Wie grundlegend sich doch der Zeitgeist ändert. Was vor fünfzig Jahren als Konzept für die Zukunft gefeiert wurde, gilt heute als potthässlich und bedrückend. Wir fragen uns, wie es passieren konnte, dass in den 1960er und 70er Jahren solche Gebäude wie das FORUM in Mülheim und der Stern in Marl sowie die Ruhr-Universität als quasi eigener Stadtteil in Bochum gebaut wurden: in Beton, bewusst auf Funktion und damit Größe ausgerichtet, so dass der Mensch winzig wirkt. Aber wir dürfen die damaligen städteplanerischen Absichten nicht vergessen, die Bevölkerung – in der Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs – am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen und statt auf Peripherie auf Zentrum zu setzen. Ziel war die Zusammenführung aller Bedürfnisse mit erschwinglichen Wohnungen und dem Bahnhof um die Ecke. Schon im vergangenen Jahr ist das Kunstmuseum Mülheim in seinem Gespür für die urbane und kulturelle Verfasstheit dieser Stadt derartigen Fragestellungen nachgegangen, in der Ausstellung „Schauplatz Stadt“.
Aber es macht Sinn, dass das Kunstmuseum in der Alten Post jetzt an „gestern die stadt von morgen“ mit dem Campusmuseum der Ruhr-Universität Bochum und dem Skulpturenmuseum Glaskasten Marl teilnimmt, als Projekt von Urbane Künste Ruhr und dem Netzwerk der RuhrKunstMuseen. Mülheim spielt vielleicht die zentrale Rolle. Dazu tragen die dortigen Interventionen im öffentlichen Raum von Michaela Melián, Corinna Schnitt und der Düsseldorfer Künstlergruppe KONSORTIUM bei. Sie beziehen sich ganz direkt auf die vorgefundene urbane Situation und setzen bei den „Wahrzeichen“ und Strukturen der Architektur der 60er und 70er Jahre an. Da ist – als immer noch gelungenes Kunstwerk und Farbmarkierung im Stadtbereich – die Platz- und Brunnenanlage von Otto Herbert Hajek vor dem Kunstmuseum. Michaela Melián hat über einen der roten Sitzhocker einen Glaskubus gestülpt. Auf diesem befindet sich ein QR-Code, um mit dem Smartphone eine akustische Collage zur Vergangenheit und Gegenwart des „Viktoriaplatz – Synagogenplatz“ (so der Titel von Meliáns Beitrag) abzurufen. KONSORTIUM geht ebenfalls von einer Arbeit Hajeks aus: von „Drei Schulen unter einem Dach“ auf einem Schulhof in Bochum-Wiemelhausen, nahe der Ruhr-Universität. 2011 wurde diese Betonskulptur abgerissen, bei der ein Winkel drei kleinere, nebeneinander befindliche Elemente überdachte.
„DOOM VOID HOPE“ greift diese breiten Schrägen auf und überträgt sie als konstruktive Wandmalereien flächig auf den Beton von Garagen-Einfahrten – gerade in der grafischen Präzision und Rätselhaftigkeit der Schlagworte stellt die Wandmalerei ihre Umgebung in Frage und verdeutlicht das bauliche Umfeld. Und Corinna Schnitt hat eine Guerilla-Aktion entwickelt. Inmitten des Rasters aus Balkonen an der Fassade des FORUM-Hochhauses schüttelten etliche Bewohner zur gleichen Zeit Tücher und Bettwäsche im Rot des riesigen Schriftzuges. Privates wurde in den öffentlichen Raum gebracht, die Öffentlichkeit nahm die private Dimension des Hochhauses als merkwürdige Gleichzeitigkeit wahr. Das Video dazu ist nun im Kunstmuseum in der Alten Post zu sehen, wo die Ausstellung weitergeht. Während dort im Erdgeschoss Dokumentationen (auch Modelle und Stadtpläne) und künstlerische Beiträge gezeigt werden, sensibilisieren in den beiden Ausstellungssälen unter dem Dach Videos und Filme für den weltweiten Umgang mit Architektur, Stadt und ihrer Geschichte. Maya Schweizer tastet in intensiven s/w-Bildern den Fischplatz in Bratislava ab, auf dem das jüdische Stadtviertel abgerissen wurde. Niklas Goldbach schlüpft in die Rolle des romantischen Betrachters, um ein absurdes und bereits gescheitertes Bauprojekt auf einer künstlich angelegten Inselgruppe vor Dubai zu kommentieren. Die urbane Veränderung, die immer schneller und ziemlich gnadenlos vonstattengeht, und die Kritik an ihr sind eine globale Sache.
„gestern die stadt von morgen“ | bis 7.9. | Kunstmuseum Mülheim, Campusmuseum der Ruhr-Universität Bochum, Skulpturenmuseum Glaskasten Marl | 0208 455 41 38
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Die Identität von Dr. Doom
USch und neverme haben beide völlig recht mit der Kritik. Allerdings sollten wir doch solche Diskussionen mit Klarnamen führen. Ansonsten verkommen die Aussagen leider zu „unbedeutenden“ Kommentaren, wie sie haufenweise als „Stammtischbeiträge“ im Netz kursieren. Jedes Kürzel, jeder Nickname möchte dort mittun, aber wer dahintersteckt soll niemand wissen. Warum? Die „Hoffnungen, Träume und Ängste der RUB-Studenten“ kannte ich auch, war auch zu der Zeit an der RUB. Diese Überpinselung hat mit Kunst tatsächlich nichts zu tun. Vielleicht könnte man Dr. Doom (wer das auch immer ist, Marvel läßt grüßen) schicken und die RUB Studenten etwas Neues machen lassen und so den „Wir zitieren die 1960er“ - Quatsch wieder überpinseln.
Ach ja, ich bin auch ein erklärter Fan schnörkelloser Beton-Architektur!
Dumm pinselt gut
Eigentlich ist alles noch viel schlimmer. Hausfrauen/männer-Flashmobs in MH und die Vernichtung von Ruhrgebiets-Erinnerungskultur für eine schnöde Pinselei (RUB) zeigen nur die Drittklassigkeit eingekaufter Konsorten So einfach ist das heute zwischen Facebook und „Deutschland sucht den Superstar“: Wer keine Qualität besitzt, will wenigstens Aufmerksamkeit. Dass dafür ausgerechnet im Ruhrgebiet schon wieder ein „historisches“ Relikt (nämlich „Hoffnungen, Träume und Ängste der RUB-Studenten“) zerstört wurde, könnte auch die wahren Beweggründe dieser ominösen Kulturhauptstadt-Pseudo-Nachhaltigkeit offen legen. Aus dem Überpinseln (auch aus der Vernichtung der Hajek-Skulptur) wird kein richtiger Skandal, überall auf der Welt verschwinden momentan wesentlich wichtigere Kulturgüter, aber es bleibt eine Frechheit und zeigt natürlich wie gedankenlos man mit den hier lebenden Menschen tatsächlich umgeht. Künstler tun das in der Regel nicht, aber zumindest in Bochum waren ja auch keine am Werk.
neverme
War bei der RUB-Aktion
Hat Aufbau und Abriss der Hajek-Skulpur miterlebt
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Offenbar hat sich Herr Hirsch nicht die Mühe gemacht, eine ausreichende Recherche zum aktuellen Kunstskandal an der Ruhr-Uni Bochum anzustellen. Obwohl er die Referenz des im Trailer plakativ abgebildeten "Konsortium"-Wandbilds "Doom Void Hope" auf eine 2011 abgerissene Skulptur des 2005 verstorbenen Bildhauers Otto Herbert Hajek in Bochum-Wiemelhausen selbst benennt, verschweigt Hirsch, dass durch die monumentale 'Wandmalerei' der Konsortium-Künstler ebenfalls Kunst zerstört wurde: Das 1979 unter künstlerischer Leitung von Bernd Figgemeier entstandene, 25 x 4 Meter große studentische Kollektivkunstwerk „Hoffnungen, Träume und Ängste der RUB-Studenten“ wurde im Zuge des Projekts der "Urbanen Künste Ruhr" aus dem öffentlichen Raum getilgt: http://www.bszonline.de/artikel/getilgte-kunstspuren-bochum
Die WAZ Bochum wusste dies bereits am 30. Juni 2014 zu berichten und mmerhin ist das Kunstwerk im Netz ausführlich dokumentiert:
http://www.artibeau.de/3220.htm
http://www.derwesten.de/staedte/bochum/kunstprojekt-befragt-alte-visionen-id9538977.html#plx778202514
Auch die Bochumer Stadt- & Studierendenzeitung (:bsz) hat sich des Themas gleich mehrfach ausführlich angenommen:
http://www.bszonline.de/artikel/kunstzerst%C3%B6rung-der-rub
http://bszonline.de/artikel/no-hope
http://bszonline.de/artikel/getilgte-kunstspuren-bochum
http://bszonline.de/artikel/so-nicht-rub
Der künstlerische Leiter von damals ist heute Ehrenvorsitzender des Bundesverbandes Bildender Künstler Westfalen (BBK) und will sich einer Wiederherstellung des vernichteten Kunstwerks annehmen, für die sich auch das Studierendenparlament der Ruhr-Uni Bochum inzwischen fast einhellig ausgesprochen hat:
http://bszonline.de/kurzmitteilung/stupa-will-wandbild-zur%C3%BCck
Aktuell gibt es auch eine interessante Leserzuschrift zu diesem Thema:
http://bszonline.de/artikel/zur-unf%C3%A4higkeit-einer-universit%C3%A4t-mit-kunst-umzugehen
Wenn der Trailer den kritischen Diskurs in und um Bochum weiterhin mitprägen möchte, wäre es unerlässlich, zu solchen sensiblen Themen eingehend zu recherchieren. Zudem scheint mir ein richtigstellender Nachbericht in der Printausgabe unerlässlich!
Aus zwei Sammlungen
Das frühe 20. Jahrhundert im Kunstmuseum Mülheim – kunst & gut 11/24
Neu im Dialog
Wiedereröffnung des Kunstmuseums Mülheim
„Man spürt die Töne auch als Vibrationen“
Museumsdirektor Georg Elben über Camille Norments „Glass Sound Pavilion“ in Marl – Sammlung 09/23
Apfelschimmel in Beton
Aktuelle Kunst made in Marl – Ruhrkunst 01/20
Über Architektur
Christine Erhard in Mülheim – Ruhrkunst 10/19
Wie Schmetterlinge
Katja Davar in Marl – Ruhrkunst 08/19
Tanz um den bronzenen Bullen
Marko Lulić in Marl – Ruhrkunst 04/19
Die geschaffene Welt
„The Battle of Coal“ in Marl – Ruhrkunst 07/18
Reich der Düfte
Helga Griffiths in Mülheim – Ruhrkunst 06/18
Die nächste Generation
Expressionismus in Mülheim – Ruhrkunst 12/17
Erinnerung an Mülheim mit Gästen
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„Wichtig, dass Kunst Gedanken öffnet“
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Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
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Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
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„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
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