Eine Ausstellung, die lehrt, genau hinzuschauen, schon was die Formensprachen betrifft: „Bild für Bild“, die erste Wechselpräsentation des Museum Ostwall im Dortmunder U, regt zum Vergleich zwischen den Kunstwerken an. Sie handelt von einem linearen Medium: dem Film. Sie ist jedoch in ihrer Abfolge ganz und gar nicht linear, ja, verfährt flanierend und zwar systematisch. Anhand einer Auswahl aus der Sammlung des Pariser Centre Pompidou (die um weitere Kunstwerke ergänzt ist) sind unterschiedliche Eigenschaften des Films destilliert und in Beziehung zur „freien“ Kunst gesetzt, z. B. bilden Rhythmus, Schnitt und Dunkelheit einzelne Kapitel. Der früheste Beitrag ist ein Stummfilm von Georges Méliès von 1902. Zu den aktuellsten gehört eine Zeichnung von Pierre Bismuth, welche die Handbewegungen von Marilyn Monroe, genommen aus einem ihrer Filme, als einen sich verwebenden lichthellen Schweif auf schwarzem Grund fixiert (2006). Unter den Prämissen des Films werden wesentliche Etappen einer strukturellen und verknappten Kunst exemplarisch berührt, etwa Fluxus, Concept und Minimal Art – vor allem aber geht es um Einzelpositionen. Ein Gemälde des Pop Art-Künstlers Roy Lichtenstein ist unter dem Aspekt des Rasters ausgestellt, von Nam June Paik ist „Zen for Film“ zu sehen, ein unbelichteter „leerer“ Film, der als Endlosschleife durch den Projektor rattert. Auch sind Werke von Donald Judd, Bruce Nauman oder Richard Serra zu sehen, bis hin zu den Sternen-Bildern von Thomas Ruff, die nur noch zarte Lichtspuren und Nebel im dunklen Weltraum zeigen, und den winzigen figurativen Zeichnungen von Francis Alys. Dabei beginnt diese Ausstellung programmatisch, mit der Projektion eines beweglichen Lichtstrahls (1973) von Anthony McCall gleich am Anfang, wobei der Vorgang der Projektion selbst materialisiert ist. Eine seltene Gelegenheit ist der Film „Inauguration of the Pleasure Dom" von Kenneth Anger. Immerhin ein Fotogramm von Bruce Conner erinnert an diesen kalifornischen Künstler, der mit Anger zu den Vorläufern des Musikvideos zählt. Hinzuweisen ist aber auch auf das begleitende Filmprogramm im Auditorium des Dortmunder U – Thema ist doch der Film, mit seinem Potential und als Kunstform, in gleichberechtigter Verwandtschaft zu den anderen Gattungen.
Der moderne Mensch
Das analytische „Zerlegen“ des bewegten Bildes ist im Dortmunder U (in dem auch der Hartware Medienkunstverein untergebracht ist) schon vorgegeben, in der dreiteiligen Filminstallation „Die Reise ins U“ von Adolf Winkelmann. Während an der Dachkrone eine Uhr aus filmischen Sequenzen läuft – zur vollen Stunde sind Tauben zu sehen – werden in der Eingangshalle Ansichten des Ruhrgebietes projiziert. Und im steil aufragenden Treppenhaus gibt es in der Vertikalen neun Portraits verschiedener Charaktere zu sehen, die sich und ihr Leben in der Region beschreiben. Sie bilden einen vielstimmigen Chor über das Leben im Ruhrgebiet, in dem auch Adolf Winkelmann, der 1946 geborene Filmemacher mit Professur an der FH Dortmund, zu Hause ist.
Die Konzeption, Personen als Einzelne nebeneinander abzubilden, ist ein bewährtes Verfahren der Gegenwartskunst unter unterschiedlichen Voraussetzungen und Absichten. Daran schließt auch eine Ausstellung in Bochum an, die mit Fotografie und dem filmischen Interview-Portrait arbeitet. Unter dem Titel „New Pott – 100 Lichter/100 Gesichter“ hat Mischa Kuball einen zweireihigen Fries aus 200 s/w-Fotografien und mehrere Medienstationen in die Kunstsammlung der Ruhr-Universität Bochum integriert. Kuball zeigt 100 Personen, die aus dem Ausland in der Ruhrgebiet gezogen sind. In der oberen Reihe sind sie in ihrem Wohn- oder Arbeitsumfeld zu sehen, darin leuchtet eine Stehlampe, welche Kuball mitgebracht hat. In den unteren Fotos fehlen die Menschen. Welche Rolle spielen die Menschen für den Innenraum, und umgekehrt? Die begleitenden filmischen Miniaturen und Videoportraits greifen derartige Überlegungen noch auf. Im Campusmuseum finden sich in Nachbarschaft zu Kuballs Fotofries weitere Personen-Folgen mit dokumentarischem Anspruch, von Christian Boltanski und von Jochen Gerz, aber mit zeitgeschichtlichem Hintergrund. Der eigentliche Kunstgriff von Kuballs Ausstellung jedoch ist wohl die Korrespondenz zu den antiken Büsten. Die Schau schlägt damit den Bogen von der Menschendarstellung im Altertum zur Jetzt-Zeit zwischen Individualität und Repräsentanz, und sie verdeutlicht die Präsenz der existenziellen Fragestellungen. Das Thema Ruhrgebiet verliert dabei an Bedeutung.
Immer das gleiche, nur anders
Ein wenig lässt sich das Vorgehen mit der Ausstellung „Here & there“ von Horst Wackerbarth im Duisburger LehmbruckMuseum vergleichen, die im Januar zu Ende gegangen ist. In Farbfotografien und flankiert von Videos hat Wackerbarth Menschen aus Duisburg und den Partnerstädten auf einem roten Sofa (das durchgehende Kennzeichnen seiner Fotografie seit Jahrzehnten) aufgenommen und dies noch um Video-Interviews ergänzt. Themen waren Migration und Integration. – So oder so, künstlerisch interessanter und radikaler ist am gleichen Ort die Ausstellung plastischer Entwurfsskizzen (sog. Bozzetti) von Markus Lüpertz, dem einstigen Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie. Konkreter Anlass ist die Errichtung seiner riesigen, in Aluminium gegossenen Herkules-Figur auf der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen. Auch wenn die Vorstellung von Skulptur beim „Malerfürsten“ Lüpertz eine Sache für sich ist und dabei sehr konsequent betrieben wird: Mit dieser monumentalen Plastik sind wir ernsthaft und provokativ in der Zeit der Helden-Denkmäler angekommen. Der Herkules, der zum Abschluss von RUHR.2010 errichtet wurde und einen Aufbruch des Ruhrgebiets symbolisieren soll, steht mit 18 Metern Höhe noch auf einem Turm, der selbst 80 Meter misst.
Die 43 farbigen Bozzetti im LehmbruckMuseum nun zeigen in moderatem Format immer die gleiche Figur in kleinen Veränderungen auf einer Tischfläche. Gerade weil die Verwandtschaft der Bronzeplastiken untereinander groß ist, ist dies nicht langweilig, sondern interessant. Die Bozzetti wirken als auslotende Ansichten von allen Seiten, fächern die Figur auf und lassen mithin an antike Skulpturen und die Idee der Glyptothek denken. Und sie ergänzen sich kongenial zur Installation der Video-Projektionen von Stefan Hoderlein, die im LehmbruckMuseum direkt eine Etage darunter als Loop laufen. In beiden Fällen handelt sich um jeweils den immer gleichen „Gegenstand“ – bei Lüpertz ist dies Herkules; Hoderlein zeigt in jedem der Loops, die neben- und übereinander projiziert sind, sich selbst über einen Zeitraum von 12 Jahren, tanzend, sich bewegend zu Techno. Daraus ergibt sich eine Art Biographie, die bis in die privatesten Bereiche reicht und verdeutlicht, wie sehr die Techno-Musik Lebensgefühl ist. Es ist nicht gerade die dichteste Präsentation dieser wichtigen Arbeit. Aber sie hat hier im Souterrain etwas „Rohes“ und vermittelt einiges vom Rave selbst. Die Installation ist bis Mai verlängert worden. Gut!
Angesichts dieser filmischen Arbeit von Stefan Hoderlein und ergänzend zur Dortmunder Ausstellung macht es Sinn, auf Mülheim als Mekka der Anfänge des Films hinzuweisen: Hier befinden sich gleich zwei Sammlungen zur diesem Thema. Die eine gehört Werner Nekes, der in Mülheim lebt und als Experimentalfilmer sehr renommiert ist. In verschiedenen Museen unter dem Titel „Schaulust“ ausgestellt wurde seine Sammlung zu Recht als „Archäologie des Films“ bezeichnet. Und die andere Sammlung, die der Wuppertaler Industrielle KH. W. Steckelings zusammengetragen hat, ist im einstigen Wasserturm in Broich untergebracht. Dort wurde schon 1992 die weltweit größte zu begehende Camera Obscura installiert; seit 2006 befindet sich hier nun auch auf zwei Ebenen das Museum zur Vorgeschichte des Films mit Exponaten zwischen 1750 und 1930, darunter optische Spielzeuge, Anamorphosen und Laterna Magicae. Sie zeichnen die Dimensionen des beweglichen Bildes vor der Erfindung des Kinematographen nach und machen die Entwicklung hin zum Film anschaulich. Die Fahrt nach Dortmund sollte hier beginnen.
„Bild für Bild – Film und zeitgenössische Kunst“ I aus der Sammlung des Centre Pompidou I bis 25. April im Museum Ostwall im Dortmunder U I www.museumostwall.dortmund.de
Mischa Kuball – „New Pott“ I bis 30. April in den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum I www.kusa-rub-moderne.de
Stefan Hoderlein – 1989-2010, „Home Is Where The Heart Is“ I bis 1. Mai;
Markus Lüpertz – „Herkules, Bozzetti für ein Monument im Ruhrgebiet“ I bis 8. Mai im LehmbruckMuseum in Duisburg I www.lehmbruckmuseum.de
„Camera Obscura“ mit Museum zur Vorgeschichte des Films I in Mülheim an der Ruhr I www.camera-obscura-muelheim.de
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