Warum eigentlich nicht. Vielleicht kann man die beiden so verschiedenen Künstler Fabián Marcaccio und El Greco, die ganz unterschiedlichen Jahrhunderten angehören, doch aufeinander beziehen. Beiden Künstlern geht es um einen zeitgemäßen Umgang mit dem Medium Malerei und um einen bis ins Extrem übersteigerten Illusionismus, der in der Anschauung pathetisch und schockierend ist. Wie El Greco, der derzeit im Museum Kunstpalast in Düsseldorf ausgestellt wird, im frühen 17. Jahrhundert Haut gemalt hat, wie er mit Licht den Körper geradezu plastisch modelliert: Das nimmt doch viel von Marcaccio, dem 1963 in Argentinien geborenen und seit Mitte der 1980er Jahre in New York lebenden Künstler vorweg.
Fabián Marcaccio ist Maler auf der Grundlage medial reproduzierter, am Computer generierter fotografischer Bilder, die als Makro- und Mikrostrukturen verschränkt sind. Seine malerischen Maßnahmen reagieren auf das Geschehen und werden selbst digital aufgenommen und bilden die Basis für weitere Übermalungen, die nun aus der Fläche ausbrechen. Farbe ist für Marcaccio Kolorismus – und als solcher Mittel zum Naturalismus, etwa als Blut – und sie ist faktisch Material, das sich wie ein aufgerissenes Gitter tropfend, gestaucht vor das pixelige, oft unscharfe oder gänzlich abstrakte Geschehen legt. Daraus sind bis zu 300 Meter lange, mehrere Meter hohe Streifen entstanden, deren Malerei sich noch auf dem Boden fortsetzt. Der Betrachter muss laufen, ohne je das Bild als Ganzes sehen zu können. Das trifft auch auf die plastischen Werke zu, die Marcaccio ab 2005 schafft, die „Structural Canvas Paintants“. Dabei werden Stücke bedruckter Leinwand über ein Aluminiumgerüst gedreht und dadurch, auf der Grundlage eines 3D-Programmes, von der Fläche in den Raum gesetzt, mit allen Konsequenzen des Maskenhaften. Darüber setzt Marcaccio die Farbmaterie als Strom, der sich weiter nach außen schraubt. Einen Teil ihrer Wirkung ziehen diese Arbeiten aus der vordergründigen Schönheit der Farbverläufe.
Abbild unserer Zeit
Während das Museum Haus Esters in Krefeld mit der Serie „Some USA Stories“ halb-abstrakte Bilder in einem Seilraster zeigt, stellt das Duisburger LehmbruckMuseum die Plastiken mit Malerei vor. In Krefeld bezieht sich Marcaccio auf Traumata der jüngsten amerikanischen Geschichte. In Duisburg hingegen setzt er global an. Er zeigt die Macht der multinationalen Konzerne, verweist auf den Bankencrash und die Folgen der Gentechnik, provoziert mit Transsexualität und konfrontiert mit der Darstellung von Kindersoldaten und blendet bisweilen die Motive ineinander, etwa indem er eine Kastration mit einer Scheck-Karte zeigt. Marcaccio schont den Betrachter nicht. Seine Kritik an den Informationsmedien formuliert er, indem er zerfetzte und zerquetschte Körperglieder als schwammig blutiges Feld zeigt, aus dem ein Mikrofon des Senders CNN aufragt. Im LehmbruckMuseum ist der „CNN-Paintant“ neben Duane Hansons Bodenarbeit „War – Vietnam Piece“ (1967) präsentiert. In Marcaccios Symbolik hat sich der Krieg ausgeweitet und ist längst in der Gesellschaft angekommen.
Seit eineinhalb Jahrzehnten sorgt Marcaccio mit seiner überwältigenden, monströs realistischen Kunst für Furore, und wenn man die Werkentwicklung etwas verfolgt hat, so muss man sagen, dass er im Laufe der Zeit direkter geworden ist, schriller und kompromissloser. Aber Marcaccio liefert nur ein Spiegelbild, seine Themen sind allgegenwärtig und brennen ihm unter den Nägeln. In Erinnerung ist ein Gespräch mit ihm auf der documenta 2002. Marcaccio sprach hektisch, leidenschaftlich und ohne Punkt und Komma, es hätte noch stundenlang so weitergehen können: Sichtlich meinte es Marcaccio ernst. Er fokussiert unsere Zeit in ihren gefährdetsten Momenten.
Die Geschehnisse sind verzerrt, als Vorbei-Ansichten in der rauschhaften Informationsflut der Neuen Medien. Die Darstellungen wirken aufgehitzt in den Fleischfarben und der Bevorzugung knalliger Töne, die das Neon der Blitzlichter und der cleanen Laboratorien tragen. Die Menschen mutieren hier zu Zombies. Was ist real, und was ist virtuell, was sind Mythen, und was ist bereits Realität? Bei Marcaccio ist schon unklar, welches Medium wir vor uns haben, was fotografisch und was gemalt ist. Diese Unsicherheit macht die Bilder noch erschreckender. Liegt dem ein wahres Foto von einem Menschen zugrunde, der sich gerade selbst erschießt, so dass der Hinterkopf aufplatzt?
Für diese hochbrisante Form von Historienmalerei, die zugleich das Medium Skulptur aktuell definiert, ja, mit neuer Notwendigkeit auflädt, hat Fabián Marcaccio 2011 in Berlin den Bernhard-Heiliger-Preis für Skulptur erhalten. Nun ist der Maler im Skulpturen-Museum, in Duisburg, angekommen.Auch wenn's wehtut: unbedingt ansehen.
„Fabián Marcaccio – The Structural Canvas Paintants“ I bis 19. August I LehmbruckMuseum, Duisburg I www.lehmbruckmuseum.de
außerdem: „Some USA Stories“ I bis 19. August I Museum Haus Esters, Krefeld I www.kunstmuseenkrefeld.de
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