Wer denkt, dass es leicht ist, irgendwo anders als im Supermarkt Zucker zu kaufen, der täuscht sich. Sollte jemand auf die Idee kommen, den süßen Stoff, na sagen wir mal in Nigeria zu kaufen, dann würde er sein saures Wunder erleben. Zahlreiche Handelsschranken schränken den Weg des globalisierten Warenaustausches ein, schaffen hier Reichtum, dort Armut und woanders Katastrophen. Rohstoffe sind es, die Räderwerke rollen lassen, Rohstoffe machen schön und sie werden immer knapper. Das internationale Forschungs-, Ausstellungs- und Webprojekt „World of Matter“ beschäftigt sich mit ihnen und ihren komplexen Ökologien, die meist nicht bemerkt werden, außer ein Schaufelradbagger frisst sich gerade nebenan durch einen Vorgarten. Und wer hätte gedacht, dass eine Gruppe von KünstlerInnen, FotojournalistInnen und TheoretikerInnen nicht nur Braunkohle oder Erdöl zu den Rohstoffen zählen, sondern auch Luft, Wasser, Fisch, Reis und Plastik. Die Ausstellung vom Hardware Medienkunstverein (HMKV) im Dortmunder U erkundet den zeitgenössischen Umgang mit Ressourcen und stellt dabei die anthropozentrische Perspektive in Frage, welche Rohstoffe als vorrangig für den Menschen bestimmt betrachtet. Und so sitzt der Besucher dort in einer roten Sofaecke und schaut sich auf dem iPad „Landrush“ (2011-2014) von Uwe Martin und Frauke Huber an, wo es um Soja, um Ethanol, um Land als Rohstoff geht, in bunten Videos mit National-Geographics-Standard.
Gleich gegenüber die schneeweiße Fläche aus Zucker. Die zwei Blöcke aus insgesamt 304 Zuckerwürfeln, eine in Frankreich, eine in Nigeria gefertigt, wiegen etwas mehr als drei Tonnen, jeder einzelne wiegt schlichte zehn Kilogramm. Die Multimediainstallation „Monument of Sugar“ (2007) wurde nur möglich, weil die niederländischen Künstler Lonnie van Brummelen und Siebren de Haan den Zucker aus Nigeria als Kunstwerk deklarierten und so den Zoll in Europa überwanden. Der Rohstoff als Material zur Erstellung eines Kunstwerks ist kein Kunst-Stoff, aber der Subtext seiner Transformation ist es schon. Dokumentarisches wird zur künstlerischen Aussage und umgekehrt, das ist eben ein Standpunkt des internationale Forschungs-, Ausstellungs- und Webprojekts „World of Matter“, die auch den öffentlichen Diskurs über Rohstoffe erweitern will, insbesondere angesichts der privatisierten Natur des Abbaus globaler Ressourcen. Das betrifft uns alle und auch gerade in diesem Moment, und die Perspektiven verdüstern sich weiter. Das Unheil findet nicht nur in Übersee statt, wie ihre zweite Arbeit „Episode of the Sea“ (Video, 2013) über die Fischergemeinde Urk am Ijsselmeer zeigt.
Viele der Arbeiten benötigten regelrechte Feldstudien vor Ort, aus denen dann die „Kunstwerke“ hervorgingen, quasi als Resultat und Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Forschung. Dabei geht die visuelle Ästhetik beim Betrachten nie verloren, man benötigt nur eine Menge des Rohstoffes Zeit und den Willen, sich auf eine andere Sichtweise der Welt einzulassen.
„World of Matter“ | bis 22.6. | HMKV Dortmunder U | www.hmkv.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Multimedialer Remix der Postmoderne
Tom McCarthys Ode an „The Pow(d)er of I Am Klick Klick Klick Klick and a very very bad bad musical“ im HMKV Dortmund – Kunst 07/21
HAL 9000 ist eigentlich weiblich
Wilde „Computer Grrrls“ im Dortmunder HMKV – Kunstwandel 02/19
Von der afrikanischen Moderne
„Afro-Tech and the Future of Re-Invention“ im HMKV – Kunstwandel 12/17
Nie wieder Alkali-Kieselsäure-Reaktion
Wichtige Wertschätzung des Beton-Brutalismus im Dortmunder HMKV – Kunstwandel 05/17
Die Welt ohne uns
Kunstvorschau: Eine Zukunftsvision in Dortmund, ein Gespräch in Hagen und Stars in Düsseldorf
Tabus und Visionen
Kunstvorschau: Homosexualität_en, Futuristisches Manifest und Handpuppen
Das Netz verbirgt sie alle
„Whistleblower & Vigilanten“ im HMKV im Dortmunder U – Kunstwandel 05/16
KI fördert die digitale Demenz
Intelligente Ausstellung im Dortmunder U – RuhrKunst 12/15
Aufmarsch der Maschinen
„Das mechanische Corps“ im HMKV Dortmund – Kunstwandel 05/15
Zwischen Rache und Gerechtigkeit
„The Dark Knight“ mit psychologischer Analyse im Kino im U
Sie sind längst überall und nicht mehr lustig
„Böse Clowns“ vom Hardware Medien Kunstverein im Dortmunder U – Kunstwandel 11/14
„Den Lebensstil radikal verändern“
Inke Arns über die Ausstellung „World of Matter – Über die globalen Ökologien von Rohstoff“ – Sammlung 03/14
Aus zwei Sammlungen
Das frühe 20. Jahrhundert im Kunstmuseum Mülheim – kunst & gut 11/24
Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Denkinseln im Salzlager
Osteuropäische Utopien in Essen – Ruhrkunst 08/24
Ausgezeichnet auf Papier
Günter Drebusch-Preis 2023 in Witten – Ruhrkunst 08/24
Räume und Zeiten
Eindrucksvoll: Theresa Weber im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 08/24