Man unterschätze nicht den Hampelmann! 1942, im Jahr vor Oskar Schlemmers Tod entstanden, vereint die Gliederpuppe aus zugeschnittenen bemalten Holzteilen, was für den aus Stuttgart stammenden Künstler so charakteristisch ist: die schablonenhafte Figurenzeichnung, den lichtdurchlässig warmen Farbauftrag und die koordinierte Beweglichkeit. Ob die Ausstellungsmacher im Von der Heydt-Museum in Wuppertal wissen, was für eine Perle sie mit dem „Hampelmann“ in ihrer Ausstellung haben? Sie fokussieren in ihrer monographischen Ausstellung Oskar Schlemmers Spätphase, als er in Wuppertal mit Lack experimentierte, und sie arbeiten sein zuvor entwickeltes avantgardistisches Figurenbild heraus. Darin und in ihrer Systematik, die der Chronologie von Raum zu Raum folgt, ist die Ausstellung sehr gut.
Ein peripherer Anlass für die Ausstellung ist das 100-jährige Jubiläum der Bauhausgründung: Oskar Schlemmer, der zwischen 1906 und 1918 an der Kunstakademie in Stuttgart bei Adolf Hölzel studiert hatte und seither mit Willi Baumeister befreundet war, lehrte in Weimar und in Dessau u.a. figürliches Zeichnen und Bühnenkunst. Berühmt ist er vor allem für seine Wandgestaltungen und das von ihm erfundene „Triadische Ballett“, bei dem die Tänzer auf die geometrische Struktur der Bühne hin agieren, stets in einer summarischen, existenziell und zeitgenössisch begriffenen Menschendarstellung. Die vielleicht bekannteste davon, „Zwölfergruppe mit Interieur“ (1930), gehört zum Sammlungsbestand des Von der Heydt-Museums und ist nun in der Ausstellung zu sehen.
Schon als Bauhaus-Künstler war Schlemmer den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. 1933 musste in Stuttgart eine seiner Ausstellungen vor der Eröffnung wieder geschlossen werden, 1937 wurden Gemälde von ihm in der diffamierenden Ausstellung „Entartete Kunst“ im Haus der Kunst München gezeigt. Schlemmer schlug den Weg in die Innere Emigration ein. Mit Willi Baumeister und dem Architekten Franz Krause bildete er den Kern des „Wuppertaler Arbeitskreises“, den der Lackfabrikant Dr. Kurt Herberts zwischen 1937 und 1943 bei sich mit allen Freiheiten der künstlerischen Betätigung beherbergte. Vor allem diese Werke sind nun im Von der Heydt-Museums ausgestellt, darunter eine Rekonstruktion zum Entwurf des abstrakten Lackkabinetts und Entwürfe zum Lackballett, die Oskar Schlemmer in diesen Jahren geschaffen hat. Als Auftragsarbeit ist das grandiose, stilistisch zwischen Carl Grossberg und Franz Radziwill einzuordnende Gemälde „Feuerschiff im Trockendock in Wilhelmshaven“ (1941) entstanden, das auf Herberts' Industrielacke verwies, aber die eigene Auseinandersetzung mit Farben bestätigt. Und dann sind da die Reihen kleinformatiger Skizzen und Zeichnungen dieser Jahre, die das Von der Heydt-Museum aus seinem Besitz im größten Ausstellungsraum zeigt. In den Kabinetten davor sind vor allem diejenigen Künstler mit Werken aus der Sammlung vertreten, von denen Schlemmer beeinflusst wurde, beginnend mit Courbet, Corot und Cézanne. Was seit der Moderne ab Ausgang des 19. Jahrhunderts in der Malerei und Skulptur alles möglich war, dem gilt eben auch das Interesse der Ausstellung.
Oskar Schlemmer – Komposition und Experiment | bis 23.2. | Von der Heydt-Museum Wuppertal | 0202 563 62 31
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Lebendige Gedichte
Lyrik-Performance zur Ausstellung Brücke und Blauer Reiter
Bilder einer Ausstellung
„Blockbuster Museum“ in Wuppertal – Ruhrkunst 10/18
„Jankel Adler hat im Zentrum der Moderne gestanden“
Gerhard Finckh über das neue Jahr im Wuppertaler Von der Heydt-Museum – Sammlung 01/18
Feine Sachen
Terry Fox im Von der Heydt-Museum in Wuppertal – Kunst in NRW 10/16
Begehbare Moderne
Kunst-Vorschau: Tony Cragg und Jean Tinguely
Blick in die Karten
„Weltkunst“ in Wuppertal – Kunst in NRW 11/15
Eine seltene Gelegenheit
Ausstellungen in Wuppertal, Herford und Neuss - Kunst in NRW 12/09
Aus zwei Sammlungen
Das frühe 20. Jahrhundert im Kunstmuseum Mülheim – kunst & gut 11/24
Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Denkinseln im Salzlager
Osteuropäische Utopien in Essen – Ruhrkunst 08/24
Ausgezeichnet auf Papier
Günter Drebusch-Preis 2023 in Witten – Ruhrkunst 08/24
Räume und Zeiten
Eindrucksvoll: Theresa Weber im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 08/24
Roter Teppich für das Kino
Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 08/24
„Die jüdische Renaissance ist nicht so bekannt“
Museumsleiterin Kathrin Pieren über „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten – Sammlung 08/24
„Auch die Sammler beeinflussen den Künstler“
Kurator Markus Heinzelmann über die Ausstellung zu Gerhard Richter in Düsseldorf – Sammlung 08/24
Lebendige Zeitgeschichte
Marga Kingler im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 07/24
Tiefer als Realismus
Phänomenal: Karin Kneffel im Museum Küppersmühle in Duisburg – kunst & gut 07/24