Zekai Fenerci fördert seit 2007 mit dem Verein Pottporus und der Tanzkompanie Renegade die junge urbane Kultur – Sammlung 11/15
Momentan ist Zekai Fenerci im Dauerstress. Da ist einmal das 11. Pottporus Festival in Wanne-Eickel und das neue KreativQuartier dort, dann die Eröffnung der neuen Zeche 1 in Bochum mit der Langen Nacht der Urbanen Kunst und gleichzeitig die Renegade-Premiere von „Einer flog übers Kuckucksnest“ in den Bochumer Kammerspielen.
trailer: Herr Fenerci, wo ist denn nun im Ruhrgebiet die vielbeschworene Urbanität? Zekai Fenerci: Das ist die Frage. Denn was versteht man unter der Urbanität? Für mich persönlich ist das eigentlich nur ein Wort, ein Wortspiel. Für mich ist sie nicht sichtbar, aber für mich ist Urbanität ein Lebensgefühl. Und für jeden, der zu seinem gewohnten Umfeld steht und sich dadurch inspiriert fühlt, wahrscheinlich auch. Da fängt für mich Urbanität an.
Pottporus Festival, Eröffnung der Zeche 1, „Kuckucksnest“-Premiere: Wird das nicht alles ein bisschen viel?
Zekai Fenerci
Foto: Dominik Lenze
Zu
Renegade:
Gegründet
wurde Renegade 2003 von Zekai Fenerci, Markus Michalowski und Lorca
Renoux in Herne. Die erste Produktion „Rumble“,
eine Adaption von „Romeo
und Julia“,
erhielt u.a. den Hauptpreis beim Theaterzwang NRW 2004. Seither
produziert Fenerci als künstlerischer Leiter mit (inter-)nationalen
Tänzern und Choreografen Tanztheaterstücke.
Nicht zu viel, denn man merkt daran auch eine Veränderung der Kulturlandschaft. Dass bestimmte ästhetische Stile unerwartet Vorrang bekommen.
Spielt da auch rein, dass die Zeche 1 nun anders als früher bespielt wird? Genau. Das wird das Zentrum für urbane Kunst, das sich schwerpunktmäßig für die vermeintlich urbane Szene einsetzt, die für mich gar nicht existiert. Oder nur so, wie wir in der Kulturförderung oder in der Entwicklung von bestimmten ästhetischen Stilen nachhaltige Projekte ins Leben gerufen haben oder haben rufen lassen oder einfach Projekte ins Leben gerufen worden sind, die sich bestimmte Formen der Urbanität gegeben haben, um sich zu entwickeln. Die Projekte, die sich nachhaltig entwickeln wollen, aber keine Orte haben. Nun sehe ich meine Aufgabe und jetzt auch die Chance darin, vor allem in Bochum mit der Zeche 1 für alle Projekte in NRW, vielleicht auch ganz überregional, für eine Szene, die sich selbst als urban begreift und in diesem Bereich auch künstlerisch aktiv ist, einen anerkannten Ort zu schaffen, wo wir eine bestimmte Kunstform zeigen, die so in NRW eben noch kein Domizil hat.
Und wie belastet in der Zeche 1 die Historie von Reinhild Hoffmann? Null. Also mich überhaupt nicht. Ich habe sie kennengelernt. Wir haben zusammen gesprochen und ich freue mich auch, dass sie, wenn alles klappt, nächstes Jahr dort ein Gastspiel zeigen kann. Ich habe da gar keine Bedenken, weil ich erstens nicht wie sie denke, auch künstlerisch nicht, und zweitens gar nicht den Druck habe, mich gegenüber Reinhild Hoffmann oder einer bestimmten Kunstszene zu beweisen. Da bin ich locker und habe keine Konkurrenz.
In Bochum kann ich mir so eine Szene vorstellen, aber in Herne oder Wanne-Eickel? Wanne-Eickel ist eigentlich die Metropole! Wanne-Eickel ist – ich denke jetzt urban – die Mitte. Man sagt ja immer, die Kraft kommt aus der Mitte. Wenn Wanne-Eickel auch keine anerkannte, richtig coole Künstlerszene hat, dann kann es stolz sein und sagen, wir kommen aus der Mitte. Und die Mitte ist die Energie und wir können zumindest eine energische Energie rausstrahlen. Ich denke da immer auch über Grenzen hinaus. Ich wohne gerne hier, schon als Kind habe ich hier gelebt und bin hier aufgewachsen. Vielleicht könnte ich in jeder Großstadt leben und meine Sachen machen, aber ich bin auch familiär gebunden.
Das Pottporus-Festival findet ja in Wanne-Eickel statt, wie speziell sind die Crews, die da teilnehmen? Sie sind international. Wir haben in diesem Jahr eine ganz verrückte Truppe aus Russland, die kommen mit elf Mann. Wir haben auch junge Leute aus der Region, auch eine Gruppe, aus Herne, die gerade Stücke probt. Aus Frankreich sind welche da und am Samstag kommen noch welche aus China. Das hat hier mittlerweile schon Kultcharakter für eine kleine, eingeschworene kulturelle Szene, für die das letzte Event im Jahr eben im von Gott verlassenen Wanne-Eickel steigt. Die pilgern hierhin und es ist sehr schön, familiär, und da geht es auch nicht direkt um Besucherzahlen, um den Erfolg zu messen. Es geht einfach darum, hier zu sein.
Und wie subversiv kann man in NRW angesichts der Förderpolitik noch sein? Wir kennen ja viele dieser Diskussionen. Und eigentlich sind das immer zwei Aspekte, einerseits will jeder was haben – ich würde auch gerne alles haben – aber andererseits könnten wir uns auch mal von was Altem trennen und wirklich neue Wege gehen und perspektivisch sagen, wir verlassen einen quasi sicheren Weg und geben einer etwas riskanteren Kunstform eine Chance, die sich vielleicht nicht so kontrollieren lässt, aber gerade deswegen eine sehr starke Energie hat. Wir schaffen für diese Form einen neuen Fördertopf, den sie für sich selbst ausschöpfen kann.
Was muss dafür also passieren? Es ist wichtig, dass die Akteure ein bisschen lauter werden. Also im positiven Sinne laut werden und deutlich machen, dass die Kulturlandschaft eine zwar anerkannte, aber eine in einem System verpackte Struktur ist, mit allen Facetten. Die Frage ist, wo steht die Struktur für die Form der urbanen Formate? Vor 10 oder 15 Jahren hätte man es sich nie vorstellen können, dass Künstler, die nicht studiert haben und irgendwie aus dem Nichts hervorgekommen sind, plötzlich dermaßen Möglichkeiten bekommen. Aber trotzdem nicht die Möglichkeit haben, wirklich das ganze System zu nutzen. Und da denke ich, dass wir mit der Zeche 1 und auch mit einzelnen Programmpunkten etwas bessere politische Argumentationsformen lernen und auch vermitteln können, um unseren Bedarf an dieser Kulturlandschaft deutlich zu machen und dann zu sagen, es reicht nicht aus, dass ihr unsere Stücke gut findet oder es reicht auch nicht, dass ihr uns mal zulasst, dass wir mal dabei sein dürfen.
Open! Lange Nacht der urbanen Kunst | Fr 6.11. 22 Uhr | Zeche1, Bochum | Eintritt frei
Interview: Peter Ortmann
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