Tage wie zuletzt dieser 9. Juli sind es, die den Fachleuten im Revier Sorgen bereiten. Regen nämlich rund um die Uhr – an der Wetterstation Essen satte 56 Liter pro Quadratmeter. Es war die größte Tagesmenge seit November 2010. Oder der 9. Juni, auch als „Baumfäller-Pfingstmontag“ bekannt: Da gingen in Bochum 40 Liter runter – innerhalb einer Stunde. Neben dem Chaos, das der Sturm oberirdisch anrichtete, kam eine zweite Gewalt aus dem Untergrund. Die überlastete Kanalisation sorgte für Rückstaus und Überschwemmungen, anderswo drückte die Flut Gullydeckel aus dem Boden. Regen mischte sich mit Fäkalien-belastetem Wasser dort, wo man diese Brühe lieber nicht hätte: in Straßen, in Vorgärten.
Ob’s wieder ein „Jahrhundertregen“ war, mit dem Medien nach extremen Wetterereignissen gern hantieren, ist in der Fachwelt umstritten, aber auch egal. Heftigen Starkregen definiert die Mehrzahl der Wetterforscher bereits ab 20 bis 25 Litern pro Tag. Und sicher ist, sagt Ilias Abawi als Sprecher der Emschergenossenschaft, „dass sich diese Ereignisse in Zukunft bei uns häufen werden. Solche 40-Liter-Tage haben wir jetzt schon zweimal im Jahr.“ Wie aber wappnet man sich gegen die nasse Aussicht? Zu verhindern, dass das Revier absäuft, betrachtet die Emschergenossenschaft als ihre Kernaufgabe. Sie funktioniert letzten Endes über Deiche. In Oberhausen beispielsweise so hoch, dass man mit ihrer Überschreitung allenfalls einmal in 200 Jahren rechne.
Zunehmend macht sich daneben – auch optisch – eine Strategie bemerkbar, die Abwasserverband und Anliegerkommunen gemeinsam verfolgen. Schmutzwasser wird vom Regen getrennt und unterirdisch zur Kläranlage geleitet. An der Oberfläche vollzieht sich die Umwandlung von Emscher und den als „Köttelbecken“ bekannten Zuläufen zu naturnahen Fließlandschaften, die sich freilich innerhalb der alten Deiche abspielen müssen. Begleitet wird diese bis 2020 geplante Aktion von einem noch neuen Trend, den man an immer mehr Orten erkennt: der Rückkehr des Wassers in die Stadt. Was vom Himmel fällt, soll länger gehalten und mehrfach genutzt werden. Als Hochwasserschutz und zur lokalen Klimatisierung – weil sich City-Betonquartiere schon bis zu 7 Grad stärker aufheizen als Randlagen.
Bereits vor 20 Jahren sorgte ein überschaubares Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) für beifälliges Raunen in der Fachwelt. Bei der baulichen Ergänzung der Schüngelberg-Zechensiedlung, für die man das alte Gartenstadtkonzept aufgriff, setzten die Planer erstmals wieder auf Rigolen. Mit solchen offenen Rinnen hält man seitdem Regenwasser länger im Quartier, statt es fix abzuleiten. Längst finden sich solche Beispiele nicht mehr nur in Gelsenkirchen (auch: Lindenhof-Siedlung) oder Bochum, wo im Weitmarer „Großen Busch“ demonstrativ aufgeständerte Leitungen von Hausdächern zu einem neuen Teich führen. Allüberall entstehen zudem Regen-Rückhaltebecken als Teile einer Biotop-Landschaft, vornehmlich in den Außenbereichen. Auf Pausenhöfen wie dem der Schillerschule wird der Boden entsiegelt, sammelt sich Wasser in kleinen Senken. „Selbst mit 20 bis 30 Zentimetern Tiefe kann man schon ein schönes Volumen speichern“, freut sich Bochums Stadtbaurat Dr. Ernst Kratzsch.
Neuerdings lässt sich vor allem beobachten, dass Wasser zum Mittelpunkt neuer Baugebiete wird. Etwa am Nordrand der Essener City: Nur ein paar Steinwürfe von Limbecker Platz und Uni entfernt, hat die Allbau mit „Pier 78“ die gleiche Anzahl neuer Wohnungen entlang einer knapp 300 Meter langen Wasserpromenade errichtet. Im Stadtteil Altendorf soll am 23. August der frisch angelegte Niederfeldsee als Quartier-Oase übergeben werden: Seine 22.000 Quadratmeter sorgen dafür, dass sich die angrenzenden Neubauten überdurchschnittlich gut vermarkten lassen. Eine Erfahrung, die man dito in Dortmund rund um den neuen Phoenixsee gemacht hat, auf dessen 24 Hektar Fläche sogar gesegelt werden kann: „Dort hat sich der Platz des alten Stahlwerks einfach angeboten. Das war eine einmalige Chance“, kommentiert Ilias Abawi. Auch Gelsenkirchen nutzt endlich den alten „Graf-Bismarck“-Hafen am Kanal, um an der Waterkant attraktive Wohn- und Gewerbeflächen anzubieten.
„Wasser in der Stadt“ ist selbst dort ein Zugpferd, wo es eigentlich keiner weiteren Attraktion bedarf. Die Landeshauptstadt Düsseldorf – allein schon durch die Rheinlage gesegnet – sorgte mit zusätzlicher Wasserfläche am „Kö-Bogen“ dafür, dass sich Landskrone-Teich und Kö-Graben nun zu einem Ensemble ergänzen. Am neuen „Derendorfer Stadtquartier“ holt man auf kurzer Strecke selbst die unterirdisch verrohrte Düssel naturnah wieder ans Tageslicht, berichtet Umweltamtsleiter Dr. Klaus von Zahn. Und trotz der hohen Verdichtung leistet man sich, dem namensgebenden Flüsschen kleinere Überschwemmungsflächen zu reservieren. Lediglich bei der Frage, wie man mit Regenwasser umgeht, agiert Düsseldorf eher konservativ: 80 Prozent der Kanalisation sind Mischsysteme und dazu gedacht, etwaige Fluten schnell wegzudrücken. Dort, wo der Grundwasserspiegel eh schon hoch reicht, ist man mit zusätzlichen Gaben von oben vorsichtig. Vollgelaufene Keller? So weit reicht die rheinische Liebe zum Wasser dann doch nicht.
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