Wie auf leisen Sohlen, ganz unspektakulär, ohne eigene Eröffnung ist die Ausstellung des 89-jährigen Bildhauers Jan Meyer-Rogge in das Obergeschoss des Osthaus Museums eingezogen. Seine Werke nehmen die Krümmung und den langgestreckten Verlauf der Raumsegmente auf, fast als wären sie füreinander konzipiert worden. Mit jedem Schritt ändert sich die Ansicht. Insgesamt zeigt der Parcours neun Skulpturen und, im Kabinett, fünf (Entwurfs-) Zeichnungen aus dem Zeitraum von 1979 bis in die frühen 2000er-Jahre.
Die Kunst von Jan Meyer-Rogge selbst lässt sich nur bedingt auf eine bestimmte Richtung festlegen. Okay, sie ist konstruktiv angelegt. Die Skulpturen kennzeichnet das äußerst Reduzierte. Meyer-Rogge erzeugt elementare Situationen, indem er primäre, materiell gewichtige Grundformen verkantet oder verspannt und in Beziehung setzt. Ein langgestreckter Stab ragt rechtwinklig von der Wand ab, gehalten von einem Stahlseil, welches die Form eines Dreiecks umreißt. Oder Kreissegmente liegen versetzt an einzelnen Punkten aufeinander und setzen so die spiralige Form fort. Jan Meyer-Rogge demonstriert Fallen und Halten als Zustände, die sich ausbalancieren. Zudem bringt er gegensätzliche Werkstoffe zusammen, Stahlstangen und Baumstämme – tatsächlich bildet die Natur mit ihren physikalischen Gesetzen den Ausgangspunkt seiner Werke, welche mitunter direkt in der Landschaft entstanden sind. – Und im Museum? Dort wird es in all der Sachlichkeit, welche die Werke selbst kennzeichnet, faszinierend-theatralisch durch die Beleuchtung mit Strahlern. Die Linien werfen Schatten an die Wand und auf den Boden und steigern so die Verläufe der Werke und ihre Räumlichkeit.
Man kann die Skulpturen auch im übertragenen Sinne verstehen. Ihre auslotende Dualität vermittelt ebenso einen Ton des Miteinander, sogar des Sozialen. In der Gleichheit aller Teile „atmen“ sie Großzügigkeit und Harmonie als Ausdruck für Freiheit und Gemeinschaftssinn, aber auch als fragilen Zustand, bei dem das kleinste Verrücken alles zum Einstürzen bringen könnte.
Obwohl Jan Meyer-Rogge aus Hamburg stammt, dort Kunst studiert hat und bis heute ansässig ist, besitzt er eine besondere Verbindung zum Osthaus Museum in Hagen. Es ist seine vierte Ausstellung seit 1988. Der einstige Direktor Michael Fehr ist Spezialist seiner Werke, an denen man sich mit Gewinn theoretisch abarbeiten kann. Diese ruhige, stille Ausstellung bildet jetzt aber vor allem einen angenehmen Kontrapunkt zur gleichzeitig zu sehenden, emotional aufgeladenen Werkschau von Gottfried Helnwein: Eine solche ästhetische Weite kennzeichnet die Amtszeit von Tayfun Belgin als Museumsdirektor seit 2007. Er hat im Lauf der Jahre geradezu analytisch in etlichen Ausstellungen den Realismus und Hyperrealismus vorgestellt, darüber hinaus aber auch viele Künstler:innen entdeckt und wiederentdeckt und populäre Blockbuster-Ausstellungen durchgeführt. Gerade in den jetzigen Ausstellungen, zu denen noch die Retrospektive zu Erwin Hegemann und eine Hommage an Karl Ernst Osthaus gehören, zeigen sich sein großes Verdienst und rastloses Engagement für dieses Museum: Lieber Tayfun Belgin, alles Beste im Ruhestand!
Jan Meyer-Rogge – Im Punkt des Gleichgewichts | bis 21.7. | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
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