Johan Simons, Bochums neuer Intendant – Premiere 11/18
trailer: Herr Simons, ist das Schauspielhaus Bochum als Intendant immer noch ein Sehnsuchtsort? Johan Simons: Ich war noch Student an der Theaterakademie, da bin ich schon oft nach Bochum gefahren und habe mir Inszenierungen angesehen. Damals sind mir bereits das Foyer und die beiden Säle aufgefallen. Ich arbeite ja gerade im Großen Haus und kann mit Sicherheit sagen, dass ich kein zweites Haus mit so einer Atmosphäre kenne.
Kommen wir zur ersten Spielzeit. Das vereinte Europa duckt sich unter staatlichen Einzelinteressen – ist ein europäisches Theater Retro (schon) wieder visionär? Weder noch. Ich finde, ein Theater, in dem verschiedene Nationalitäten arbeiten, an dem verschiedene Sprachen gesprochen werden, obwohl die Sprache auf der Bühne Deutsch ist, ist anders strukturiert als früher. Damals wurde es durch das Alter der Schauspieler und ihrer Rollen definiert. Es gab fast ausschließlich weiße Schauspielerinnen und Schauspieler, denn so sah ja auch die Gesellschaft aus. Wenn man heutzutage auf die Straße geht, ob in Bochum oder beispielsweise in Rotterdam, dann ist der Klang auf der Straße völlig anders: Die Menschen sprechen nicht nur verschiedene Sprachen, sondern auch ihr Deutsch oder Niederländisch hat einen ganz anderen Sprachklang. Dieses babylonische Sprachgewirr interessiert mich, denn ich muss im Theater die Gesellschaft abbilden. Davon abgesehen: Der europäische Gedanke lässt sich nicht zurückdrehen. Egoistische Einzelinteressen von Staaten sind gefährlich und führen im schlimmsten Fall zu Rechtsextremismus. Und dagegen müssen wir uns verteidigen. Mir ist es wichtig, meine Gedanken zu Europa auf ein großes Publikum zu übertragen und zu fragen, wie sich für Europa eine neue Utopie schaffen lässt – auch angesichts der großen, auf uns zukommenden Umweltprobleme.
Johan Simons
Foto: Brüggeman Holtgreve Kruse
Zur Person
Johan Simons, geboren in Heerjansdam
(NL), absolvierte eine Ausbildung zum Tänzer und Schauspieler. 1976 wurde er
Direktor und Schauspieler der Haagsche Comedie, später gründete er zusammen mit
Paul Koek die Theatergroep Hollandia. Von 2010 bis 2015 leitete er die Münchner
Kammerspiele, während dessen Königin Máxima ihm den Prinz-Bernhard-Kulturfonds-Preis
verlieh. 2015 bis 2017 war er Intendant der Ruhrtriennale – nun im Schauspielhaus
Bochum.
Gibt es überhaupt einen religionsübergreifenden Humanismus, oder hat die Ausbeutung den dauerhaft zerstört? Ich denke da an ihre Inszenierung von „Die Jüdin von Toledo“. Für mich ist der humanistische Gedanke ganz wichtig, aber die religiöse Perspektive in dem Stück ist eine ganz andere. Sie zeigt, dass der Islam uns Christen damals im 11. Jahrhundert in Cordoba oder Sevilla in Wissenschaft und Poesie weit voraus war. Die Christen schrieben zum Beispiel noch auf Pergament, die Mohammedaner bereits auf Papier. Heute wird der Islam wieder in eine rückständige Ecke gestellt, das ist schrecklich und kontraproduktiv – zumal auch das Christentum seine grausamen Zeiten hatte.
Kann man die Smartphone-Fraktion da draußen überhaupt noch erreichen? Und wenn ja – mit Phillipp Bloms jüngstem Essay „Was auf dem Spiel steht“ oder eher mit Benny Claessens Untersuchung des ewigen unterschwelligen Rassismus? Ich hoffe, mit beiden Abenden. Aber wir haben auch „Ritournelle“ im Programm, und damit können wir wirklich eine jüngere Generation erreichen. Das Elektro-Pop-Programm habe ich bereits mit Tobias Staab in München und bei der Ruhrtriennale gemacht. Natürlich haben wir die Hoffnung, dass die Jugendlichen, die bei „Ritournelle“ feiern, auch zu Benny Claessens ins Theater kommen. Mein Theater ist immer politisch, es versucht auch poetisch zu sein, aber es ist immer politisch.
Wie schafft man in einer ehemaligen Kohle- und Stahlregion mit seinen zahlreichen Theatern Alleinstellungsmerkmale? Unser Alleinstellungsmerkmal ist einfach, das beste Theater zu sein.
Umjubelt! Die Penthesilea-Premiere in Salzburg im Juli 2018, Foto: Monika Rittershaus
Wie würden Sie die kuratorische Gesamt-Struktur des ersten Spielplans erklären? Der Glaube spielt in dieser ersten Spielzeit eine wichtige Rolle. Das wird in der nächsten Spielzeit schon wieder anders sein. In allen Inszenierungen – so verschieden sie auch sein mögen – gehen wir von Schauspielerinnen und Schauspielern, von Menschen, als künstlerischem Zentrum aus. Man muss dafür ein Gespür entwickeln. Theater ist ja kein Massenmedium, sondern ein sehr persönliches. Eigentlich müsste man alle Menschen einer Stadt persönlich kennenlernen. Man muss offen sein für das Publikum und gleichzeitig auch zugänglich.
Dient Hamlet im kommenden Sommer auch als Staffel-Finale für Lust auf mehr? Lust auf mehr sowieso. Ich habe schon einige Shakespeare-Inszenierungen gemacht und ich mache natürlich gerne einen Shakespeare mit Sandra Hüller als Hamlet. Ich weiß, dass Bochum, wie auch Dresden, eine große Shakespeare-Tradition besitzt. Man muss sich zu den Stoffen der klassischen Schriftsteller verhalten, und man muss sie zeigen, auch wenn sie schon hunderte Mal interpretiert wurden und einige Male sogar richtig gut. Als Regisseur muss ich in Bochum die Frage beantworten: Was bedeutet der Hamlet in der heutigen Gesellschaft?
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