Vielleicht spiegelt sich in Ralf Fücks verlegenem Grinsen die aktuelle Haltung vieler Liberaler zum Populismus wider. Denn als sich das Gespräch im Grillo-Theater dem Ende nähert, kann sich der ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen diese Frage an Todd Huizinga nicht mehr verkneifen: „Glauben Sie denn an die Evolutionstheorie?“ Der religiöse US-Amerikaner fühlt sich als Hinterwäldler behandelt, will nicht antworten. Doch Fücks setzt nach: „Das ist eine wirkliche Frage.“
Die Frontstellung ist nicht unbekannt: Von Slavoj Žižek bis hin zu Dedier Eribon mit seiner autobiographischen Analyse „Rückkehr nach Reims“ wurde die Haltung der Liberalen zum Rechtspopulismus oder die Krise der Linken kontrovers und scharfsinnig in den Feuilletons diskutiert. Doch Ralf Fücks hat ein rostiges liberales Eisen auf den Büchermarkt geworfen. „Freiheit verteidigen. Wie wir den Kampf um die offene Gesellschaft gewinnen“ lautet der an den Philosophen Karl R. Popper angelehnte Titel. Viel polarisierender klingt dagegen der Titel von Todd Huizingas Werk: „Was Europa von Trump lernen kann. Die Krise des alten Kontinents und das neue Amerika“.
Beide Sachbuchautoren diskutieren in der neuesten Ausgabe von „Lesart“ im Essener Schauspiel über das Thema „Trump, Wilders, Petry, Le Pen: Auslaufmodell Demokratie?“. Dass Huizinga mit seinen provokanten Thesen und Ausführungen nicht nur bei seinem Mitdiskutanten aneckt, überrascht nicht wirklich. Der altgediente US-Diplomat macht im Café Central International an diesem Dienstag (4.4.2017) keinen Hehl aus seiner christlichen Überzeugung. In Trump sieht er eine Stärkung der Demokratie. Warum? Das wird im Laufe des Gesprächs nicht ganz klar. „Weil er auf die Menschen gehört hat“, meint er etwa. Fücks hält energisch dagegen: „Was wir jetzt erleben, ist eine Art Konterrevolution!“. Der US-Amerikaner sieht allerdings in den liberalen Richtern eine Gefahr: „Man meint, man hat irgendwie das Recht, die Gesetze umzuinterpretieren“, so Huizinga. Fücks widerspricht.
Dass diese neuen liberalen Gesetzte auch Minderheitenrechte gestärkt haben, ist für Huizinga nicht unbedingt ein Fortschritt. Auch was Frauenrechte betrifft, wie er provokant formuliert: „Dann wird aus diesem neuen Menschenrecht ein Recht auf Abtreibung.“ Irgendwann reicht es Fücks: „Sie reden tatsächlich wie ein islamistischer Fundamentalist. Sie wollen zurück hinter die Aufklärung seit Kant.“
Doch überzeugend hält er nicht dagegen. Partizipation, Demokratisierung, Armutsbekämpfung? Die brisanten, sozialen Eruptionen umschifft auch der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und wirft stattdessen mit Worthülsen wie den so oft beschworenen „Institutionen“ und wiederentdeckten „Fortschritts-Optimismus“ um sich. Ein Wort, das ihm wie selbstverständlich besonders oft über die Lippen geht: „Wir“. Ohne zu verraten, wer es ist. Die WählerInnen? Die Politik? Die liberale Verwaltung? So gibt es kaum neue Erkenntnisse: Zwei Intellektuelle, zwei Autoren, die sich einen verbalen Schlagabtausch leisten und die aktuelle gesellschaftliche Krise im Kleinen widerspiegeln: Ein neokonservativer Fundamentalist, der liberale Selbstverständlichkeiten hinterfragt. Und ein Liberaler, der sich anschickt, die Demokratie zu verteidigen, aber statt auf soziale Probleme im Kapitalismus einzugehen, nur alte Floskeln über die offene Gesellschaft aufwärmt. Auch das sind Glaubensbekenntnisse. So ist an diesem Abend eher die Frage, wer fundamentalistischer ist.
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