Seit fünf Jahren zeigt der Filmclub Bali monatlich im Kino Babylon in Hagen Mitternachtskino in der Tradition der Bahnhofs-Kinos. Über den Club jenseits des Mainstreams spricht Pelle Felsch.
trailer: Herr Felsch, was hatte es mit den Bali-Kinos auf sich?
Pelle Felsch: Bali ist die Abkürzung für Bahnhofs-Lichtspiele. Die meisten Städte hatten früher solche Bahnhofs-Kinos für Durchreisende, in denen seit den 1960er Jahren handfeste Unterhaltungs-Ware gezeigt wurde. Das Zielpublikum bestand aus Handlungsreisenden, die sich in diesen Kinos Unterhaltung versprachen, während sie auf den nächsten Zug warteten. Heute spricht man von sogenannten B-Filmen: kostengünstig runtergekurbelte Machwerke, die in erster Linie der Unterhaltung dienten – Action, Sex, auch Gewalt und was alles dazugehört, Kung-Fu-Filme, Italo-Western, Horrorfilme, Agentenfilme. Und wir hatten bei uns in Hagen natürlich auch so ein Bali. Das war ein Ding mit üblem Ruf in einem sehr schönen alten Teil des Bahnhofs, der heute denkmalgeschützt ist. Ich als Kind stand damals immer gebannt vor diesen Schaukästen mit Titeln wie „Die Rückkehr der reitenden Leichen“. Das war natürlich sehr reizvoll. Meine Oma oder meine Mutter zerrten mich immer davon weg. Der Zusatz „Bahnhof“ beinhaltet immer etwas schlecht beleumundetes, und das hat mich gerade fasziniert. Ich habe dann irgendwann mit 16 meinen ersten Film „Geisterstadt der Zombies“ im Bali gesehen. Das war ein prägendes Erlebnis. Da hat niemand nach dem Ausweis gefragt. Komische alte Männer saßen an den Kassen, und Frauen mit Polyester-Kitteln haben mit Taschenlampen die Plätze zugewiesen. Es war auch alles ein bisschen miefig. Ein großes Faszinosum für mich, und es war der Auslöser einen Filmclub zu machen, der im Sinne des alten Balis Filme zeigt und zwar als Double Feature.
Auf Ihrer Webseite heißt es: „Wir sind eine Gruppe von Verrückten, die gerne zusammen Filme jenseits des Mainstreams sehen.“ Das gilt?
Die Gruppe der Verrückten besteht aus drei Leuten und dem Stammpublikum, von dem auch einige mithelfen: Filmverrückte.
Seit wann gibt es den Filmclub?
Die Idee wurde bereits vor vielen Jahren in Berlin geboren. Da gab es schon Kinos, die solche Programme gemacht haben, und wir wollten das in Hagen auch ausprobieren. Im Babylon wurden wir aber zunächst mit Pauken und Trompeten abgeschmettert. Das Kino war noch ganz neu, und sie wollten wertvolle Filme zeigen und nicht so einen Schmutz. Zunächst haben wir uns in Szene-Kneipen oder an anderen Orten getroffen, einen Beamer ausgeliehen und dort sporadisch Filme gezeigt. Und jetzt machen wir es seit fünf Jahren regelmäßig einmal im Monat im Kino Babylon.
Sie konnten die Kunstfilm-Leute vom Babylon, die ein tolles Programm machen, zu einer kleinen, dreckigen Nische überreden?
Wir sind das missratene Stiefkind des Babylon. Irgendwann sind Russ Meyer-Filme bei arte gezeigt worden, und da haben auch die politisch korrekten, sehr geschätzten Kollegen vom Babylon festgestellt, dass es so schlimm nicht ist.
Das Programm ist recht weit aufgestellt: von David Lynch bis zu „Blutrausch des Satans“. Was muss ein Film haben, um Sie zu interessieren?
Der Film muss schon etwas Schmieriges und Außergewöhnliches haben. Am liebsten sind uns Filme der 1960er bis Anfang der 80er Jahre, B-Filme, wo sich was getraut wurde – und in denen auch manchmal Botschaften versteckt wurden von Filmemachern, die sich diese Genres ausgesucht haben, um reinzubringen, was man sonst nicht zeigen konnte.
Und konkret?
Der Italo-Western ist ein Genre, das mir sehr am Herzen liegt. „Töte, Django“ transportiert zum Beispiel eine starke politische und soziale Botschaft, verpackt in einem sehr ruppigen und garstigen Film. Wir machen Double Features und kombinieren dabei manchmal alte Filme mit neuen, die dasselbe Thema bedienen.
Sie zeigen auch innerhalb der Filmkunst hoch angesehene Regisseure?
David Cronenberg wäre einer. Ich schmuggel gerne mal einen außergewöhnlichen Film dazwischen. Wir sehen den Club auch ein bisschen mit missionarischem Auftrag, weil wir hier viele Leute sitzen haben, die solche Filme überhaupt nicht kennen. Denen versuchen wir nahezubringen, was sie sonst nie gesehen hätten. Das funktioniert ganz gut.
Sie schreiben: „Der Inhalt der Webseite kann auf Filme verweisen, die Szenen enthalten, die Ihrem sittlichen und moralischen Empfinden widersprechen.“
Man muss auch mal Warnungen aussprechen für unbedarfte Zeitgenossen. Wir zeigten immer mal Filme, die unter den §131 fielen, also jugendgefährdend waren oder sogar damals in der BRD beschlagnahmt wurden, Filme, die im weitesten Sinne nicht jugendfrei und anstößig sind. Das sind Hinweise, die früher auf den Video-Kassetten standen.
Haben Sie auch schon mal einen Film von einer Frau gezeigt?
Da muss ich schwer nachdenken. (lacht)
Mit anderen Worten: Sie sind ein Macho-Haufen?
Jetzt fällt mir doch noch Barbara Peters ein, und Doris Wishman …
Wie wird man Mitglied im Filmclub Bali?
Wer Mitglied werden will, kommt einfach hierhin und bekommt einen Ausweis. Wir sind ein privater Club und nehmen einen winzigen Club-Beitrag, aber keinen Eintritt. Der Club macht keine Werbung und ist unkommerziell. Wir fangen erst um 23 Uhr an, das heißt, wir stehen in der Tradition des Mitternachtskinos, und es läuft dann auch feuchtfröhlich ab.
Auf der Webseite gibt es die „Senftube“, eine Filmkritik-Seite?
Das ist ein Hobby von mir. Ich schreibe Filmkritiken und Booklets für DVD-Veröffentlichungen. Daraus ist das entstanden.
Wenn ich als wahrscheinlich einzige Frau zu Ihnen käme, dürfte ich das Programm mitgestalten?
Fast die Hälfte des Publikums sind tatsächlich Frauen, und sie kommen regelmäßig. Das finde ich selbst überraschend. Jeder kann mitgestalten. Ich wünsche mir sogar viel mehr Beteiligung.
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