Die Zeit, welche jedes dieser Bilder einfängt und in atmosphärischer Dichte erfahrbar werden lässt, sollte man sich im Osthaus Museum nehmen. Der Landschaftsmaler Otto Modersohn (1865-1943) hatte nach seinem Tod einfach Pech. Zwar gibt es das Otto Modersohn Museum an seinem Wohnort Fischerhude, aber in den letzten drei Jahrzehnten war in Deutschland keine umfassende Museumsschau seiner Malerei zu sehen. Folglich ist die Ausstellung in Hagen eine echte Entdeckung und Rehabilitierung. Vielleicht liegt die öffentliche Missachtung daran, dass er stets mit der Worpsweder Künstlervereinigung um Heinrich Vogeler in Verbindung gebracht wird (aus der er aber schon 1899 wieder austrat), die dem Jugendstil zugerechnet werden kann, und dass er im Schatten seiner berühmten Frau Paula Modersohn-Becker stand.
Aber Otto Modersohn hat voller Leidenschaft herausragende Bilder zwischen Realismus und Expressionismus gemalt und dabei verschiedene Werkphasen durchlaufen. Er war künstlerisch auf der Höhe seiner Zeit und besaß mit Böcklin, Van Gogh oder Max Liebermann veritable Vorbilder, die er reflektierte, nicht kopierte – all das zeigt die Werkschau in Hagen, die sich auf seine größte Leistung konzentriert: auf die Malerei und Zeichnung der Landschaft, die Modersohn von der direkten Anschauung der Natur genommen hat. Ergänzend sind einzelne Figurenbilder und die heute vergessenen Märchenillustrationen ausgestellt. Mit letzterem fiel er übrigens Rilke auf, als dieser nach Worpswede kam.
Die Weite der norddeutschen Landschaft
Otto Modersohn überwindet in seinen Landschaftsbildern gerade jeden Symbolismus und alles Pathos und verwirklicht eine Schlichtheit, für welche die Weite der norddeutschen Landschaft geeignet war. Mitunter ist es, als würde man über das Meer schauen, der Horizont ist tief gesetzt, der Himmel mit seinen Wolken ist ausmodelliert, oft aufgewühlt und vermittelt noch die Witterung und die Atmosphäre des Tages – das ist, grob gesagt, das Konzept, welches der Kunst von Otto Modersohn zugrunde liegt.
Otto Modersohn, der in Soest geboren wurde und an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hat, kommt 1889 gemeinsam mit seinem Studienkollegen Fritz Mackensen erstmals nach Worpswede, wo er sich schon bald niederlässt. Hier ist die Natur unberührt und verkörpert eine ursprüngliche „heile“ Welt, als Gegenentwurf zur zunehmenden Verstädterung und Industrialisierung mit der Zerstörung der Umwelt.
Seine Bilder zeigen lapidare, genau komponierte Landschaftsausschnitte im lebhaften Pinselduktus in einer erdigen Farbpalette mit vielen Grüntönen; vor allem mit dem Grün erreicht er immer wieder eine relative Unschärfe, die als reine Malerei wirkt. Zumal in der Worpsweder Zeit bringt er duftenden Lokalkolorit, schorfige Oberflächen und die Lösung von allem Gegenständlichen in eine Balance. Großartig auch, wie sich in seinen Gemälden die Dorfstraße von Worpswede in die Tiefe zieht und dabei Licht- und Schattenpartien wechseln. Das kann man natürlich nur vorm Original – derzeit in Hagen – erfahren.
Von Worpswede nach Fischerhude
Nach dem Tod seiner Frau 1907 verlässt Otto Modersohn Worpswede und lässt sich, unterbrochen von Reisen, in der Künstlerkolonie im nahegelegenen Fischerhude am Rande des Teufelsmoores nieder. Hier wird seine Malerei zum verdichteten, niemals ausschweifenden Sinnbild. „Die Natur muss zwar allem zu Grunde liegen, aber man muss sie … vor allem vereinfachen, zusammenziehen, kurz umformen“, schreibt Modersohn 1910. „Ein Bild muss eine Einheit sein; auf geschlossene Bildwirkung, auf organische Geschlossenheit der farbigen Form, auf Umsetzung des Eindrucks in das flächenhafte Farbige … kommt es an“. Die Landschaft wird nun in das große Ganze eingefasst, und nun erreicht Modersohn eine große Innigkeit bei malerischer Komplexität. Dazu kommt er immer wieder auf die gleichen Motive zurück, die Wiesenlandschaft, die Bauernhäuser oder die nächtliche Bootsfahrt auf dem Fluss Wümme oder dessen Ufersaum, vorgetragen in expressiver Unruhe, bei der sich die Äste und Blätter in der Spiegelung im Wasser auflösen.
Tayfun Belgin, der Direktor des Osthaus Museum, hat dazu begleitend Modersohn aber noch in seiner Zeit verortet. Im Altbau sind Bilder etwa von Christian Rohlfs sowie den „Brücke“-Künstlern zu sehen, die unterstreichen, wie stark Otto Modersohn gegen alle avantgardistischen Tendenzen am realistischen Malen und an der Darstellung der Landschaft festhielt und sich damit zunehmend außerhalb aller Moden befand. Ausgestellt sind zudem – als Leihgaben aus Privatbesitz – mehrere Bilder von Paula Modersohn-Becker. Ihre Sache ist die stille, unprätentiöse Figur, die bei ihrem Mann selbst nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Die Landschaftsdarstellungen von Otto Modersohn nehmen übrigens noch Fühlung zur nächsten Schau im Osthaus Museum auf: Ab Anfang Mai stellt hier mit Klaus Fußmann (geb. 1938) einer der heute wichtigsten gegenständlichen Maler aus, der sich mit seinen expressiven Landschaftsstücken nicht um Stile und Ismen kümmert. Ihm ergeht es besser als Modersohn: Die Kraft und radikale Widerborstigkeit seiner Malerei ist längst vom aktuellen Ausstellungsbetrieb erkannt worden. Die Bedeutung von Otto Modersohns Malerei aber ist jetzt zu entdecken.
„Otto Modersohn: Landschaften der Stille“ I bis 21.4. I Osthaus Museum Hagen I www.osthausmuseum.de
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