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„Sein Werk entwickelt sich parallel zur Gesellschaft“

29. Juni 2017

Dr. Söke Dinkla über die Duisburger Gemeinschaftsausstellung zu Erwin Wurm – Sammlung 07/17

Das Lehmbruck Museum Duisburg zeigt in einer gemeinsamen Ausstellung mit dem Museum Küppersmühle Skulpturen, Wandarbeiten und Rauminstallationen des österreichischen Megastars Erwin Wurm. Wir sprachen mit Lehmbruck-Chefin Dr. Söke Dinkla.

trailer: Frau Dinkla, wie entgeht man in Museen der Gefahr, dass die Kunst von Erwin Wurm nicht ernstgenommen wird?
Söke Dinkla: Ich glaube, dieser Gefahr kann man nicht entgehen. Es ist immer eine Gratwanderung und ja auch ein Abenteuer, auf das wir uns einlassen, auch sehr gerne einlassen. Es wird sicherlich auch schnelle Wahrnehmungen geben, blitzschnelle Wahrnehmungen, die uns Schmunzeln hervorlocken und die dann so bleiben wie sie sind. Und manchmal glaube ich, bei Erwin Wurm kommt das dann auch erst später, im Laufe des Tages, im Laufe der nächsten Tage, dass man denkt: So komisch, wie es im ersten Moment wirkte, war es gar nicht. Das sind die vielen Erfahrungsdimensionen der Kunstwerke, die Erwin Wurm schafft. Manchmal passiert das aber auch schon nach dem ersten Schmunzeln, dass das Lachen ein bisschen im Halse stecken bleibt.

Wie viel Erklärung ist für die Besucher denn dann so notwendig?
Ich denke, gar keine. Je weniger Erklärung desto besser. Denn das finde ich das Faszinierende an Erwin Wurm – es wird mit Sicherheit immer unterschiedlichste Interpretationen zu seinen Arbeiten geben. Das haben wir aktuell auch in unserem Katalog gemerkt, und wir haben sehr unterschiedlich geschrieben. Diese verschiedenen Interpretationen, Deutungen, Ideen sind angelegt in dem Werk und die durchmischen und überlagern sich. Das hat Erwin Wurm ganz kalkuliert auch so angelegt.

Wie teilt man in Duisburg eine Ausstellung in zwei Museen?

Dr. Söke Dinkla
Foto: Ralf Schultheiß
Zur Person
Dr. Söke Dinkla ist seit 2013 Direktorin und Vorstand der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg. Sie studierte Kunstgeschichte, Literaturwissenschaften und Volkskunde in Kiel und Hamburg und promovierte 1996 mit einer bekannten Dissertation über die Geschichte und Ästhetik interaktiver Kunst.


Das ist wirklich eine gute Frage. Walter Smerling vom Museum Küppersmühle und ich haben Erwin Wurm vor mehr als einem Jahr besucht. Da gab es bereits die Überlegungen, im einen Haus eher die performativen Arbeiten, im anderen eher die skulpturalen auszustellen. Wir haben es relativ simpel gemacht. Es ist zwar nicht komplett, aber doch stringent unterteilt. Erwin Wurm macht im Museum Küppersmühle gerade ein monumentales Strickbild in grün und rosa an der Wand. Und bei uns zeigt er sein rotes „Fat Convertible“, dazu inszeniert er den Wechselausstellungsraum komplett und verschiedene Werke in den Dreiecksräumen als Environments.

Werden auch neue performative „One-Minute-Sculptures“ zu sehen sein?
Ja, die werden auch zu sehen sein. Er hat ja neue „One-Minutes“ gemacht für den Pavillon auf der Biennale in Venedig. Das ist insgesamt eine Werkgruppe, die in den frühen 1980ern entstanden ist, die in den 1990ern einen Höhepunkt hatte, die aber immer noch weiterentwickelt wird. Was wir zeigen, sind die sogenannten Drinking-Sculptures. Das sind Möbelstücke aus den 1970er Jahren, in die wir uns irgendwie reinsetzen, reinknien, reinstellen und uns dann betrinken sollen.

Wie schafft ein solcher Künstler überhaupt eine Struktur in seine Arbeiten?
Erwin Wurm ist der strukturierteste Künstler, den ich überhaupt kenne. Fragen Sie ihn mal, wie er es schafft, diese Anzahl von Ausstellungen in 2017 jetzt schon gemacht zu haben. Er hat in Wien zwei Ausstellungen, in Graz eine Ausstellung, er hat die Biennale in Venedig und die Doppelausstellung hier bei uns. Und die Stringenz in seinem Werk? Da würde er wahrscheinlich sagen, das kommt. Das sagt wahrscheinlich jeder Künstler. Aber er arbeitet an bestimmten Ideen immer weiter und diese Weiterentwicklung in seinem Werk entwickelt sich parallel zur Gesellschaft. Themen, die in der Gesellschaft relevant sind, die tauchen in seinem Werk immer auf. Und Stringenz ist absolut wichtig für ihn und auch für die Ausstellung. Ich denke, er ist der erste Künstler, der unsere sehr komplizierte Architektur im Wechselausstellungsbereich richtig gut in den Griff kriegt, indem er nicht eine Werkschau macht, sondern ihn mit einem Werk bespielt.

Ein Beispiel?
Da ist eine Arbeit, die einen schlucken lässt. Da stehen 55 weiße Sockel, die werden wie in einem im White Cube angelegten Raum inszeniert. Und auf diesen liegen 55 Bronzeskulpturen, die sind etwa  faustgroß, aus Bronze, dunkel patiniert. Dieses Arrangement nennt er „Land der Berge“. Auf drei Wänden ringsherum werden Grafiken zu sehen sein, insgesamt 36 Stück, also 12 je Wand, wo er mit Kaffee gearbeitet hat. Er hat Kaffee geschüttet, und diese Schüttungen machen auf dem Papier wunderschöne Strukturen, und das nennt er dann „Vaterland“. Jetzt sieht man das Land der Berge als kleine dunkle braune Häufchen, die unterschiedliche Assoziationen ermöglichen und diese braunen Kaffeeflecken an den Wänden mit dem Titel „Vaterland“. Das ist so ein vielschichtiger Kommentar, zu dem ich ja gar nicht viel sagen muss.

Was unterscheidet Wurm beispielsweise von Jeff Koons?
Alles. Jeff Koons ist ja nicht bitterböse. Jeff Koons ist ein typischer Amerikaner und Erwin Wurm ist ein typischer Österreicher. Diese Arbeit, die ich jetzt gerade beschrieben habe, so eine Arbeit würde Jeff Koons nie im Leben machen. Erwin Wurm ist in erster Linie nicht auf Überwältigung oder Effekt bedacht. Er arbeitet mit dem Menschen, er ist daran interessiert, Beziehungen oder Dialoge aufzubauen und uns dazu zu bringen, nachzudenken.

Wurm, so heißt es, lote die Skulptur bis an ihre Grenze aus. Hat das nicht Marcel Duchamp längst geschafft?
Duchamp war nihilistischer. Der wollte ja eigentlich die Skulptur nicht mehr. Er hat gesagt, wir haben in unserem Alltag so viele Gegenstände, die auch Skulpturen sein können, und er hat ja den Kunstbetrieb damit sehr vorgeführt. Das war sehr wichtig zu der Zeit. Das hat uns ja alle Freiheiten gegeben, die wir jetzt haben. Dann ist die Frage, was machen wir jetzt mit diesen Freiheiten? Und das ist nicht so einfach. Erwin Wurm hat gesagt: Ich bleibe bei der Skulptur. Auf der einen Seite hat er sie mit seinen Staub-Skulpturen ja aufgelöst, bis nichts mehr da war außer dem Staub. Seit den 1980ern hat er an diesem negativ-nihilistischen Bild von Skulptur weitergearbeitet, um dann aber das Objekt und die Materie zu nutzen. Weil das etwas ist, das uns nach wie vor sehr nahe ist, und damit hat er die Skulptur als materielles Objekt neu definiert, ohne reaktionär zu werden.

Gemeinschaftsausstellung „Erwin Wurm“ in Duisburg

7.7.- 3.9. | MKM Museum Küppersmühle | 0203 30 19 48 11

7.7.-29.10. | Lehmbruck Museum |0203 283 26 30

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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