Wie prächtig diese Bilder auch heute noch wirken! Mit der Kunst und der Lebensphilosophie von Friedensreich Hundertwasser, dem charismatischen Österreicher, der auf kritischer Distanz zur bürgerlichen Angepasstheit war, sind wir sozusagen groß geworden. Sein Adressat war eine breite Öffentlichkeit, in die er mit seinen Botschaften gegen die Zerstörung der Umwelt hineinwirken wollte und an die er auch bei seinen Kunstwerken dachte, schon in der farblichen und ornamentalen Attraktivität der Bilder und mit seinen schiefen Bauwerken, die noch begrünt sind, und mit all dem, was daneben auf Auftrag entstand: der Druckgrafik, den Postern, Bucheinbänden oder Briefmarken.
Wie sehr es Hundertwasser um ökologische Fragestellungen ging und wie symbolisch sein Werk von früh an angelegt ist, zeigt nun die Retrospektive im Museum Osthaus in Hagen. Der 1928 in Wien als Friedrich Stowasser geborene Künstler, dessen Familie mütterlicherseits im KZ ermordet wurde, der lange Zeit in Marokko und Tunesien verbringt und die Kunstakademie nach kürzester Zeit wieder verlässt, malt 1953, bereits unter dem Namen Hundertwasser, die erste Spirale: sein künftiges zentrales Gestaltungselement. Hundertwasser lebt zwischen Wien, Venedig und Neuseeland und auf seinem Schiff, das er „Regentag“ getauft hat. Er hält „Nacktreden“ und nimmt demonstrative Baumpflanzungen vor, führt dies aber auch fernab der Öffentlichkeit in Neuseeland fort. „Kunst ist die Brücke zwischen Mensch und Natur“, hat Hundertwasser geschrieben und dazu zeitig eine engagierte Bildsprache entwickelt, die er bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahr 2000 beibehält. Ein Bild wie das „Extrovertierte Fenster“ (1963) deutet an, wie wichtig ihm Architektur und die Gestaltung des urbanen Raumes sind. Liegt nicht bereits hier eine Verbindung von psychischer Befindlichkeit und Stadtraum vor? Das Bild erinnert in seiner Gesamtheit an ein Fenster mit geöffneten Flügeln, aus dem man schaut, in das man aber vielleicht auch hinein sieht.
Ein Jahr später ist das Gemälde „Der Traum des toten Indianers“ entstanden. Die Spirale organisiert sich zur Kontur, das Geschehen wird dabei konkretisiert. Ein Indianer liegt im Grünen vor der nächtlichen Kulisse einer Stadt. Die Ursprünglichkeit im Einklang mit der Natur trifft auf das Fortschrittsdenken, das von Profit bestimmt ist und schließlich dominiert. Das Bild „Der Traum des toten Indianers“ wurde bald nach seiner Entstehung vom Osthaus Museum erworben, Hundertwasser befand sich in diesen Jahren mit seiner Teilnahme an der documenta und der Biennale Venedig und der Auszeichnung auf der Biennale Sao Paulo auf dem Zenit der internationalen Wertschätzung. Eine Ausstellungstournee führte seine Werke durch halb Europa und machte, vor 50 Jahren, Station in Hagen. Auch daran erinnert jetzt die Retrospektive im Osthaus Museum.
Hundertwasser selbst hat seine Kunst als „vegetative Malerei“ bezeichnet. Mit ihrem nervösen Pulsieren und ihren leuchtenden, gar goldfarbenen Partien und Bändern lässt sie an den Jugendstil denken, bewahrt dabei etwas blockhaft Flächiges und kommt immer wieder auf die Chiffren der Stadt als lebendigem Organismus zurück. Zugleich zelebriert er einen Gegenentwurf aus Glück, Frieden und Beseelung durch die Natur. Das Osthaus Museum nun hat daraus eine reiche, durchaus pathetische Ausstellung realisiert. Die Gemälde, Tapisserien und druckgrafischen Serien scheinen vor den Wänden zu schweben, die Räume sind leicht verdunkelt, und in der oberen Etage sind Architekturmodelle und Hundertwassers Entwurf einer Kläranlage aufgebaut. Seine Mahnungen und Visionen sind heute, am Rande der Klimakatastrophe, wichtiger denn je.
„Hundertwasser – Lebenslinien“ | bis 10.5. | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
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