Nichts ist so wie es sollte auf dem Video „Before the Rain“ (2010) von Yang Yongliang. Eine animierte chinesische Landschaft mit Riesenrad und Wasserfällen, wo keine sein sollten. Es ist schon ein Phänomen. China-Art im Ruhrgebiet und zynischer Realismus wohin man sieht. Nicht nur an chinesischen Grinseskulpturen kann man das festmachen, auch im Skulpturenmuseum Glaskasten Marl stimmt das unbestimmte Genre, dort wo „Die angehaltene Zeit“ zu sehen ist, wo Arrivierte documenta-Teilnehmer wie Yang Fudong (ich sag nur „First Spring“ für Prada, 2010) neben Pionieren wie Wang Gongxin („Still Life 1-7“, Video auf Hochkant-TV, 2012) oder Zhang Peili zu sehen sind. Seit 1988 galt der mit „30x30“ als Urvater der chinesischen Kunst-Videos. Doch wer schaut sich auch sein 480 Minutes“-Opus von 2008 über einen Näherei-Betrieb an? In Marl dominieren die dokumentarischen Arbeiten einen wenig; sind sie zu Beginn noch in die westliche Skulpturenwelt integriert wie Hung Keungs Videoserie „Dao Gives Birth to One“ oder das nicht eingeschaltete „922 Rice Corns“ (2000) von Yang Zhenzhong (vielleicht waren die Hühner auch gerade satt), wird es eine Etage tiefer labyrinthisch spannend. Wer findet alle Videos hinter den Vorhängen? Insgesamt vierzehn künstlerische Positionen verbergen sich hier. Da wird der Besucher mal mit dem Beil bedroht (Chen Xiaoyun, Zwei Videos, Why Life, 2010) oder von Fang Lu bei „No World“ (2014) in eine brachiale Geschlechter-Auseinandersetzung mit brennenden Einkaufswagen und einem Hund gezogen.
Die neuen Lebensbedingungen in China ändern sich schnell, die wirtschaftlichen Möglichkeiten auch, doch irgendwie scheint das Land gequält zwischen eigener Geschichte und der Unentrinnbarkeit bereits gesetzter politischer und moralischer Werte. Was hat noch Bedeutung?Siehe Yang Zhenzhong und sein aufreizendes Video „Exam“ (2012). Da wird klar, warum es eine direkte politische Opposition in China schwer hat, und doch – irgendwie lässt sich auch dort die gesellschaftliche Dekadenz nicht mehr aufhalten, wenn auch die Zeit angehalten scheint.
„Die angehaltene Zeit“ | bis 13.9. | Glaskasten Marl | www.skulpturenmuseum-glaskasten-marl.de
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