Die 1970 geborene Multimediakünstlerin Camille Norment stammt aus den USA und lebt in Norwegen. Ihr Werk umfasst Klangkompositionen, Installationen, Performances, Skulpturen, Zeichnungen und Videos. Unter dem Begriff der „kulturellen Psychoakustik“ fasst sie ihr Interesse an den Beziehungen zwischen klangästhetischen und gesellschaftlichen Phänomen zusammen. In diesem Jahr erhält Norment den mit 25.000 Euro dotierten Nam June Paik Award der Kunststiftung NRW, der nach dem koreanisch-US-amerikanischen Komponisten und Künstler Nam June Paik (1932-2006) benannt ist. Ein Gespräch über Norments neue Installation und die neue Heimat des Skulpturenmuseums Glaskasten Marl.
trailer: Herr Elben, was hat Camille Norment mit Nam June Paik gemeinsam?
Georg Elben: Es wäre zu wenig, wenn man Camille Norment nur als Klangkünstlerin bezeichnen würde. An der Arbeit, die hier in Marl gezeigt wird, kann man das sehr schön sehen. Da gibt es Elemente, die durchaus eine medientechnische Komponente haben, und Paik ist ja ein Experte gewesen, was den künstlerischen Einsatz von Technik angeht. Er hat sie damals meist gegen den Strich genutzt. Das Erlebnis der Besucher in der Installation von Camille Norment besteht darin, dass sie etwas überLautsprecher hören, aber gleichzeitig, wenn sie sich auf die Sitzbänke setzen oder legen, dazu am ganzen Körper etwas spüren, durch sogenannte Transducer. Ganz neu ist das nicht, und man kann sicherlich eine Parallele zu Paik ziehen, wenn man diese Technik nutzt, um damit eine besondere Wahrnehmungsatmosphäre zu schaffen.
„Eine besondere Wahrnehmungsatmosphäre schaffen“
Was ist in Marl zu sehen oder besser zu hören? Es ist eine Installation in einem Pavillon?
Der Besucher kommt in diesen Park, der ja ein alter Friedhof ist, und sieht noch ein paar private Gräber, aber auch die russischen Kriegsgräber. Diesind aber von der Stelle, die wir ausgesucht haben, relativ weit entfernt. Man kommt in einen sehr schönen lichtdurchfluteten Park mit alten hohen Bäumen und Rasenflächen, und da steht jetzt ein Pavillon auf einer Lichtung. Sechseckig, relativ groß mit knapp fünfzehn Quadratmeter Grundfläche. Den sieht man schon von weitem mit spiegelndem Glas. Die Künstlerin hat einzelne Elemente der Gläser mit einer bestimmten Folie beschichten lassen, die semitransparent ist, man kann also rein- und auch rausschauen, aber man spiegelt sich dennoch, vor allem bei viel Licht von außen. In dem polygonalen Bau gibt es einen Holzboden, der in etwa die Farbigkeit hat wie die drei Bänke, auf die man sich setzen oder legen kann.
Darin erklingt eine polyphone Stimmkomposition. Was muss ich mir denn darunter vorstellen?
Die Besucher treten ein und hören gleich etwas, weil reguläre Lautsprecher verwendet werden. Sie hören eine Komposition von Klangaufnahmen, die Camille Norment im Laufe der Zeit gesammelt hat. Ihr Archiv ist die Grundlage ihrer künstlerischen Arbeit, aus dem sie eine neue Komposition speziell für Marl entwickelt hat. Zuhören sind Gesänge unterschiedlicher Art, aber auch Klanggeräusche, die so miteinander verwoben sind, dass daraus eine Vielschichtigkeit entsteht. Und wenn man sich dann setzt oder legt, spürt man die Töne auch noch als Vibrationen.
Camille Norment arbeitet nicht nur mit Akustik, sondern sie macht u.a. auch Zeichnungen oder Performances. Davon ist auf dieser Ausstellung in Marl nichts zu sehen?
Nein, die neue Arbeit steht für sich. Norment hat das Konzept als Wettbewerbsentwurfeingereicht und die Installation im Laufe der letzten Monate für die Parkanlage entwickelt. Das Skulpturenmuseum Marl befindet sich in einem recht weit entfernten Übergangsstandort, und unser neues Domizil direkt am Park wird erst in zwei bis drei Jahren fertig. Von daher sind keine weiteren Arbeiten und auch keine Zeichnungen zu sehen.
„Wir werden die Bereiche Klang und Video als Preise wiederaufleben lassen“
Im Statement heißt es, die Klanginstallation eröffne eine neue Blickweise auf den ehemaligen Friedhof. Da liegt die Frage nahe, was eigentlich aus dem Deutschen Klangkunstpreis geworden ist?
Wir mussten ja aus dem alten Glaskasten im Rathaus ausziehen. Die letzte Ausstellung mit der großartigen Installation von Mischa Kuball ging in den ersten Januartagen des letzten Jahres zu Ende, das ist nun auch schon eineinhalb Jahre her. Wir haben ungefähr ein Jahr an diesem Auszug gearbeitet, und in dieser Situation hab ich sagen müssen – das ist mir schwergefallen, aber da ging kein Weg dran vorbei – dass die Medienkunstpreise, also der Deutsche Klangkunstpreis und der Videokunstpreis, ausgesetzt werden, wir schaffen das schlicht nicht. Die Schule Marschall 66 als zukünftige Heimat des Museums ist per Ratsbeschluss kurz vor der Sommerpause dann doch noch gerettet, und die sieben Millionen Euro, die nach Neuberechnungen der Baukosten gefehlt haben, sind glücklicherweise bewilligt worden. Es ist unser Ziel, dort 2026 einziehen zu können, und wenn wir dort Fuß gefasst haben, dann werden wir sowohl den Bereich Klang als auch Video als Preise wiederaufleben lassen. Aber man kann schon sagen, eine Arbeit wie die neue von Camille Norment ist schon etwas, was auch in die Richtung Klangkunst geht, auch um zu zeigen, dass wir die Medienkunst nicht vergessen haben.
Camille Norment: Glass Sound Pavilion | 27.8. - 15.10. | Skulpturenmuseum Glaskasten Marl | 02365 99 22 57
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