Ganz schön frech: Dass es in Nils Alix-Tabelings Ausstellung um Subversion, zivilen Ungehorsam und Jenseitiges der Norm geht, sieht man seinen Objekten schon rein formal an. Sie sind kein bisschen dekorativ und gefällig. High and Low gehen munter durcheinander beziehungsweise gut zusammen, auch in der Auswahl der Materialien. Der junge Franzose, geboren 1991, kombiniert Fundstücke, Ohrringe, Schneckenhäuser, Kristalle, Stoffstreifen, Kerzen, Wolle, Pflanzenteile und Ziegendarm mit hochpolierter Holzschnitzerei, Schmiedearbeit, 3D-Objekten und handwerklich feinster Motivstickerei. Die scheinbar chaotischen Basteleien entpuppen sich beim näheren Hinsehen als sehr präzise ausgearbeitet. Jedes Detail und Material ist kalkuliert eingesetzt und verknüpft – oft zu fragilen Monstern aus Mensch und Möbelstück, verstörend und faszinierend. Wie z.B. „L'Hernie Hiatale“, eine kleine knietief aufgestellte Figur aus Holz, Aluminium, Epoxidharz, Eibischwurzel und Heilpflanzen mit breitkrempigem Hut. Wer sich zu ihr hinunterbückt, blickt in eine erschreckend verzerrte Fratze.
Zweifellos spielt Esoterik eine Rolle, Science-Fiction nebst Hexerei, doch die Symbolik bleibt vage, mehrdeutig und latent unbehaglich. Hinter allem steht, wie man aus dem Infoblatt des Kunstvereins erfährt, gesellschaftspolitisches Engagement. Ein Thema ist Terror und Gewalt, an und durch Frauen und Unangepasste – im Ausstellungs-Handout etwas theoretisch überstrapaziert. Nils Alix-Tabeling selbst geht subtiler vor, deutet nur an, nicht aus. Mit seinem fragenden Ausstellungstitel „But who is Ulrike Mandrake?“ öffnet er Assoziationsfelder (Ulrike Meinhof und RAF-Terror, Mandrake als Ritualpflanze Alraune mit Wurzeln in Menschengestalt). Diese Ulrike taucht in einigen Werken auf. Ihr Konterfei auf einem Pfeil durchbohrt eine „Bandwurm“-Figur, die eher verletzlich als gemein wirkt. Und sie ist sehr präsent in einem fiktiven, sehr anrührenden Gefängnis-Dialog mit Rosa Luxemburg (nach Originalzitaten aus Briefen). Man lauscht beiden auf Stuhlskulpturen mit Kissen in Hirnform. Alix-Tabelings morbide Ästhetik geht ans Eingemachte, auch wenn man nicht alles decodieren kann, muss, will. Was sich erfrischend vermittelt, ist, dassKunst nicht schön und brav sein und auch nicht gefallen muss, um Power zu entfalten.
But who is Ulrike Mandrake? | bis 10.9., Sa 5.8. 19 Uhr: Live-Performance von Nils Alix-Tabeling | Dortmunder Kunstverein | 0231 57 87 36
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Der Charme des Unbeständigen
„Blade Memory II“ im Dortmunder Kunstverein – Ruhrkunst 07/22
Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
Roter Teppich für das Kino
Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 08/24
Lebendige Zeitgeschichte
Marga Kingler im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 07/24
Happy End
Ausstellung über Glück in Bochum – Ruhrkunst 07/24
Im Bann der Impulse
„Radiant“ im Lichtkunstzentrum Unna – Ruhrkunst 06/24
Alle für einen
Matthias Wollgast im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 06/24
Leben in der Wüste
Namibia-Ausstellung im Naturmuseum Dortmund – Ruhrkunst 05/24
Hin und weg!
„Ferne Länder, ferne Zeiten“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 05/24
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
Ausdruck der Zeit
Expressionismus-Sammlung im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 01/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Das bisschen Haushalt …
„Kochen Putzen Sorgen“ im Quadrat Bottrop – Ruhrkunst 12/23
Unorte im Fokus
„Die Stadt ist anderswo“ im Bochumer Museum unter Tage – Ruhrkunst 12/23
Konkret gemalt
„Colours and Lines in Motion“ in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 11/23
Auf nach Phantásien!
Illustrationen zu Michael Endes Geschichten in Oberhausen – Ruhrkunst 10/23
Im Herzen des Bunkers
Marianne Berenhaut in Recklinghausen – Ruhrkunst 09/23