Eine Ausstellung, die wir nicht auf der Rechnung hatten: Im Osthaus Museum findet eine Schau mit dem Fotografen Michael Schnabel statt, dessen Arbeiten hier hervorragend zur Geltung kommen, eben weil sie großartig ist. Allerdings, wenn man in den großen Ausstellungssaal eintritt, erkennt man zunächst nicht viel. In gleichmäßigen Abständen heben sich mittelformatige Bilder von der Wand ab, die Flächen sind in ein tiefes Schwarz oder ein gleißendes Weiß getaucht. Man muss sehr lange schauen, bis man in der weißen Helligkeit einzelne Strukturen und Formen entdeckt und aufeinander bezieht. Beim Schwarz ist das leichter, aus der Nähe zeichnen sich in unterschiedlichen Nuancen und Tönen, die ins Grün und Blau reichen, Gebirge und Gesteinsformationen ab, die einem geradezu skulptural entgegenspringen. Bisweilen erinnert es an hyperrealistische Malerei, aber auch das wird diesem hochdifferenzierten, in sich dramatischen und doch so ruhigen Geschehen nicht gerecht, zumal es sich um Fotografie handelt. Mit jeder Annäherung wirken die Bilder anders, jedoch sollte man ihnen frontal entgegengehen. Die weißen Bilder hingegen erinnern an arktische Gefilde, bei denen sich in weiter Ferne Eisberge erheben. Andere Bilder zeigen nicht mehr als einen Horizont, lassen also an den Blick über einen Meeresspiegel denken, auch sie sind wesentlich abstrakt. Alles Vorstellbare dient der Orientierung, schließlich geht es um die Wahrnehmung als solche und um das, was sie überhaupt erst möglich macht: um das Licht. Und es geht um die Grenzen des Sehens und die Essenz von Materie.
Traditionen der Kunstgeschichte
Michael Schnabel fotografiert bei Nacht, mit einer Belichtungszeit von einer Stunde oder mehr. So gesehen zeigen seine Aufnahmen, die immer analog entstehen, tatsächlich das künstlich gesammelte Licht des Mediums, mit dem die vorgefundenen Landschafts- oder Raumausschnitte gebannt werden. Bei Michael Schnabel hat das etwas sehr Aufmerksames und fast Demutsvolles. Er selbst erwähnt die „Weite und Kraft der Natur“, die er auf seinen Reisen entdeckt und zum Ausdruck bringen möchte, in Angemessenheit dem Sujet gegenüber. Natürlich schließt er bei seinen gefurchten Alpenmassiven an eine Tradition der Kunst an, die vom Erhabenen handelt. Aber Michael Schnabel, der 1966 geboren wurde und in Stuttgart lebt, klinkt sich genauso in zeitgenössische Diskurse zur konzeptuellen Fotografie und auch zur radikalen Malerei ein, wie im Osthaus Museum der Dialog mit dem Werk von Udo Nöger, das zeitgleich ausgestellt ist, belegt.
Freilich kann man Schnabels fotografische Bilder nur im Original in ihrem ganzen Reichtum erleben – trotz des gelungenen großformatigen Kataloges – und zwar in der Konzentration auf das einzelne Bild. Dieses kennzeichnet eine samtene Stofflichkeit von einer immensen Tiefe, die noch gesteigert ist, indem sich das Baryt-Papier wie eine Leinwand um die Kanten herum fortsetzt.
Michael Schneider ist dieser Wirkung, sie sozusagen kommentierend und verstärkend, noch nachgegangen: Im Neubau des Osthaus Museums gibt es einen kleineren Kabinett-Raum, der mit jeder Ausstellung anders bespielt wird. Schnabel nun hat die Wände schwarz streichen lassen, Stühle aufgestellt und ein einziges Bild an der Stirnwand aufgehängt: „Furka“ von 2003, das mit einem Strahler beleuchtet ist. Die Bildfläche funkelt farbig, auch hier braucht es etwas, bis das Bild zur Gänze zur erkennen ist und sich Strukturen abzeichnen, die augenblicklich wie eine sehr feine, hoch genaue Malerei wirken. Und dann vermeint man ein mittelalterliches Meisterwerk zu betrachten, das hier nur für kurze Zeit zu sehen ist und aufgrund seines fragilen Zustandes eigentlich gar nicht gezeigt werden dürfte, weswegen seine Präsentation ein Geheimnis ist, von dem man nicht weiter berichten darf und bei dem man nur staunen kann. Also, kommen und nochmals kommen.
Michael Schnabel – Nachtstücke und Weißes Land I bis 6. November im Osthaus Museum Hagen I www.osthausmuseum.de
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