Der positive Wandel eines pinkfarbenen Dreiecks. Kuratorin Maria Spiegel über die Ausstellung „Farbanstöße. Farbe in der neueren Kunst” im Bochumer Museum unter Tage.
trailer: Frau Spiegel, wie anstößig kann Farbe sein?
Maria Spiegel: Das kann man nicht in einem Satz beantworten. Der Arbeitstitel für diese Ausstellung war in der Vorbereitung „Farbe als Wirkmacht und Denkanstoß“. Daraus hat sich der Titel „Farbanstöße“ – also aus dem Denkanstoß heraus – entwickelt. Das ist, was die Ausstellung im Museum unter Tage zeigen möchte und zwar auf ganz unterschiedlichen Ebenen und mit offenen Themenfeldern. Das heißt, die Ausstellung möchte keine bestimmte Lesart vorgeben, sondern – und darauf spielt der Farbanstoß an – zum Nachdenken anregen, sowohl über Farbe als auch über Kunst, über Farbe in der Gesellschaft, aber vielleicht auch über die eigene Person.
Was erzeugt in der Ausstellung die größte Netzhautverwirrung?
Es gibt einen Bereich, der mit dem Begriff „Painted Vibrations“ überschrieben wird. Da wird besonders deutlich, dass Farbe auch irritieren, in Bewegung bringen kann und damit auch ganz neue Sichtweisen generieren kann.
Der Anfang der Ausstellung ist zeitlich chronologisch gehalten: Wann wurde denn Farbe von der Bemalung von Dingen zur Malerei über sich selbst?
Das ist eine Entwicklung, die mit der Moderne beginnt. Während sich in der frühen Moderne Malerinnen und Maler oft noch an tradierten akademischen Regeln orientiert haben und eine bestimmte Ausgewogenheit und Harmonie ins Bild bringen wollten, beginnt es dann an der Wende zum 20. Jahrhundert hin, dass die Farbe sich im Bild immer mehr vom Gegenstand löst, dass Farbe selbständig wird, indem sich auch noch Konturen auflösen und sie so den Bildern dann eine eigene atmosphärische Wirkung verleihen kann. Selbst wenn sie am Anfang noch – wie der erste Teil unserer Ausstellung mit den Landschaftsbildern zeigt – teilweise am Gegenständlichen verhaftet ist. Da wäre zum Beispiel das Bild „Park von Dilborn“ (Öl auf Leinwand, 1914) von Erich Heckel zu erwähnen, in dem Farben in Landschaft und Himmel auch Emotionen von Haltlosigkeit und Unsicherheit mittransportieren. Malerei ohne Farbe ist schwer vorstellbar.
Warum ist Farbe in der Bildenden Kunst eigentlich ein essentielles, nicht anders zu ersetzendes Ausdrucksmittel?
Stellen Sie sich Malerei ohne Farbe vor.
War nicht Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ von 1915 bereits die Vollendung der avantgardistischen Farbmalerei?
Das ist eine sehr kunsttheoretische Frage. Es gibt ja wiederum auch die „Black Paintings“ von Ad Reinhardt, da haben wir auch eins in unserer ständigen Sammlung hängen. Wenn Sie da genau hinsehen, erkennen Sie, dass da nicht nur reines Schwarz ist, sondern dass Reinhardts Schwarz aus der Mischung der drei Grundfarben entsteht. Dass Farbe hier also nochmal auf eine besondere subtile Art und Weise ins Bewusstsein gebracht wird. Und man könnte ja auch umgekehrt fragen, was sagt eigentlich der bewusste Verzicht auf Farbe oder die Konzentration auf nur bestimmte unbunte Farben über Farbe aus? Indem Künstlerinnen und Künstler Farbe negieren, verleihen sie ihr ja auch wieder einen bestimmten Stellenwert als Ausdrucksmittel.
In der Ausstellung ist ein relativ großes, pinkfarbenes Dreieck auf die Wand gemalt. Was hat es denn damit auf sich?
Ein Grundgedanke bei der Entwicklung des Ausstellungskonzepts war, auch gesellschaftliche Dimensionen von Farbe aufzuzeigen und gerade das überdimensionierte pinke Dreieck des chinesisch-kanadischen Künstlers Terence Koh ist auch nochmal so ein Farb- bzw. Denkanstoß, denn in der Zeit des Nationalsozialismus wurden in den Konzentrationslagern Homosexuelle mit so einem pink- oder rosafarbenen Dreieck gekennzeichnet und damit auch stigmatisiert. Heute ist diese Farbe Pink oder Rosa durchaus auch ein Erkennungsmerkmal für Queer Culture und wird dort mit Stolz getragen.
„Farbe als Wesen reiner Vernunft“ – das ist ein Zitat von Cézanne. Kollidiert das nicht mit den sogenannten Farblehren, Goethe versus Itten und den darauf folgenden Theoretikern?
Die Ausstellung bezieht sich auf eine erfrischende Weise auch auf die konventionellen Farbtheorien und Farblehren, aber sie hinterfragt sie auch. Gerade die jüngeren Künstlerinnen und Künstler haben sich damit kritisch-ironisch, manchmal mit einem gewissen Humor auseinandergesetzt. Da könnte man die bunten Kleiderbügel von Katinka Pilscheur nennen oder den Farbkreis von Matten Vogel. Angefangen hat diese neue Betrachtungsweise schon mit Josef Albers, dessen Bilder ebenfalls in der Ausstellung vertreten sind und den man hier chronologisch zuerst nennen müsste. Albers macht deutlich, dass Farbe eben nie eindeutig zuordenbar ist, sondern immer eine Ambiguität bedeutet, sowohl was die Anschauung durch die Betrachter angeht, als auch die unterschiedliche Wirkung in unterschiedlichen Konstellationen.
Wird Künstliche Intelligenz die Grenzen des Farbspektrums irgendwann sprengen?
Das kann wohl niemand so genau wissen.
Farbanstöße. Farbe in der neueren Kunst | bis 19.4 | Museum unter Tage Bochum | 0234 322 85 23
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