Auslöser der aktuellen Debatte um den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches ist der Fall der Ärztin Kristina Hänel, die im November 2017 zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Internetseite Informationen zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zur Verfügung stellte. Es handele sich dabei gemäß Paragraf 219a um Werbung, wurde das Urteil im Oktober 2018 in der Berufung bestätigt. Als Reaktion auf die lauter werdende Forderung nach Streichung des Paragrafen, wurde schließlich am 12. Dezember von Katarina Barley (SPD), Franziska Giffey (SPD), Jens Spahn (CDU) und Helge Braun (CDU) das Eckpunktepapier zur „Verbesserung der Information und Versorgung inSchwangerschaftskonflikten“ vorgestellt. Doch auch dieses ist in den Augen vieler Menschen lediglich ein fauler Kompromiss, der zur „zusätzlichen Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und ungewollter Schwangerschaften“ führe, wie es vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung heißt.
Bundesweit protestierten am vergangenen Samstag laut Angaben des Bündnisses zwischen 5000 und 6000 Menschen in mehr als 30 verschiedenen Städten gegen das Werbeverbot. Und auch zur Dortmunder Protestkundgebung an der Reinoldikirche erschienen mehr als 100 Personen.
„Wir werden uns unser Selbstbestimmungsrecht nicht nehmen lassen. Unser Körper gehört uns“, sagte Maya Stiller entschlossen und erntete dafür viel Applaus während ihrer Rede. Die 20-jährige Sprecherin der Grünen Jugend Dortmund hatte die Kundgebung organisiert. Nachdem sie schon den Prozess um Kristina Hänel mitverfolgt hatte, war es ihr ein wichtiges Anliegen, „dass man auch im Ruhrgebiet gegen den Paragraf 219a auf die Straße geht“.
Auch Simone Weiß, die Ortsvereinsvorsitzende der SPD Dortmund Südweststadt, gab sich energisch: „Wir fordern, dass Ärztinnen und Ärzte frei informieren dürfen ob und gegebenenfalls wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen“, schließlich wolle man als Frau, dass ein solcher Eingriff schonend durchgeführt werde. Außerdem forderte sie: „Das Thema Schwangerschaftsabbruch darf nicht länger tabuisiert werden.“
Weiß ist der Meinung, dass Frauen viel zu oft bevormundet werden: „Man gesteht Frauen nicht zu, alleine zu wissen, ob sie ein Kind möchten oder nicht. Wenn ich ein Kind nicht will, brauche ich niemanden, der mich fragt ob ich es vielleicht doch will.“ Für Frauen, die sich in ihrer Entscheidung unsicher sind, findet sie es zwar wichtig, dass es Beratungsangebote gibt, „aber ich finde nicht gut, dass es ein Beratungszwang ist“, sagt sie. Wenn sich eine Frau nämlich sicher sei, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch möchte, dann wolle sie schnell verfügbare Informationen und wenig Bürokratie. Stattdessen heiße es für diese Frauen oft: „Ok, du willst zwar abtreiben, aber wir legen dir noch ganz viele Steine in den Weg, in der Hoffnung, dass du es vielleicht doch nicht machst.“ Ihr zufolge sei die Anzahl dieser Steine ein Maß für den Respekt gegenüber den Frauen: „Je mehr Steine desto weniger Respekt.“ Und einer dieser Steine sei der Zugang zu Informationen. Darum setzt sie sich dafür ein, dass der Paragraf 219a abgeschafft wird und plädiert dafür, Informationen zu entkriminalisieren sowie den Begriff Werbung differenzierter zu benutzen. Höchste Priorität hat für sie aber der Respekt: „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir in Deutschland alle Entscheidungen respektieren, ob eine Frau ein Kind austragen möchte, oder nicht.“
Laura ist 30 Jahre alt und war zu der Kundgebung gekommen, „weil ich es fürchterlich wichtig finde, für die Abschaffung des Paragrafen 219a auf die Straße zu gehen. Es ist ein Unding, dass das 2019 überhaupt noch diskutiert werden muss, dass Frauen frei über ihre Körper entscheiden dürfen.“ Unter denen, die sich vor der Reinoldikirche versammelt hatten, waren jedoch bei weitem nicht nur Frauen: „ Obwohl ich als Mann nicht direkt betroffen bin, finde ich, dass jeder Mensch eine Informationsmöglichkeit haben sollte“, erzählte der 23-jährige Jonas, der extra aus Bielefeld angereist war.
Veranstalterin Maya Stiller findet unterdessen, dass die Veranstaltung „ein großer Erfolg war“ und freut sich schon auf den internationalen Frauentag am 8. März, für den ebenfalls eine große Demonstration geplant ist. Besonders angesichts des Rechtsrucks der vergangenen Jahre, ist sie der Meinung, dass es besonders dringlich ist, sich politisch zu engagieren. Ihr Ratschlag lautet daher: „Aktiv werden. Laut werden. Sich zusammenschließen. Aber auch ein einziger Mensch kann viel erreichen.“
(Am 28. Januar wurde von der Bundesregierung ein Änderungsantrag zum §219a beschlossen. Dieser sieht vor, dass der §219a zwar bestehen bleibt, das Werbeverbot aber dahingehend gelockert wird, dass Ärzte und Krankenhäuser grundsätzlich darauf hinweisen dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Nähere Informationen über die Methoden zur Verfügung zu stellen, soll jedoch weiterhin als Werbung gelten und verboten bleiben.)
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chwangerschaftsabbruch nicht tabuisieren“
jeder ist für seinen eigenen Mord verantwortlich und wird später Rechenschaft abgeben müssen. Abtreibung ist Mord, doch in unserer Vergnügungsgesellschaft machen sich die wenigsten darüber Gedanken.
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