Ein Foto mit Symbolwert: Zwei große ineinander verschränkte kreisrunde Durchbrüche in der Betonmauer leiten den Blick hinaus ins Freie – über Rasen und Mauer hinweg in die offene Weite des Himmels. Klaus Kinolds quadratische Schwarz-Weiß-Aufnahme bildet den Auftakt für die Ausstellung seiner Fotoserie über die Grabanlage La Tomba Brion, die der venezianische Architekt Carlo Scarpa in den 1970er-Jahren für das Unternehmerehepaar Giuseppe und Oniora Brion errichtete. Zwei Seelen, im Tod vereint – der offene Eingangsbereich der Grabanlage spiegelt diese Idee und der Fotograf hat sie sachlich und präzise erfasst. Gerade Linien, ein Lichtakzent auf der Treppenstufe, die Horizontlinie führt exakt mittig durch den Doppelkreis. In der fast statischen Symmetrie entfaltet sich, kongenial zur Funktion des Ortes, stille Poesie.
Klaus Kinold, 1939 in Essen geboren, heute in München lebend, fotografiert mit dem Blick eines ausgebildeten Architekten, bestrebt, den Geist eines Bauwerks zu erfassen. Scarpas „La Tomba Brion“ bot ihm Motive en masse. Kinolds Serie aus rund 30 Ansichten in unterschiedlichen Formaten präsentiert das Museum DKM in seiner Ausstellungshalle im Neubau. Die meisten sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen in diffusem Licht, vereinzelt Details mit dezenten Farbeffekten, wo der Beton mit Goldrand oder Mosaiksteinen verziert wurde oder Gänseblümchen im grünen Gras die rauen grauen Mauern kontrastieren.
Als „heiteren Ort der Meditation“ sah Scarpa selbst sein Bauwerk. Für das über 2000 qm große, L-förmige Areal direkt neben dem Dorffriedhof von Altivola bei Venedig hatte er bis 1975 ein verschachteltes Sichtbeton-Ensemble aus mehreren Baukörpern in völlig freien, abstrakten Formen gestaltet – ein Wechselspiel aus engen Korridoren, Nischen und weiten Räumen mit Öffnungen und Blickachsen. Kapelle, Meditationspavillon, ein Mausoleum für das Ehepaar, eines für Familienangehörige sind durch Rasenflächen, Gehölzgarten, Wege und Wasserbecken miteinander verbunden und von einer Mauer umgeben. Aber öffentlich zugänglich.
Fotograf Kinold besuchte die Anlage 10 Jahre nach der Errichtung und fing mit seiner Kamera die verspielte Melancholie ein, die er 1985 vorfand. „Eine Art Idealzustand zwischen Fertigstellung und Verfall“, beschreibt ein Wandtext. Mittlerweile hat an den Monumenten der Vergänglichkeit der Zahn der Zeit genagt: Beton und Holzelemente sind stark verwittert, einige Lebensbäume abgeholzt. Weitere Informationen zu den einzelnen Bildmotiven gibt es nicht, weder Übersicht noch Lageplan. Auf Hinweisschilder an all seinen Exponaten zu verzichten, gehört zur Ästhetik des Museums DKM, das durch kontemplatives Schauen existenzielle Fragen anstoßen möchte. Kinolds Ansatz fügt sich passgenau ins Konzept der „Linien stiller Schönheit“; weitere Ausstellungen des Architekturfotografen sind in Planung.
Architektur mit den Augen des Fotografen (Carlo Scarpa: „La Tomba Brion“) | bis 30.8. | Museum DKM, Duisburg | 0203 935 55 47-0
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