trailer: Herr Belgin, warum zeigt ein Museum US-amerikanische Lüscher-Tests auf Leinwand?
Tayfun Belgin: Der Bezug zu einem Lüscher-Test ist für mich kein Grund zu einer Ausstellung. Das Ausschlaggebende ist ein Künstler, der in Russland 1958 geboren wurde und im Alter von 13 oder 14 Jahren mit seinen Eltern nach Amerika gegangen ist, er macht dort Karriere und entwickelt eine Bildsprache, die wir so in unserem Breitengrad nicht kennen. Das ist das, was mich interessiert. Ganz gleich, ob es einen naturwissenschaftlichen Hintergrund hat, das ist für mich als Kunsthistoriker nicht wichtig. Für mich ist wichtig, was ich auf einer Leinwand, auf dem Papier oder auf was auch immer sehe und bei Edward Bekkerman sehe ich etwas, ich sehe Strukturen mit Labyrinthen, ich sehe eine Auseinandersetzung mit Themen und ich sehe etwas, was sozusagen hinter dieser figürlichen bisweilen halb abstrakten oder fast schon abstrakt-expressiven Ebene liegt. Das ist für mich spannend und so sehe ich wie so ein Maler Dimensionen hat, wie man sie bei uns nicht findet.
Kann man sich im Labyrinth der Farben auch verlaufen?
Man kann sich im Labyrinth der Farben verlaufen, selbstverständlich. Aber Verlaufen geht bei ihm ja auch in die Tiefe. Wenn Sie vor einem Original stehen, dann sehen Sie, dass da eine sehr große Tiefe ist und alle Betrachtenden werden richtig hineingezogen. Deshalb hat er es auch formal Labyrinth genannt. Natürlich gibt es da einen inhaltlichen Grund, Liebe oder Emotionen, vielleicht auch, dass unser Leben in Kreisläufen abläuft, und die können ja bisweilen auch labyrinthisch organisiert sein. Insofern sehe ich da eine große Nähe von Denken oder Struktur, die er in seinen Bildern und Gemälden entwickelt hat.
Er gilt als Schamane der Kunstwelt. Was liegt hinter den monströsen Farbschichten, auch jüdischer Mystizismus?
Das kann man alles hineinbringen. Ich denke, dass er aufgrund seiner Familiengeschichte und seiner Religionszugehörigkeit zum jüdischen Glauben oder zumindest aus diesem Kontext heraus – ich weiß nicht, wie gläubig er ist – nimmt er als Intellektueller sozusagen eine ganze Kulturgeschichte mit. Ich denke, da spielen viele Geschichten bei ihm eine Rolle, bisweilen auch sehr aktiv. Bei den Engelsbildern zum Beispiel wird das sehr deutlich, aber ich würde da nicht sagen, dies oder das ist jüdisch oder kabbalistisch. Ich denke, es existiert eine spirituelle Matrix. Ich benutze diesen Begriff immer für solche Fälle, bei dem es einen Hintergrund gibt, der nicht nur formal strukturiert, sondern auch inhaltlich dominiert ist, also auch kulturgeschichtlich dominiert oder beeinflusst sein kann. Diese Matrix ist sicherlich bei ihm da. Davon gehe ich aus.
Werden die 40 Arbeiten in irgendeiner Form gegliedert oder betitelt?
Ich denke, dass wir das nach den Themen strukturieren. Ich bin ein Mensch, der gerne solche Dinge durchbricht, da kann auch mal zu einem Themenbezug ein ganz anderes Thema hinzukommen. Ich finde, eine Ausstellung lebt eher von Spannungen als von Ordnung. Geordnet zwar – aber schon mit gewissen Durchbrüchen, weil die ein neues Sehen auch möglich machen.
Bekkerman pendelt zwischen Abstraktion und Expressionismus. Was macht die Malweise besonders?
Künstler wie Bekkerman haben 120 Jahre Abstraktion hinter sich oder besser gesagt unter sich. Sie können aus einem ganzen Fundament etwas herausnehmen, was ihren Ideen formal näherkommt. Bekkerman malt so, dass man sieht, dass es da eine große Erfahrung an Abstraktionsmöglichkeiten gibt, aber er nutzt das figurative Element noch. Diese sind unbedingt wiederzuerkennen. Das ist ja das Schöne, dass Alle heute auf diese moderne Tradition zurückgreifen können und sich eine eigene Kompositionsweise als Synthese entwickeln kann. Bei Kandinsky und seinem ersten abstrakten Bild aus dem Jahr 1913, da kann man nicht sagen, das ist eine Synthese, das hatte vorher noch keiner gemacht. Heute haben wir viele Dinge, die schon entwickelt worden sind. Damit arbeitet Bekkerman in hervorragender Weise, aber nicht nur das Handwerkliche ist wichtig, das muss eh da sein, was aber über das Handwerkliche hinausgeht, ist die Fähigkeit, mit diesen Farbschichten in abstrakt-expressiver, gleichzeitig aber auch figürlicher Weise umgehen zu können. Das ist große Kunst. Da habe ich großen Respekt vor.
Edward Bekkerman. Labyrinths of Love | bis 15.1.23 | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Blasen aus Seife
Georg Dokoupil im Osthaus Museum Hagen
Über Osthaus hinaus
Anett Frontzek im Osthaus Museum Hagen
Vom Laufen und Stehen
Jan Meyer-Rogge im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 06/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
Das beste Licht der Welt
Heinz Mack im Osthaus Museum in Hagen – kunst & gut 07/23
Die anderen Werke
Sammlungspräsentation im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 04/23
Der Mensch mit der Natur
Karl Ernst Osthaus-Preisträger Sven Kroner in Hagen – kunst & gut 10/22
Splitter der Heimat
Assadour im Osthaus Museum in Hagen
– kunst & gut 04/22
Natur in Unruhe
Mally Khorasantchi im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 03/22
Aus der Stadt Hagen
Ein kulturgeschichtlicher Einblick im Osthaus Museum Hagen
Ping Pong mit der Geste
Zwei „Junge Wilde“ mit Gemeinschaftsarbeiten im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 08/21
Mitten im Leben
Hyperrealistische Skulpturen im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 11/20
„Wichtig ist für ihn die Ästhetik der Kabel“
Kuratorin Felicity Korn über „Echo“ von Elias Sime im Düsseldorfer Kunstpalast – Sammlung 01/25
„Kein Staub, aber ganz viel Frisches“
Leiter Nico Anklam über die Ausstellung zu 75 Jahren Kunsthalle Recklinghausen – Sammlung 12/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
„Auch die Sammler beeinflussen den Künstler“
Kurator Markus Heinzelmann über die Ausstellung zu Gerhard Richter in Düsseldorf – Sammlung 08/24
„Die jüdische Renaissance ist nicht so bekannt“
Museumsleiterin Kathrin Pieren über „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten – Sammlung 08/24
„Auf Fautrier muss man sich einlassen“
Direktor Rouven Lotz über „Jean Fautrier – Genie und Rebell“ im Emil Schumacher Museum Hagen – Sammlung 07/24
„Eine von Verflechtungen und Austausch geprägte Welt“
Kuratorin Julia Lerch Zajaczkowska über Theresa Webers „Chaosmos“ im Kunstmuseum Bochum – Sammlung 06/24
„Keine klassischen Porträtfotografien“
Kuratorin Kerrin Postert über „UK Women“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Sammlung 06/24
„Sowohl Bio als auch Fastfood“
Nico Anklam über Søren Aagaards Ausstellung bei den Ruhrfestspielen 2024 – Sammlung 05/24
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24