Duisburg konzentriert sich auf einen Künstler und dessen Schaffen. Während zeitgleich in einer Ausstellung im Essener Museum Folkwang die Kunstrichtung des Expressionismus auf ihre Inspirationsquellen befragt wird und während das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm das Menschenbild der deutschen Kunst im frühen 20. Jahrhundert vorstellt, wendet sich das LehmbruckMuseum ausschließlich Otto Mueller zu. Mueller (1874-1930) gehört zu den wichtigen Malern des Expressionismus, der als Mitglied der Dresdner Künstlervereinigung „Die Brücke“ auch in größeren Kreisen etabliert ist. Sein Werk kreist um wenige Themen und Motivfelder, die er immer wieder mit grundsätzlicher, existenzieller Bedeutung auflädt. Seine Sujets sind vor allem Frauenakte, meist inmitten der Natur – als Badende, umfangen von grüner Landschaft – sowie Paare in dramatischer Handlung, daneben aber auch stille, bewaldete Landschaften, in denen monolithisch wirkende Gebäude stehen. Hinzu kommen Porträts sowie späterhin Bilder von Zigeunern, die neben den Badenden am See vielleicht am bekanntesten sind.
Schon anhand dieser Aufzählung wird deutlich, dass es Mueller um Zustände im Einklang mit der Natur geht. Das verbindet ihn mit den anderen deutschen Expressionisten, die, wie im Fall von Ernst Ludwig Kirchner und anknüpfend an Gauguin, die Ursprünglichkeit im Exotischen und Elementaren, bei den primären Kulturen und deren Kunst entdeckten. Die Bilder und Skulpturen insbesondere der „Brücke“-Künstler besitzen dazu etwas Raues, eines ihrer Verdienste ist die Wertschätzung der druckgraphischen Techniken. Diese Künstler favorisieren neben Naturschilderungen gelängte und kantige Darstellungen vom Menschen, die Körper wirken flächig und fasern doch in die Bildtiefe aus. Mithin tragen die Werke etwas plakativ Mitteilsames, das ohne Umschweife zur Sache kommt. In der Malerei halten Umrisslinien die Motive zusammen, die Farbigkeit ist bisweilen überstrahlt. Otto Mueller freilich praktiziert in dieser Hinsicht genau das Gegenteil: Der Ton seiner Bilder ist erdig, dumpf und fördert den Eindruck des Verschwiegenen. Seine Bilder kennzeichnet eine große Privatheit und Abgeschiedenheit vom gesellschaftlichen Leben. Auch wenn die Akte und die Paare geradezu offensiv zum Publikum schauen, sind sie doch bei sich. Der Betrachter wird zum Augenzeugen und ist zugleich den Bildern ausgeliefert. Eine wichtige Quelle für die Malerei von Mueller ist die Kunst von Lucas Cranach mit seinen Darstellungen gedehnter Figuren; ein Aspekt, den Gottlieb Leinz vom LehmbruckMuseum nun im Katalog untersucht hat. Im Anschluss an ein sehr realistisches, plastisch modelliertes Frühwerk wirken Muellers Akte und Paare mitunter wie aus geometrischen Formen entworfen; sie strecken die Gliedmaßen von sich, heben und verschränken die Arme: Schon daraus entsteht eine Dramaturgie, für die das Thema des Mordes, auf das Mueller wiederholt zurück kommt, entsprechend ist.
Zeitgenosse von Wilhelm Lehmbruck
So wichtig und sehenswert die Malerei von Otto Mueller ist, man kann sich fragen, was das LehmbruckMuseum als ausgewiesenes Institut für die Skulptur damit zu tun hat. Nun, Mueller ist Zeitgenosse des berühmten, in Duisburg leitmotivisch vertretenen Bildhauers Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) und das Museum besitzt einige Bilder von ihm (in Verbindung mit der Ausstellung besteht wohl auch die Aussicht auf weitere), darunter die beiden Hauptwerke „Doppelbildnis mit Maschka Mueller“ (1924/25) und, davor entstanden, „Am Ufer der Moritzburger Seen Sitzende und Kniende“ (1912), welches wie eine Szene auf einer Südsee-Insel wirkt. Mueller, der 1910 in die seit 1905 bestehende Künstlergruppe „Die Brücke“ berufen worden war, strebt hier danach, aus Einfachheit heraus Empfindung und Atmosphäre zu erzeugen. Vorbild ist die ägyptische Kunst. 1909 findet er dazu die geeigneten Malmaterien: Er entwickelt eine Leimfarben-Technik, mit der er auf Rupfen malt. Die Moritzburger Seen befinden sich übrigens bei Dresden. Sie sind Motiv vieler Bilder von Otto Mueller seit einem Arbeitsaufenthalt 1910 gemeinsam mit den „Brücke“-Mitgliedern Heckel, Kirchner und Pechstein. 1913 löst sich die „Brücke“ als Künstlergruppe auf. 1919 wird Mueller zum Professor an die Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau berufen und gehört schon bald zu den etablierten deutschen Malern, der im Deutschen Künstlerbund aktiv ist und 1928 auf die Biennale Venedig eingeladen wird. Heute ist er mit seinen Bildern fester Bestandteil der Geschichte der deutschen Kunst im 20. Jahrhundert, und es ist gut, dass im Rahmen der Ausstellung, die zuvor in Zwickau und Heilbronn zu sehen war, sein Werk umfassend vorgestellt wird.
Übrigens gibt es in der Nähe von Duisburg noch zwei weitere Ausstellungen, welche die „Brücke“ in den Kontext ihrer Zeit einordnen. Das Osthaus Museum Hagen weist in seiner Schau „Der Folkwang Impuls“ auf Karl Ernst Osthaus als Museumsgründer, und eine Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum in Köln rekapituliert die Sonderbund-Ausstellung von 1912, welche einen Überblick über die europäischen Kunst lieferte. Es gibt im Dezember also viel zum frühen 20. Jahrhundert zu sehen, das allermeiste in der Malerei und leider nur wenig in der Skulptur.
„Otto Mueller - Einfach. Eigen. Einzig“ | bis 24. Februar | LehmbruckMuseum Duisburg | www.lehmbruckmuseum.de
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