Wer das verwinkelte Treppenhaus, das im Skulpturenmuseum Glaskasten abwärts in den Souterraintrakt führt, leicht beklommen durchschritten hat, betritt einen weitläufigen abgedunkelten Ausstellungsraum, in dem eine mit geheimnisvoll bläulichem Licht hinterlegte Projektion direkt in Katja Davars Kunstwelt entführt. Die kurze 3D-Animation „Tugs on a Thread“, 2019, steht programmatisch für Davars künstlerische Untersuchungen von Analogien und Metamorphosen in der Natur und auf der Bühne.
Schmetterlinge sind bei flüchtiger Betrachtung die erste Assoziation. Auf dem etwa zweiminütigen Loop schließen und öffnen sich augenscheinlich Flügel von sitzenden Faltern kurz vorm Abflug. Der konzentrierte Blick offenbart: Die „Tiere“ haben keine Körper, es sind virtuelle, artifizielle Modelle für Prozesse des Öffnen und Schließens, des Zusammen- und Entfaltens, An- und Abschwellens. Gezeigt ist eine Art körperlose Bewegung, die der Künstlerin auch auf der Tanzbühne begegnete: beim historischen „Serpentine Danse“. Der Schleiertanz der amerikanischen Tänzerin Loïe Fuller (1862–1928) in ausladend wogenden Seidenkostümen inmitten farbiger Lichtprojektionen stellte nicht den bewegten Körper in den Vordergrund, sondern illuminierte fließende Stoffschwünge. Fullers abstrakte Choreografien und der Einsatz elektrischen Lichts waren etwas völlig Neues; sie revolutionierten den Tanz und seine Rezeption. Impressionen früher Tanzperformances vermitteln handkolorierte Filmaufnahmen der Brüder Lumière, die Katja Dakar neben weiteren historischen Filmen in ihr Ausstellungskonzept integrierte.
Die Verbindung von „Kunst-Berauschtheit und industrieller Leistung“, wie der Dichter Mallarmé den Serpentinentanz charakterisiert, findet sich auch in Davars über alle sieben Räume verteilten Werken. Die 1968 in London geborene, seit Jahren in Köln lebende Künstlerin präsentiert aktuelle großformatige Grafitzeichnungen und Drucke von abstrakten Stoffstudien, Mustern und Schraffuren, teilweise mit figürlichen Elementen verwoben. Das Konvolut aus 23 Bildwerken stellt sie als begnadete Zeichnerin vor, die sich mit Hilfe neuer Medien weitere Dimensionen erschlossen hat. Digital bedruckte Stoffbahnen strecken sich von der Decke herab über den Boden. An fünf Stationen bewegen sich die Bilder. HD-Videos und Projektionen lassen hochaufgelöst bemalte Stoffe, Strukturen und Farben in- und umeinanderfließen. Die atmosphärisch dichte Schau gewährt Einblicke in ein ästhetisch komplexes Kunstkonzept mit subtil gesetzten Binnenbezügen, die sich mit viel Muße erschließen lassen.
Electric Spinning Gaze | bis 22.9. | Skulpturenmuseum Glaskasten Marl | www.skulpturenmuseum-glaskasten-marl.de
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