Die geometrisch organisierte, figurative Abstraktion der Bilder von Assadour wirkt ganz anders als das, was man von Malerei oder Zeichnung heute erwartet. Die Intensität, Ernsthaftigkeit, aber auch nachdenkliche Lebensfreude, die diese Gemälde und Papierarbeiten ausstrahlen, macht sie absolut sehenswert und überzeitlich. Assadour heißt Assadour Bezdikian. Er wurde 1943 in Beirut im Libanon geboren, hat in Perugia und Paris studiert undist dann in Paris geblieben, ohne den Kontakt zu seiner Heimat aufzugeben. Seine Familie stammt aus Westarmenien, und auch wenn er ein Nachgeborener von Genozid und Vertreibung ist, so schwingt doch die Erinnerung an die ferne, nie wirklich erlebte Herkunft wehmütig mit, unterstützt vom Bildlicht mit den Ockertönenund dem erdigen Braun, vorgetragen in einer sandigen Oberfläche.
Die Ausstellung im Osthaus Museum Hagen ist Assadours erste große Ausstellung in Deutschland seit 1991. Osthaus-Direktor Tayfun Belgin berichtet, dass er damals an der Eröffnung im Kunstmuseum Bochum teilnahm und schon da den Wunsch hatte, irgendwann selbst Assadours Werk auszustellen. Nun, die Ausstellung findet jetzt statt, der mittlerweile 78-jährige Assadour reiste zur Vernissage an und war glücklich. Vorgestellt wird ein umfassender Einblick in sein Werk, bei dem die überwiegend klein- und mittelgroßformatigen Bilder sinnstiftend eng aufeinanderfolgen. Assadour hat seinen Stil und sein Vokabular bereits in den 1990er Jahren gefunden, und die Transzendierung seiner Herkunft lag ohnehin schon früh vor. Im Christian-Rohlfs-Saal beginnt die Ausstellung mit Radierungen der 1970er-Jahre, die handwerklich virtuos die Sichtweisen und Ismen dieser Jahre inszenieren. Sie zeigen Landschaftsstücke mit vereinzelten Menschen, zunächst im Gegenüber. Schon bald rückt der Betrachter auf Abstand, die Räume werdenweit und nun tauchen isolierte geometrische Formen auf, die etwas Geheimnisvolles und in ihrer plastischen Anlage etwas Überdauerndes besitzen: Sie etablieren sich als vielfach variierter Gegenstand der Bilderzählungen bis heute.
Assadour verwendet in seiner Malerei weiterhin Ziffern oder die Silhouette einer Frau als Teil einer bruchstückhaft erhaltenen Geschichte. Vielleicht handelt es sich bei den kantigen Monolithen um Grabtafeln; dazu kommen, wie aus der Vogelperspektive gesehen und folglich verzerrt, Pyramiden. Auch an ein Mosaik denkt man.Zugleich driftet alles auseinander, wie in einen mächtigen Wirbel hineingezogen. Aufbau und Auflösung, Chaos und Ordnung halten sich in der Balance. Tayfun Belgin spricht von „enigmatischen Bildräumen“, und zumal ein Teil der Bilder von einem Farbrand umfasst ist, kommen einem Bühnenbilder des Bauhaus oder Absurden Theaters in Parisin den Sinn. Die Kunstgeschichte taucht im kippend Schwebenden mit Marc Chagall und bei den technoid geschwollenen Formen mit Fernand Léger auf. Aber das ist alles sekundär, wichtiger ist doch, was Assadour selbst gesagt hat: „In meiner Urerinnerung gibt es immer stärker ein Gefühl der Entwurzelung, als würde die Welt auf einen Abgrund zugleiten.“ Plötzlich sind selbst die kleinsten Bilder monumental.
Assadour – Spuren und Wege | bis 17.4. | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Blasen aus Seife
Georg Dokoupil im Osthaus Museum Hagen
Über Osthaus hinaus
Anett Frontzek im Osthaus Museum Hagen
Vom Laufen und Stehen
Jan Meyer-Rogge im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 06/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
Das beste Licht der Welt
Heinz Mack im Osthaus Museum in Hagen – kunst & gut 07/23
Die anderen Werke
Sammlungspräsentation im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 04/23
„Dimensionen, wie man sie bei uns nicht findet“
Tayfun Belgin über „Labyrinths of Love“ im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 10/22
Der Mensch mit der Natur
Karl Ernst Osthaus-Preisträger Sven Kroner in Hagen – kunst & gut 10/22
Natur in Unruhe
Mally Khorasantchi im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 03/22
Aus der Stadt Hagen
Ein kulturgeschichtlicher Einblick im Osthaus Museum Hagen
Ping Pong mit der Geste
Zwei „Junge Wilde“ mit Gemeinschaftsarbeiten im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 08/21
Mitten im Leben
Hyperrealistische Skulpturen im Osthaus Museum Hagen – kunst & gut 11/20
„Wichtig ist für ihn die Ästhetik der Kabel“
Kuratorin Felicity Korn über „Echo“ von Elias Sime im Düsseldorfer Kunstpalast – Sammlung 01/25
Die Dinge ohne uns
Alona Rodeh im Kunstmuseum Gelsenkirchen – Ruhrkunst 12/24
Strich für Strich
„Zeichnung: Idee – Geste – Raum“ in Bochum – Ruhrkunst 12/24
Im Einklang mit der Natur
„Henry Moore – For Duisburg“ im Duisburger Lehmbruck Museum – kunst & gut 12/24
„Kein Staub, aber ganz viel Frisches“
Leiter Nico Anklam über die Ausstellung zu 75 Jahren Kunsthalle Recklinghausen – Sammlung 12/24
Aus zwei Sammlungen
Das frühe 20. Jahrhundert im Kunstmuseum Mülheim – kunst & gut 11/24
Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24