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Gerlinde Veddeler-Johannsen leitet die Camera
Foto: Betty Schiel

Nach 30 Jahren immer noch unter Dampf

03. Januar 2013

Die Camera in der Dortmunder Norstadt - Kino.Ruhr. 01/13

Vor 30 Jahren hat Gerlinde Veddeler-Johannsen mit Gleichgesinnten die CAMERA in der Dortmunder Nordstadt übernommen. In dem einst klassischen Vorstadtkino präsentiert sie seit Jahrzehnten ein hervorragendes Arthouse-Programm. Und alles begann in einer Autowerkstatt…

trailer ruhr Wie kamen Sie zum Kino?
Gerlinde Veddeler
-Johannsen: Ich habe bei Adolf Winkelmann Film studiert, und wir hatten da Filmanalyse-Seminare. Das Problem war, dass keiner die Filme kannte, die zu analysieren waren. Also haben wir in der Aula angefangen, Kino zu machen. Da kam allerdings überhaupt keine Atmosphäre auf: Eine weißgekalkte Halle, und man musste den Hausmeister extra zahlen, der sauer war, weil er wieder länger arbeiten musste. Und dann haben Bernd Twardy und ich eine alte Autowerkstatt umgebaut zu einem Kino und 1976 den „Fokus Verein“ gegründet. Es war ein selbstgebautes Kino mit offenem Kamin und IKEA-Stühlen…

… IKEA gab es damals doch noch gar nicht.
Doch. 70 IKEA Klappstühle. Das werde ich nie vergessen. Wir hatten auch einen Tricktisch und eine alte 16mm Bolex. Das Publikum durfte am Anfang der Veranstaltung Legetricks machen. Ich bin dann hoch ins Bad und habe das entwickelt. Am Ende konnten sich die Leute dann die Legetricks angucken. Wir haben damals auch schon Kino für Ausländer gemacht. Das war überhaupt das Highlight, weil die Kino ganz anders gesehen haben als wir. Die Ausländer kamen mit einem Gurkenfass unterm Arm ins Kino und haben dann erst mal an alle Besucher ein paar Gurken verteilt. Sie haben auch viel emotionaler auf die Filme reagiert; die anderen dann hinterher auch. Wenn Diskussionen waren, habe ich mich vor die Tür gestellt und keinen raus gelassen, sonst sind die alle raus gerannt. Über Film reden, das war nicht. Wenn dann erst mal das Gespräch angefangen hatte, ist keiner mehr gegangen. Nachdem wir dann alles gespielt hatten, was es im 16mm-Bereich gab, haben wir uns umgeschaut, und da wurde das ROXY frei. 1989 haben wir mit zehn Leuten das ROXY eröffnet.

War das eine Studenten-Truppe?
Nicht nur. Ich war die einzige Filmstudentin. Ansonsten waren es eigentlich alles Leute, die im Beruf standen. Bernd Twardy hat Sozialpädogik studiert. Bodo Bott war Filial-Leiter bei der Deutschen Bank, hatte aber immer den Traum ein Kino-Mann zu werden. Das waren damals aufregende Zeiten. CAMERA und ROXY gehörten einem Besitzer. Der war auch Filmfan, aber er hat die Mainstream- Filme aus der Innenstadt nachgespielt. Er ist acht Stunden arbeiten gegangen, und abends hat er mit seiner Familie die beiden Kinos betrieben.

Und Ihr habt erst das ROXY und dann die CAMERA übernommen?
Der alte Besitzer schaffte es mit seinem Programm nicht mehr, und Programmkino wollte er nicht machen. Eigentlich hatten wir kein Interesse, weil wir mit dem ROXY ausgelastet waren. Die Anfänge waren halt schwierig, weil die Verleiher uns gar nicht die Filme geben wollten, die wir haben wollten. Die sagten: „Ein Programmkino in Dortmund, und dann in der Nordstadt? Da kommt kein Mensch.“ Damals kamen Film-Vertreter ins Haus, die einem die Filme nicht nach Inhalt, sondern nach Besucher-Zahlen verkauften. Ich war von Anfang an zuständig für die Verhandlungen, um das Programm durchzusetzen, was wir haben wollten. Ich musste 1979 Parallelverträge machen, also Filme unterschreiben, die der Verleih mir vorschlug, die wir aber gar nicht spielen wollten. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis wir dann Erstaufführungs-Kino waren.

Was habt Ihr gespielt?
Wir haben angefangen mit „Stadtneurotiker“, aber wir mussten auch Verträge unterschreiben für „Planet der Affen“, „Rückkehr der Affen“, die ganze Serie. Als wir im ROXY schon Programmkino machten, lief in der CAMERA „Ein Zombie hing am Glockenseil“. Wir wollten aber nicht, dass die CAMERA geschlossen wird. Uns gefiel sie mit dem Balkon, den Logen und dem schönen Foyer besser als das ROXY. Aber wir haben es letztendlich nur gemacht, damit das Kino erhalten bleibt.

Konntet Ihr von dem Spirit der Autowerkstatt was in die CAMERA rüber retten?
Wir konnten nicht mehr alle Filme didaktisch mit Vorträgen begleiten. Das dicke Programmheft mit ausführlichen Inhaltsangaben und Anregungen zur Diskussion ist dann dem Programm-Schema mit vier Filmen täglich gewichen. Aber wir sind uns treu geblieben, indem wir uns immer dem Arthouse- und dem europäischen Film verpflichtet gefühlt haben. Auch heute noch zeigen wir 90% europäische Filme.

Die Mallinckrodtstraße gilt als das heiße Pflaster schlichtweg in Dortmund.
Wir bekommen davon gar nichts mit.

Warum funktioniert die CAMERA als Kino so gut?
Wir haben ein Stamm-Publikum. Es ist immer schon so gewesen, dass wir für alle was anbieten. Das leidet etwas, weil das Repertoire nicht mehr so angesagt ist. Aber ich bin überzeugt davon, dass das wiederkommt und eine Generation wieder Fassbinder entdeckt und alle alten Almodovar-Filme sehen will. „Das Leben des Brian“ ist der einzige Repertoire-Film, der sich bis heute gehalten hat. Den spielen wir seit 30 Jahren immer an Weihnachten. Das ist ein richtiger Kult geworden. Die Dialoge werden mitgesprochen. Die Leute reisen mit Papier-Säcken an; wenn die entsprechende Szene kommt, fliegt das Papier durch die Gegend. Oma, Mama, Kinder kommen hier Weihnachten zusammen, und für die ist ohne Brian kein Weihnachten.

Wie nehmen Sie die Zäsur von 35mm auf die digitale Technik wahr?
Die Technik werden wir alle sehr vermissen, ich führe mit Leib und Seele Filme vor. Dass man im Foyer das Maschinen-Geräusch hört, gehört zum Kinomachen dazu. Aber wenn man einen 35mm-Film sechs Wochen spielt, sieht man doch schon Staub und Kratzer. Mit der Digitaltechnik leidet die Filmqualität nicht mehr. Außerdem freuen wir uns, dass wir jetzt mehr Filme im Original zeigen können, obwohl das Publikum das nicht so sehr liebt wie wir. Es ist das größte Manko, dass wir es über all die Jahre nicht geschafft haben, die Leute zu überzeugen, dass Filme im Original eigentlich das Wahre sind. Das Schwierigste im Arthouse-Bereich ist, dass man ein Level finden muss, wo man überleben kann, aber auch Filme mit höchstem Anspruch zeigt. Man braucht immer ein paar Renner im Jahr, dann kann man auch Filme zeigen, die einem sehr am Herzen liegen. Wir sind dazu in der Lage, weil die Film- und Medienstiftung NRW uns großzügig fördert. Alleine hätten wir auch die Digitalisierung nicht stemmen können.

Macht Ihnen Kinomachen noch Spaß?
Wieder. Nach dem ROXY-Crash, habe ich wirklich ans Aufhören gedacht. Das hat mich so dermaßen umgehauen. Ich habe mich hier in der CAMERA mit den Mitarbeitern wieder hoch gepäppelt. Jetzt stehe ich wieder unter Dampf.

Betty Schiel

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