus den Nachbarstädten hierhin.
Was interessiert Sie an den Filmen?
Es geht ums Geschichtenerzählen. Film ist die Kunst, viele Kunstarten, Musik, Bildgestaltung und Schauspiel, zusammenzubringen. Wenn ein Film das gut verspricht, ist er hier auf jeden Fall interessant. Ich bin groß geworden im Programmkino mit „Blade Runner“. Für viele Männer zwischen 40 und 50 war „Blade Runner“ der Film, der sie ins Programmkino geholt hat, dann ging es weiter über Kaurismäki, Tarantino und viele andere, die Anfang der 90er aktiv waren. Dann will man aber auch noch tiefer eindringen. Kino ist so vielfältig, und das ist das Schöne daran. Es ist ja auch schwer zu sagen, was ein Arthouse-Film ist. Diese Frage ist ganz schrecklich.
Die ist ja auch eigentlich überflüssig, oder?
Irgendwo zwischen Mainstream und hoher Kunst liegt etwas, was faszinierend ist, und ich glaube, das ist es.
Schlägt sich die linke politische Ausrichtung des Zentrum Altenberg bei den Kinobesuchern nieder?
Eher im Programm, glaube ich. Manche sagen, hier laufen nur Schlechte-Laune-Filme (lacht) …, was nicht stimmt! Wenn man zwei Filme mit verprügelten Frauen und gequälten Kindern im Programm hatte, hat man den Ruf ganz schnell weg. Glücklicherweise interessieren sich dafür auch Leute. Das Publikum ist intelligent, liebenswürdig, meistens zwischen 40 und 70. Seit den letzten zwei Jahren kommt auch jüngeres Publikum.
Was hat es mit dem Poetry Slam auf sich?
Der berühmte Poetry Slam O-Ton. Den machen Jonas Jahn & Life P., das Duo Volxbegehren. Wenn man das Kino ausverkauft erleben will, sollte man versuchen, noch eine Karte für den Poetry Slam zu kriegen. Wir machen auch eine Live-Übertragung ins Kino-Café. Jeder, der Texte schreiben kann, darf diese beim Poetry Slam vortragen und das Publikum darf mit einem Feuerzeug in der Hand ein Licht spendieren. Wer die meisten Stimmen hat, gewinnt den Poetry Slam und darf beim Jahresfinale für Oberhausen in der deutschen Meisterschaft kämpfen.
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