Das Lehmbruck Museum Duisburg zeigt in einer gemeinsamen Ausstellung mit dem Museum Küppersmühle Skulpturen, Wandarbeiten und Rauminstallationen des österreichischen Megastars Erwin Wurm. Wir sprachen mit Lehmbruck-Chefin Dr. Söke Dinkla.
trailer: Frau Dinkla, wie entgeht man in Museen der Gefahr, dass die Kunst von Erwin Wurm nicht ernstgenommen wird?
Söke Dinkla: Ich glaube, dieser Gefahr kann man nicht entgehen. Es ist immer eine Gratwanderung und ja auch ein Abenteuer, auf das wir uns einlassen, auch sehr gerne einlassen. Es wird sicherlich auch schnelle Wahrnehmungen geben, blitzschnelle Wahrnehmungen, die uns Schmunzeln hervorlocken und die dann so bleiben wie sie sind. Und manchmal glaube ich, bei Erwin Wurm kommt das dann auch erst später, im Laufe des Tages, im Laufe der nächsten Tage, dass man denkt: So komisch, wie es im ersten Moment wirkte, war es gar nicht. Das sind die vielen Erfahrungsdimensionen der Kunstwerke, die Erwin Wurm schafft. Manchmal passiert das aber auch schon nach dem ersten Schmunzeln, dass das Lachen ein bisschen im Halse stecken bleibt.
Wie viel Erklärung ist für die Besucher denn dann so notwendig?
Ich denke, gar keine. Je weniger Erklärung desto besser. Denn das finde ich das Faszinierende an Erwin Wurm – es wird mit Sicherheit immer unterschiedlichste Interpretationen zu seinen Arbeiten geben. Das haben wir aktuell auch in unserem Katalog gemerkt, und wir haben sehr unterschiedlich geschrieben. Diese verschiedenen Interpretationen, Deutungen, Ideen sind angelegt in dem Werk und die durchmischen und überlagern sich. Das hat Erwin Wurm ganz kalkuliert auch so angelegt.
Wie teilt man in Duisburg eine Ausstellung in zwei Museen?
Das ist wirklich eine gute Frage. Walter Smerling vom Museum Küppersmühle und ich haben Erwin Wurm vor mehr als einem Jahr besucht. Da gab es bereits die Überlegungen, im einen Haus eher die performativen Arbeiten, im anderen eher die skulpturalen auszustellen. Wir haben es relativ simpel gemacht. Es ist zwar nicht komplett, aber doch stringent unterteilt. Erwin Wurm macht im Museum Küppersmühle gerade ein monumentales Strickbild in grün und rosa an der Wand. Und bei uns zeigt er sein rotes „Fat Convertible“, dazu inszeniert er den Wechselausstellungsraum komplett und verschiedene Werke in den Dreiecksräumen als Environments.
Werden auch neue performative „One-Minute-Sculptures“ zu sehen sein?
Ja, die werden auch zu sehen sein. Er hat ja neue „One-Minutes“ gemacht für den Pavillon auf der Biennale in Venedig. Das ist insgesamt eine Werkgruppe, die in den frühen 1980ern entstanden ist, die in den 1990ern einen Höhepunkt hatte, die aber immer noch weiterentwickelt wird. Was wir zeigen, sind die sogenannten Drinking-Sculptures. Das sind Möbelstücke aus den 1970er Jahren, in die wir uns irgendwie reinsetzen, reinknien, reinstellen und uns dann betrinken sollen.
Wie schafft ein solcher Künstler überhaupt eine Struktur in seine Arbeiten?
Erwin Wurm ist der strukturierteste Künstler, den ich überhaupt kenne. Fragen Sie ihn mal, wie er es schafft, diese Anzahl von Ausstellungen in 2017 jetzt schon gemacht zu haben. Er hat in Wien zwei Ausstellungen, in Graz eine Ausstellung, er hat die Biennale in Venedig und die Doppelausstellung hier bei uns. Und die Stringenz in seinem Werk? Da würde er wahrscheinlich sagen, das kommt. Das sagt wahrscheinlich jeder Künstler. Aber er arbeitet an bestimmten Ideen immer weiter und diese Weiterentwicklung in seinem Werk entwickelt sich parallel zur Gesellschaft. Themen, die in der Gesellschaft relevant sind, die tauchen in seinem Werk immer auf. Und Stringenz ist absolut wichtig für ihn und auch für die Ausstellung. Ich denke, er ist der erste Künstler, der unsere sehr komplizierte Architektur im Wechselausstellungsbereich richtig gut in den Griff kriegt, indem er nicht eine Werkschau macht, sondern ihn mit einem Werk bespielt.
Ein Beispiel?
Da ist eine Arbeit, die einen schlucken lässt. Da stehen 55 weiße Sockel, die werden wie in einem im White Cube angelegten Raum inszeniert. Und auf diesen liegen 55 Bronzeskulpturen, die sind etwa faustgroß, aus Bronze, dunkel patiniert. Dieses Arrangement nennt er „Land der Berge“. Auf drei Wänden ringsherum werden Grafiken zu sehen sein, insgesamt 36 Stück, also 12 je Wand, wo er mit Kaffee gearbeitet hat. Er hat Kaffee geschüttet, und diese Schüttungen machen auf dem Papier wunderschöne Strukturen, und das nennt er dann „Vaterland“. Jetzt sieht man das Land der Berge als kleine dunkle braune Häufchen, die unterschiedliche Assoziationen ermöglichen und diese braunen Kaffeeflecken an den Wänden mit dem Titel „Vaterland“. Das ist so ein vielschichtiger Kommentar, zu dem ich ja gar nicht viel sagen muss.
Was unterscheidet Wurm beispielsweise von Jeff Koons?
Alles. Jeff Koons ist ja nicht bitterböse. Jeff Koons ist ein typischer Amerikaner und Erwin Wurm ist ein typischer Österreicher. Diese Arbeit, die ich jetzt gerade beschrieben habe, so eine Arbeit würde Jeff Koons nie im Leben machen. Erwin Wurm ist in erster Linie nicht auf Überwältigung oder Effekt bedacht. Er arbeitet mit dem Menschen, er ist daran interessiert, Beziehungen oder Dialoge aufzubauen und uns dazu zu bringen, nachzudenken.
Wurm, so heißt es, lote die Skulptur bis an ihre Grenze aus. Hat das nicht Marcel Duchamp längst geschafft?
Duchamp war nihilistischer. Der wollte ja eigentlich die Skulptur nicht mehr. Er hat gesagt, wir haben in unserem Alltag so viele Gegenstände, die auch Skulpturen sein können, und er hat ja den Kunstbetrieb damit sehr vorgeführt. Das war sehr wichtig zu der Zeit. Das hat uns ja alle Freiheiten gegeben, die wir jetzt haben. Dann ist die Frage, was machen wir jetzt mit diesen Freiheiten? Und das ist nicht so einfach. Erwin Wurm hat gesagt: Ich bleibe bei der Skulptur. Auf der einen Seite hat er sie mit seinen Staub-Skulpturen ja aufgelöst, bis nichts mehr da war außer dem Staub. Seit den 1980ern hat er an diesem negativ-nihilistischen Bild von Skulptur weitergearbeitet, um dann aber das Objekt und die Materie zu nutzen. Weil das etwas ist, das uns nach wie vor sehr nahe ist, und damit hat er die Skulptur als materielles Objekt neu definiert, ohne reaktionär zu werden.
Gemeinschaftsausstellung „Erwin Wurm“ in Duisburg
7.7.- 3.9. | MKM Museum Küppersmühle | 0203 30 19 48 11
7.7.-29.10. | Lehmbruck Museum |0203 283 26 30
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Tiefer als Realismus
Phänomenal: Karin Kneffel im Museum Küppersmühle in Duisburg – kunst & gut 07/24
Der Kern der Dinge
Zwischen Konzept und Skulptur: Alicja Kwade im Lehmbruck Museum in Duisburg – kunst & gut 12/23
Masken und Gesichter
Christoph M. Gais im Museum Küppersmühle in Duisburg – kunst & gut 11/23
Auf Zeitreise
„Ein Blick zurück“ im Lehmbruck Museum in Duisburg – Ruhrkunst 09/23
Wenn die Farbe die Formen erfindet
E.W. Nay im Museum Küppersmühle in Duisburg – kunst & gut 06/23
Abstraktion als Sprache der Gegenwart
Nicht Einzel- sondern Kontextausstellung: Barbara Hepworth in Duisburg – kunst & gut 05/23
Brechung und Abstraktion
„Die Befreiung der Form“ in Duisburg – Kunst 03/23
Das Leben von Innen
Martin Assig mit einem Werküberblick in der Küppersmühle – kunst & gut 02/23
Brieftauben und Vogelperspektiven
Norbert Kricke in Duisburg – kunst & gut 01/23
Der Raum, den die Skulpturen fühlen
Antony Gormley im Lehmbruck Museum Duisburg – kunst & gut 11/22
Sammeln und Präsentieren
„FullHouse“ in der Duisburger Küppersmühle
– kunst & gut 09/22
Das Rauschen der Farbe
Raimund Girke im Museum Küppersmühle Duisburg
– kunst & gut 06/22
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
„Auch die Sammler beeinflussen den Künstler“
Kurator Markus Heinzelmann über die Ausstellung zu Gerhard Richter in Düsseldorf – Sammlung 08/24
„Die jüdische Renaissance ist nicht so bekannt“
Museumsleiterin Kathrin Pieren über „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten – Sammlung 08/24
„Auf Fautrier muss man sich einlassen“
Direktor Rouven Lotz über „Jean Fautrier – Genie und Rebell“ im Emil Schumacher Museum Hagen – Sammlung 07/24
„Eine von Verflechtungen und Austausch geprägte Welt“
Kuratorin Julia Lerch Zajaczkowska über Theresa Webers „Chaosmos“ im Kunstmuseum Bochum – Sammlung 06/24
„Keine klassischen Porträtfotografien“
Kuratorin Kerrin Postert über „UK Women“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Sammlung 06/24
„Sowohl Bio als auch Fastfood“
Nico Anklam über Søren Aagaards Ausstellung bei den Ruhrfestspielen 2024 – Sammlung 05/24
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24