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Nicole, 76 Jahre, Frankreich
Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Gabriele Kostas

Dekonstruktion eines Tabus

29. Juni 2017

„Europas neue Alte“ in Dortmund – Ruhrkunst 07/17

Als Emma Morano im April 2017 stirbt, ist ihr Tod eine Sensation: Der letzte Mensch des 19. Jahrhunderts verlässt die Welt im Alter von 117 Jahren. Im Eifer der Berichterstattung wird ihr Leben auf Superlative reduziert, die wie Meistertitel anmuten. In ihrer Heimat schon lange eine Berühmtheit, richten sich die Augen der Welt erst im Moment des Todes auf die norditalienische Stadt Pallanza und ihre wohl bekannteste Bewohnerin. Morano ist da in erster Linie eines: alt, mehr noch – tot. Ihr Absterben, nicht ihr langes Leben, wird zur finalen Referenz, auch wenn sie 117 Jahre gelebt hat. Das sind 52 Jahre, die sie nach Überschreiten der magischen 65 noch verlebt hat – 52, das ist ein halbes, für manche gar ein ganzes Leben. Dennoch haftet in uns der Glaube, dass ab 65 vieles nicht mehr ginge. Dass unser Blick aufs Alter von negativen Gefühlen geprägt ist, liegt zum einen an der Unsicherheit, die wir mit diesem Lebensabschnitt verbinden – schließlich schwindet hier endgültig die Illusion, unsterblich zu sein. Zum anderen sind wir alle Teil einer alternden Bevölkerung und so mittelbar von den damit verbundenen Problemen betroffen.

Dass Alter jedoch immer noch eine Zahl, ein Wort ist, welches individuell gelesen werden muss, thematisiert die Ausstellung „Europas neue Alte“, die derzeit im Museum für Kunst und Kulturgeschichte zu sehen ist. Fotografin Gabriele Kostas hat hierfür 27 Männer und Frauen zwischen 65 und 94 aus ganz Europa porträtiert. Ihr Blick ist ruhig, nah und offen und begegnet den Protagonisten ihrer Aufnahmen frei von Vorurteilen. So verschafft sie ihnen den nötigen Freiraum für ihre persönlichen Erzählungen, die sich vor allem im Jetzt abspielen. Durch zusätzliche Informationen wie Steckbriefe und Interviews gewährt die Ausstellung einen zwar textlastigen, doch nicht weniger interessanten Streifzug von Georgien über Griechenland und Slowenien bis nach Schweden. Dabei dokumentiert „Europas neue Alte“ weniger ein alterndes Jahrhundert, viel eher beweisen Kostas Aufnahmen, dass Alter vor allem eine Frage der Neugierde ist.

„Europas neue Alte. Ein foto-ethnografisches Projekt“ | bis 16.7. | Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund | 0231 50 255 22

Barbara Slotta

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