Auch bei der Ausstellungseröffnung riecht es in der Kunsthalle Wuppertal noch nach Farbe. Bis in die Nacht hinein haben die Künstler hier gearbeitet und so einen sichtlich übermüdeten Kurator auf die Redebühne geschickt, gleich nachdem der Von der Heydt-Förderpreisträger Christoph Iacono ein Piano malträtiert hat. Der Wuppertaler Pianist, Komponist, Theater- und Bühnenmusiker richtet seine Aufmerksamkeit vor allem auf zeitgenössische Kompositionen und Formen avantgardistischer Kunst. Das konnte der Vernissage-Besucher sehr gut nachvollziehen, ob es dem Instrument gefallen hat, ist schwer zu beurteilen. Aber die Vorstellung passt ins Bild. In der Ausstellung geht es nicht um klassische Moderne, sondern um Street Art. Schon zum zweiten Mal nach 2007 hat der Sammler und Kurator Rik Reinking eine Auswahl renommierter Künstler ins Bergische Land gelockt. Die kommen aus Kapstadt, Berlin, London und Paris angereist und arbeiten vor Ort, dann ziehen sie weiter, quer durch die Welt. Eine Kunst-Community, die wie eine Familie funktioniert und für die sich der Kunstmarkt längst brennend interessiert, obwohl der Begriff „Schmiererei“ kaum aus dem Vokabular der Kritiker zu verbannen ist. „Hausbesitzer mögen selten Graffiti auf ihren Wänden“, sagt Reinking.
Aber der respektlose Begriff wurde im Laufe der Jahrhunderte schon für ganz andere Kunstgrößen verwendet und so ist die Hoffnung der jungen Urban Art-Artisten nicht ganz unberechtigt, auch einmal auf dem Gipfel des Kunstolymps zu stehen. Das erste, was man beim Hineingehen in die Räume feststellt: Viele Arbeiten wurden direkt auf die Wände gemalt. Darunter auch ein Werk von BOXI zur Katastrophe in Fukushima. Für die Person im Vordergrund, die auf eine graue Landschaft schaut, produzierte der Engländer vielschichtige Schablonen in Lebensgröße, die er von Hand ausschneidet. Die Arbeit wird von einer Tür durchschnitten über der eine amerikanische Kampf-Drohne ihre Bahn zieht. Auch Mirko Reisser (DAIM) arbeitet flächendeckend. Was auf den ersten Blick wie ein gesprühtes Graffiti aussieht, entpuppt sich aus der Nähe als Struktur aus Klebestreifen. Der Lüneburger DAIM beschäftigt sich ausschließlich mit dem Namen, mit der Wiederholung und dem Neuerfinden seines Selbst. Die vier Buchstaben im formal komplexen 3-D-Style, unterliegen dabei einem ständigen Wandel, sie okkupieren die Wand, den Raum, den Betrachter, der als nächstes vor einer sitzenden Figur in der Ecke steht, die leblos und doch lebendig scheint. Was beispielsweise ein US-amerikanischer Künstler wie Duane Hanson durch filigrane Oberflächen erreicht, macht sein Landsmann Mark Jenkins nur mit Kleidung und das so perfekt, dass viele Besucher erst stupsen müssen, um die Leblosigkeit zu glauben.
Und ein paar Meter weiter ist gleich São Paulo. Der Brasilianer Zezao hat eine Bretterwand aufgeschraubt und mit deutschen Hinweisschildern versehen, darauf seine typischen organischen Graffitilinien in blau. Sie sind 10.000 Kilometer entfernt auch im öffentlichen Raum oder auf verfallenen Gebäuden zu sehen. Eigentlich werden die temporären Aktionen, ungewöhnliche Objekte und Skulpturen, Schriftzüge und Stencils als Sehstörung in die werbegetränkten visuellen Flüsse der Städte installiert, hier sind sie dem urbanen Umfeld entzogen. Die Arbeiten halten dem gelassen stand.
„Street Art – meanwhile in deepest east anglia, thunderbird were go“ I 28.5.-25.9. I Von der Heydt Kunsthalle Wuppertal-Barmen I 0202 563 65 71
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