Es ist eine Einübung in turbulente und schwierige Zeiten, die das kainkollektiv in ihrer Theaterperfomance „Interesting Times“ jüngst probte. Was steht uns bevor? Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit? Rechtsruck und Autoritarismus? Oder stecken wir bereits in einem unruhigen Umbruch? In der Inszenierung setzte sich jedenfalls ein kamerunisches Kollektivmitglied mit einem Vorfall in der Mülheimer Innenstadt auseinander: Er passierte die Straße, die Ampel schaltete auf Rot. Streifenpolizisten sahen das aus ihrem Wagen und riefen nach ihm. Doch er hatte Kopfhörer auf und hörte nichts. Die Beamten schritten ein. „Dann hat die Polizei ihm sofort die Sachen abgenommen, Handschellen angelegt, an den Wagen gedrückt und ins Gesicht geschlagen“, erzählt Mirjam Schmuck vom kainkollektiv im Gespräch mit trailer.
Letztendlich hatte ihr Künstler-Kollege Glück, wie Schmuck sagt: „Als sie merkten, es steckt eine Institution dahinter, haben sie nachgegeben.“ Doch nicht zuletzt dieser Vorfall hat ihre Sicht nachhaltig geprägt: „Der Alltagsrassismus ist groß und salonfähig geworden.“
Solche Erfahrungen und der Einzug der rechtspopulistischen AfD in den Bundestag sowie nahezu alle Landtage schweißen KünstlerInnen und Kulturschaffende zusammen. Mit der Erklärung der Vielen stemmen sich in Nordrhein-Westfalen mehr als 140 Kulturinstitutionen, Verbände, Organisationen sowie freie Kunst- und Kulturschaffende gegen die Hetze der AfD. Erstunterzeichner waren auch die Stadttheater in Bochum, Essen und Dortmund.
Die kulturpolitische Einflussnahme der AfD-Fraktionen ist kein Schreckgespenst sondern konkret. Besonders im Visier subtiler Anfragen: die Freie Szene, die meist nicht den rückwärtsgewandten Kunstvorstellungen der Rechtspopulisten entspricht. Gabriele Walger-Demolsky von der AfD wollte etwa in der jüngsten Sitzung des Bochumer Kulturausschusses wissen, welche Akteure aus der Freien Szene sich um Fördergelder beworben haben. Eine schriftliche Antwort darauf soll bis Mitte Januar erfolgen, wie die Stadt Bochum auf Anfrage versicherte.
Mit Blick auf die Verhältnisse in den Nachbarländern will man daher in der Kunstszene gewappnet sein, so Schmuck: „Nicht reagieren, sondern agieren. In Polen kriegen Kollegen mit, wie schnell sie überrannt werden.“ Doch auch hierzulande sind KünstlerInnen mittlerweile offenen Anfeindungen ausgesetzt, wie die Performance-Gruppe dorisdean berichtet: „Wir hatten bis jetzt Glück und unsere Arbeit war noch nicht Zielscheibe. Jedoch wurden Kolleg*innen von uns in Dresden in der Tram angespuckt und bis nach Hause verfolgt und verprügelt.“ Auch das Kollektiv aus KünstlerInnen mit unterschiedlichen Körperlichkeiten und Lebensformen unterstützt die Kampagne: „Für uns ist es wichtig, der Realität von Diskriminierung, Rassismus, Angstmacherei und Infragestellen unserer Berechtigung als Künstler*innen eine aktive, positive Haltung entgegenzusetzen.“ Das Kollektiv Anna Kpok erhofft sich von der „Vielen“-Erklärung eine bessere Vernetzung: „Kunst und Kultur ist immer schon Teil der Zivilgesellschaft, es ist eine öffentliche Sache. Wünschenswert wäre es eben, bessere Infrastrukturen und Netzwerke zu erfinden, die Institutionen sowie Freischaffende in konkreten Austausch bringen mit einem breiteren Bündnis politisch Engagierter.“
Doch das brauche noch Zeit, wie Mirjam Schmuck vom kainkollektiv erklärt: „Das ist eine Arbeit, die wird Jahre dauern.“ Ein Anfang, der notwendig sei: „In den letzten Jahren ist da einiges versäumt worden. Wir werden für eine gerechtere Zukunft und gegen Rassismus kämpfen müssen.“
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