Seit 1999 präsentiert der „Geheimnisvolle Filmclub“ monatlich in der Schauburg in Gelsenkirchen Exploitation-Filme. Mit Verve, Liebe und cineastischer Hingabe verteidigen Ingojira und Jo Steinbeck, zwei Mitglieder von „Buio Omega“, was andere als Film-Trash abtun. Wenn es sein muss, restaurieren sie die alten Filmkopien selbst, um ihre Schätze auf den 35mm-Projektoren vorführen zu können. Auf dem Programm steht etwa „ein schikanöses Zelluloid-Doppelprogramm mit geilen Überraschungen“ ab 18 Jahren.
trailer: Ingojira, Jo Steinbeck, wer verbirgt sich hinter dem „Geheimnisvollen Filmclub Buio Omega“?
Ingojira/Jo Steinbeck: Filmfreunde, denen das große, moderne, digitale, laut knallende Mainstream-Kommerz-Kino nicht viel gibt und die im positiven Sinne den alten Zeiten nachhängen. Wie hat es Franco Nero 2006 so trefflich gesagt? „You arrre the lowwers offf the rrrreal zinemaa“. Das echte Kino. Das einzige, was da knattert und rattert, ist der Filmprojektor. Wir zeigen heute Filme, die 1971, 1958 oder 1982 schon mal im Kino gelaufen sind. Wir bringen die echten Schätze wieder zu den Leuten zurück.
Sie haben sich auf Exploitation-Kino spezialisiert. Was sind das für Filme?
Uns geht es darum, Filme auf die Leinwand zu bringen, die ein kleines Budget hatten, sich vielleicht an große Erfolge drangehängt haben, ohne deren Mittel, aber vielleicht mit mehr Fantasie. „Der weiße Hai“ von Spielberg kennt jeder. Dann gibt es aus Italien „Der weiße Killer“ von Enzo G. Castellari mit einem minimalen Budget gedreht, eine Hai-Attrappe gebaut, sehr einfach: Das sind die Sachen, die uns interessieren, weil die uns mehr Spaß machen. Das Tolle ist, dass wir hier die Chance haben, Kino zum Anfassen zu machen. Wir werden niemals die Gelegenheit haben – das möchten wir auch gar nicht –, Herrn Hanks einzuladen. Das kann man aber machen, wenn man sich mit den Helden der Filme beschäftigt, die wir hier zeigen. Es ist erstaunlich, wer dann alles so reinschaut.
Sie laden also Gäste ein?
Wenn die Clubkasse es erlaubt, liegt es uns am Herzen, von Zeit zu Zeit Gäste einzuladen: Leute, die in den Filmen mitspielen – quasi unsere Helden – nach Gelsenkirchen zu holen und ihnen noch mal die Chance zu geben, mit ihrem Publikum in einen Dialog zu kommen, was für beide Seiten immer sehr schön ist. Das Ganze ist ein nicht-kommerzielles Fan-Projekt. Die 5 Euro Eintritt fließen zurück an die Club-Mitglieder, denn damit finanzieren wir die Veranstaltungen. Deswegen dauert es manchmal auch zwei bis drei Jahre, bis die Kasse wieder voll ist. Von unserem Publikum springt ein Funke über. Das sind echte Fans. Die kommen nicht, um sich darüber zu amüsieren, sondern finden das gut. Das merken die Gäste, und das macht denen auch Spaß.
Wer war denn zuletzt da?
In diesem Jahr hatten wir die Deutschland-Premiere des Films „Shiver“, den unser Lieblingsgast Brad Harris koproduziert hat. Letztes Jahr kam Fred Williamson. Das war einer von meiner Wunschliste, weil ich als Lebenstraum schon immer mit ihm eine Zigarre rauchen wollte. Das habe ich auch gemacht, mehrere sogar.
Was macht einen Exploitation-Film aus?
Exploitation bedeutet eigentlich Ausbeutung. Filmemacher, die wenig Geld haben, beuten Ideen von erfolgreichen Filmemachern aus. Diese Filme zeichnet aus, dass sie viel reißerischer sind als die Vorbilder. Der Hai-Film ist gewalttätiger oder es wird mehr nackte Haut gezeigt. Es ist alles ein bisschen rauer. Es wird mit der Schaulust gespielt. Was der Film nicht an Qualität oder Budget hat, kann er mit reißerischen Elementen wettmachen.
Muss man den Referenzfilm kennen, um das genießen zu können?
Es hilft natürlich, wenn man den Originalfilm kennt. Aber bei den unzähligen Rambo- und Mad Max-Imitaten – also Filmen, die eigentlich jeder kennt – ist es kein Problem für die Zuschauer, mitzukommen. Wenn da einer mit Stirnband und Knarre durch den Dschungel rennt, ist es Rambo. Man muss auch den filmhistorischen Kontext sehen. Heute läuft es unter der Trash-Nummer, was uns gar nicht gefällt – der Begriff Trash, Abfall, Müll. Genau hier setzen wir an. Diese Filme waren ein normaler Bestandteil der Kinolandschaft ihrer Zeit. Das gab es im Kino zu sehen, und das fanden die Leute auch gut, sonst wären sie ja nicht so erfolgreich gewesen. Für uns ist ganz wichtig, dass wir uns nicht darüber lustig machen, weil es schlecht gemacht ist, sondern wir sehen das mit einem liebevollen Auge. Man kann sich sicher über das ein oder andere amüsieren, gemessen an den heutigen Standards, aber das heißt nicht, dass es unbedingt schlechter sein muss oder lächerlich ist, sondern dass es vielleicht anders ist. Und nicht alles, was anders ist, ist auch zugleich lächerlich. Das ist etwas, das man auf sehr viele Dinge übertragen kann. Hier schrauben wir die Zeit einfach zurück und wollen die Filme so erleben, wie sie waren. Unser Filmclub ist ursprünglich eurozentriert, das heißt: Uns interessiert das europäische Filmgeschäft, was es heute nicht mehr gibt. Heute hat man in einem Multiplex Mission Impossible 3, 4, 5, 6, 7; und in dem nächsten die 48 neuen Pixar-Filme, also dieses übergestülpte „Das müsst ihr gucken!“. Das ist ja etwas ganz anderes gewesen seinerzeit: Es gab Filme aus Frankreich, Italien, Deutschland. Diese Vielfalt ist heute selten. Es gab alles, und es gab alles mit dem einem Schräubchen mehr. Und das vermissen wir an diesem glatt gebügelten Kino heutzutage. Diese Ungezügeltheit und Wildheit, die auf der Leinwand durchbricht, bereitet uns einen Heidenspaß.
Als das Video aufkam, haben sich die Sehgewohnheiten ins Wohnzimmer verschoben. Sie zeigen Raritäten auf 35mm. Wo bekommen Sie Filmkopien her?
Das ist immer so eine Sache. Wir haben über die Jahre so viele Leute kennengelernt. Da ist ein gutes Netzwerk entstanden und man weiß, wo was liegt.
Man sagt also nicht, woher die Filme kommen?
Ein ganz großes Geheimnis …
Sie machen zu den Filmen auch immer eine Präsentation.
Wir nehmen unseren Auftrag filmhistorisch ernst. Wir haben das große Glück, dass Christian Kessler vor jedem Film einen kleinen Vortrag hält. Manchmal zeigen wir ein paar Trailer, die thematisch dazugehören, oder wir ehren jüngst verstorbene Ikonen. Davon müssen wir in letzter Zeit leider eine Menge beklagen, auch einige, die bei uns schon zu Gast waren. Da wir ja neulich die digitale Revolution überlebt haben – der Kinoleiter ist so supernett, die beiden 35mm-Projektoren nur für uns stehen zu lassen –, werden wir so lange weitermachen, wie wir leben und es noch Kleber gibt für die Filmkopien. Ein ganz herzliches Dankeschön an die Betreiber der Schauburg, die uns weitermachen lassen.
mehr Infos: www.buioomega.de
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